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Ein weiter Weg

Tania Krämer23. September 2014

Vier Wochen nach dem Ende des Gaza-Krieges suchen Israelis und Palästinenser in Kairo nach einer Lösung ihres Konflikts. Im Gazastreifen selbst versuchen die Menschen aus den Trümmern wieder etwas aufzubauen.

Spielende Kinder in Ruinen in Gaza (Foto: AFP)
Bild: Said Khatib/AFP/Getty Images

Der Fischmarkt neben dem Hafen in Gaza-Stadt ist an diesem Morgen gut besucht. Seitdem die Fischer bis zu sechs Seemeilen weit aufs Meer herausfahren dürfen, um ihre Netze auszuwerfen, gibt es wieder etwas mehr Auswahl. Der "Sechs-Meilen-Fisch" sei derzeit sehr beliebt, sagen einige Händler nicht ohne den in Gaza so üblichen schwarzen Humor.

Dabei ist die Ausweitung der Fischerei-Zone um drei Seemeilen für viele die einzig sichtbare Veränderung seit dem Kriegsende vor vier Wochen. Denn selbst die Fischer hatten sich mehr erhofft: "Wir wollten eigentlich 12 Meilen, das wäre das Mindeste, um von der Arbeit irgendwie zu leben", sagt Ibrahim Salem Abu Sadeh, der die ganze Nacht über auf See war. "Jetzt haben wir sechs Seemeilen bekommen. Besser als nichts, was soll man machen", sagt der ältere Herr und zuckt ratlos mit den Schultern.

Fischerboote im Hafen von Gaza: "Sechs-Meilen-Fisch"Bild: DW/T. Krämer

Vier Wochen nach Ende des Krieges fragen sich hier viele Menschen, wie es angesichts der komplizierten Lage weitergeht. "Die Situation in Gaza ist jetzt definitiv viel schwieriger als noch vor dem Ausbruch des Krieges", sagt Mkhaimer Abu Saada, Politikwissenschaftler an der Al-Azhar-Universität. "Schon vorher war Gaza politisch isoliert, die Arbeitslosigkeit, die Armut und die wirtschaftlichen Probleme waren immens hoch. Aber zu all diesen Problemen kommt jetzt noch die Zerstörung und Verwüstung durch den Krieg mit Israel. Und bislang hat sich überhaupt nichts getan."

Ungewissheit über die nächsten Schritte

Dieser dritte Krieg zwischen Hamas und Israel in sechs Jahren war der längste und todbringendste für die Menschen im Gazastreifen. Mehr als 2000 Palästinenser kamen ums Leben, darunter 500 Kinder. 11.000 Menschen wurden verletzt.

Ganze Wohnviertel liegen in Trümmern, rund 18.000 Häuser sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen völlig zerstört und über 100.000 Menschen hat der Krieg obdachlos gemacht. Der Herbst steht vor der Tür, und besonders für diejenigen, die ihr Haus verloren haben, drängt die Zeit. Einige sind zur Miete in Apartments oder Büroräumen untergekommen, andere haben sich notdürftig ein Zelt auf die Trümmer gebaut.

Rund 55.000 Menschen leben noch immer in Schulen des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge, UNWRA. Zwar kann man Baumaterialien kaufen, aber die reichen eher für kleinere Reparaturen. Nach wie vor kontrolliert Israel strikt die Einfuhr, auch um zu verhindern, dass militante Gruppen den Zement für den Bau von Tunnelanlagen benutzen.

Auf der Suche nach Baumaterial

Mohammed Shinbari aus Beit Hanoun, einer Stadt im Norden des Gazastreifens, hat für seine Familie eine notdürftige Zeltunterkunft errichtet - dicht bei den Trümmern seines zerstörten Wohnhauses. Während des Krieges war die Familie in eine UN-Schule geflüchtet. "Um ganz ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll", sagt der 29-Jährige. "Außer Verpflegungs-Gutscheinen haben wir bislang nur wenig Hilfe erhalten."

Zerstörtes Haus der Familie Shinbari in Beit Hanoun: "Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll"Bild: DW/T. Krämer

Andere Familien, deren Häuser zerstört wurden, hätten von der Hamas 2000 US-Dollar bekommen, als eine Art temporäre Hilfe. Seine Familie habe davon noch nichts gesehen. Die Shinbaris warten nun auf ein Team von Ingenieuren, das die Schäden schätzen soll, und hoffen im besten Fall auf einen Wohncontainer. Aber bislang gibt es noch nicht einmal Aufräumarbeiten in dem Viertel.

Dennoch wird eine neue Vereinbarung zwischen den israelischen Behörden, den Vereinten Nationen und der palästinensischen Autonomiebehörde, angekündigt vor einer Woche, von vielen hier skeptisch gesehen. Die Übereinkunft soll die Einfuhr von Baumaterialien durch den israelischen Grenzübergang Kerem Shalom regeln. Es ist jedoch unklar, wie und wann die neue Regelung in die Praxis umgesetzt werden soll.

"Das Elend ist in den Gesichtern abzulesen", sagt Politikwissenschaftler Usama Antar. "Da gibt es sehr viele Leute, die ihr Eigentum verloren oder die in der Familie Opfer haben, die sich um Kriegsverletzte langfristig kümmern müssen. Und die meisten begreifen erst jetzt, dass man lange mit dem Krieg und den Folgen zu kämpfen haben wird."

Politikwissenschaftler Antar: "Das Elend ist in den Gesichtern abzulesen"Bild: privat

Die ungewisse Situation macht nicht nur den Menschen zu schaffen, sondern übt auch politischen Druck auf die Hamas aus, die im Gazastreifen weiterhin die Macht hat. Die radikal-islamische Organisation hat sich nach den 52 Tagen dauernden Gefechten mit Israel zum Sieger erklärt. Umfragen, die kurz nach dem Krieg veröffentlicht wurden, zeigen dass die Zustimmung für die Hamas in der Bevölkerung noch zugenommen hatte - so wie auch in den beiden vorherigen Kriegen.

Diese Popularität muss nicht unbedingt von Dauer sein, sagen Beobachter. Jetzt komme es darauf an, was in den indirekten Gesprächen zwischen Palästinensern und Israel ab dieser Woche in Kairo tatsächlich erreicht wird. Weil sich bislang nur so wenig getan hat, geht in Gaza die Befürchtung um, dass erneut Gewalt ausbrechen könnte.

Bislang scheint Israel keine Eile zu haben, die Grenzen zu Gaza mehr zu öffnen als bisher. Das Ende der Blockadepolitik war eine der Hauptforderungen der Hamas. "Wir haben kein Interesse an weiteren Kämpfen, aber erst die nächsten Wochen werden zeigen, in welche Richtung alles läuft", sagt Ahmed Youssef, Führungsmitglied der Hamas. "Wir haben jetzt genug zu tun. Unsere Priorität ist es, die Menschen, die ihre Häuser verloren haben, unterzubringen, die Spannungen mit Ägypten zu glätten und das Leid der Menschen hier zu mildern." Aber Israel habe es in der Hand, sagt Youssef, die Grenzen zu öffnen, um Baumaterialien durchzulassen und die Blockade zu beenden.

Neue Spannungen zwischen Hamas und Fatah

Doch auch inner-palästinensische Spannungen machen die Situation kompliziert. Nach dem Krieg sind die Animositäten zwischen der Hamas und der Fatah von Präsident Mahmud Abbas erneut aufgeflammt - trotz der zwischenzeitlichen Annäherung der beiden rivalisierenden Palästinenserorganisationen. Eigentlich hatte die Hamas ihre bisherige Alleinregierung im Gazastreifen offiziell aufgelöst, nachdem im Juni eine neue Einheitsregierung vereidigt worden war. Dennoch hält die Hamas an der Macht fest, ob bei der Sicherheit oder der Verwaltung.

Präsident Abbas beschuldigt die Hamas, eine Schattenregierung in Gaza zu führen. In Hamas-Kreisen wiederum heißt es, die palästinensische Autonomiebehörde hätte bislang kein großes Interesse gezeigt, die Regierungsverantwortung in Gaza zu übernehmen. "Wir können Gaza ja nicht in einem politischen Vakuum belassen", sagt Hamas-Politiker Ahmed Youssef. "Ich sage, kommt und testet die Hamas, ob sie ernsthaft dabei ist. Aber ihr müsst dafür nach Gaza kommen und nicht von Ramallah aus behaupten, dass die Hamas eine Schattenregierung führt."

Beim politischen Rivalen Fatah heißt es, es solle deshalb bald neue Gespräche mit der Hamas geben. "Es ist natürlich einfach für sie zu sagen, kommt nach Gaza, wir laden euch an, wenn man sich hier wie der Hausherr aufführt und immer noch denkt, man regiert den Gazastreifen", sagt Faisal Abu Shahla im Fatah-Büro in Gaza-Stadt. "Sie sollten sich an die Vereinbarungen über die neue Regierung halten und das im Sinne der Versöhnung."

Beobachter gehen davon aus, dass die internationalen Geberländer nur sehr zögerlich den Wiederaufbau finanzieren werden, solange die palästinensische Autonomiebehörde nicht wieder das Sagen im Gazastreifen hat. Westliche Staaten verhandeln nicht direkt mit der Hamas, die auf der Terrorliste steht. Für die Menschen in Gaza bedeutet dies ein weiteres Hindernis in einem ohnehin schwierigen Prozess.

"Was macht eigentlich unsere Regierung? Die letzten sieben Jahre hatten wir eine Regierung, wegen der Gaza unter eine Blockade gestellt wurde", sagt ein junger Vater Beit Hanun mit Bitterkeit in der Stimme. "Jetzt haben wir die sogenannte Regierung der nationalen Einheit. Aber wo sind sie? Alles was sie tun, ist sich gegenseitig zu bekämpfen, statt zu regieren." In Gaza bleibt den Menschen wie so oft nichts anderes übrig, als abzuwarten.