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Hilferuf von Kunstschaffenden aus Afghanistan

Julia Hitz
17. Dezember 2021

Viele Künstlerinnen und Künstler sind auf der Flucht oder verstecken sich vor den Taliban. Die Hilfsorganisation "Artists at Risk" fordert politisches Handeln.

Afghanistan | Bedrohung von Kulturschaffenden durch Taliban
Nicht nur Street-Art ist in Afghanistan bedroht, sondern auch die Künstlerinnen und Künstler selbstBild: Bulent Kilic/AFP/Getty Images

Den Taliban gelten die Künste als "haram" - verboten. Aus den Zeiten ihrer früheren Herrschaft sind viele Fälle von Verfolgung oder Tötung von Kunstschaffenden sowie Vernichtung von Kulturgütern dokumentiert. Nach der Bekanntgabe des Abzugs der westlichen Truppen haben verschiedene Personen und Organisationen die Regierungen weltweit zum Handeln aufgefordert.

Möchten unerkannt bleiben: Bedrohte Künstlerinnen und Künstler in Afghanistan

Eine davon ist "Artists at Risk (AR)". Seit 2013 hilft die unabhängige Hilfsorganisation bedrohten Kunstschaffenden aus verschiedenen Ländern dabei, an sichere Zufluchtsorte zu gelangen, an denen sie weiterhin künstlerisch tätig sein können. In Deutschland kooperiert "Artists at Risk" unter anderen mit dem Medienmuseum ZKM in Karlsruhe. 

Bedrohte Künstlerinnen und Künstler

"Wir haben vor dem Truppenabzug Namen eingereicht - es gab eine Liste, die bis zum 1. September 2021 geschickt werden sollte", sagt AR-Initiator Ivor Stodolsky gegenüber der DW. Das Problem: Danach ist kaum mehr etwas passiert, kritisiert Marita Muukkonen, die "Artist at Risk" zusammen mit Ivor Stodolsky leitet. 

Talibankämpfer mit Gewehr im Anschlag beobachten eine Frauendemonstration in Kabul (16.12.2021)Bild: Wakil Kohsar/AFP/Getty Images

"Während bei uns die Zahl der Bewerbungen von Künstlerinnen und Künstlern stetig steigt, bewegt sich bei den europäischen Regierungen seitdem nur noch wenig." 400 Kunstschaffende seien von ihnen inzwischen geprüft und bestätigt, so Muukkonen. Zähle man deren Familienmitglieder hinzu, ständen etwa 2000 Namen auf der AR-Liste. Zusammen mit den Listen zweier weiterer Hilfsorganisationen, mit denen "Artists at Risk" eng zusammenarbeitet, handele es sich insgesamt (inklusive Familien) um etwa 3000 bis 4000 betroffene Personen.

Regierungswechsel = Hilfe für die Kunstschaffenden?

Frankreich habe immerhin einige Visa erteilt, sagt Ivor Stodolsky. Besonders bei Deutschland habe es ihn aber überrascht, dass nicht entschieden gehandelt wurde. "Und auch die nordischen Länder haben bisher kaum etwas für die Kunstschaffenden getan." 

Bundesinnenministerin Nancy Faeser Bild: CHRISTIAN MANG/REUTERS

In Deutschland wäre das Innenministerium zuständig, die Visa für die Künstlerinnen und Künstler auszustellen. Doch seit September habe sich dahingehend nichts bewegt, so die "Artists at Risk"-Leitung. Seit Anfang Dezember steht nun die neue Regierung in Deutschland - das Innenministerium ist vom konservativen Horst Seehofer (CSU) in die Hand der Sozialdemokratin Nancy Faeser gewechselt. "Wir hoffen, dass da jetzt endlich etwas passiert", sagen Muukkonen und Stodolsky. Der Sachverhalt werde geprüft, so das Bundesinnenministerium auf Nachfrage der DW. 

SOS an Biden, Scholz und von der Leyen

"Artists at Risk" hat einen verzweifelten Aufruf bedrohter afghanischer Kunstschaffender an mehrere Regierungen gerichtet - darunter an die von Deutschland, USA, Frankreich und der EU. "Die Türen sind noch offen, es fliegen nach wie vor Flugzeuge aus Kabul", bemerkt Ivor Stodolsky. Doch inzwischen bekämen mehr und mehr Künstlerinnen und Künstler Morddrohungen, sie würden sich und ihre Werke verstecken oder ihre Kunst sogar vernichten. Einige Menschen würden auch auf eigene Faust über die Landesgrenzen flüchten - um dann unter Umständen in ebenfalls unsicheren Drittländern zu landen. 

Mutig: Eine weibliche Demonstrantin spricht mit einem TalibanBild: Wakil Kohsar/AFP/Getty Images

"Wir arbeiten auch mit Notfallgeldern, um die Menschen dort zu unterstützen", berichtet Marita Muukkonen. "Doch das ist keine echte Lösung, sie müssen aus humanitären Gründen Asyl bekommen." Der Hilfsorganisation "Artists at Risk" geht es nicht nur darum, Menschenleben zu retten - sie will auch künstlerische Positionen, Praxen, ja Kulturen sichern.

"Oft kehren Betroffene auch zurück, wenn das Land wieder sicher ist", weiß Muukkonen. Das sei auch wünschenswert, weil nur so nachhaltig Kultur erhalten werden und ein Kulturtransfer stattfinden kann. Der syrische Fotograf und Filmemacher Issa Touma zum Beispiel ist nach einer "Safe Haven"-Residenz wieder nach Aleppo zurückgekehrt und ist dort nun maßgeblich am Wiederaufbau der Kulturlandschaft beteiligt.

Kulturinstitutionen sagen Hilfe zu

Zentrum für Kunst und Medientechnologie in KarlsruheBild: picture-alliance/dpa

Der künstlerische Leiter des ZKM Karlsruhe, Peter Weibel, hat die Forderungen von "Artists at Risk" zuletzt bekräftigt und zwei Residenzen in Karlsruhe zugesagt. Die Politik müsse handeln, so Weibel. Viele weitere Kulturinstitutionen haben zugesagt, sich finanziell oder mit dem Angebot von Unterkünften und Arbeitsräumen zu beteiligen, sagt Ivor Stodolsky. Unter dem Hashtag #SaveAfghanArtists solidarisieren sich viele Kunstschaffende mit der Aktion. 

"Seit dem Fiasko der Machtergreifung der Taliban", fügt Marita Muukkonen hinzu, "haben internationale Regierungen es trotz der Bemühungen vieler Kulturorganisationen versäumt, afghanische Kulturschaffende als systematisch gefährdet anzuerkennen." Das müsse sich nun schnell ändern.

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