Eine Bodenoffensive bringt nur Verluste
18. November 2012Israel ist schon oft in palästinensische Gebiete einmarschiert - seit dem Oslo-Abkommen 1993 hat die Regierung in Jerusalem das wiederholt als Teil ihres Selbstverteidigungsrechtes definiert. Doch was kann Israel mit einer Bodenoffensive erreichen? Kritiker sagen, Israel lasse den Konflikt mutwillig eskalieren. Ahmed al-Dschabari, der Militärchef der Hamas, sei in eine Falle gelockt worden: Eigentlich verhandelte er gerade hinter den Kulissen mit Israel über eine Waffenruhe, als israelische Sicherheitskräfte ihn am Mittwoch (14.11.2012) exekutierten. So berichtet es etwa Gershon Baskin in der "New York Times" vom 16. November. Baskin, Vordenker im Israel Palestine Center for Research and Information (IPCRI), hat die Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit vermittelt und gehörte auch in diesem Fall zu den Verhandlern.
Innenpolitik auf Kosten der Palästinenser
Für Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen spielen insbesondere innenpolitische Gründe eine Rolle für die erneute Militäroffensive: "Im Moment sieht es so aus, als ob die israelische Regierung aus wahlkampftaktischen Gründen den Konflikt hat eskalieren lassen. Aber durch Bodentruppen in Gaza kippt der gewünschte Effekt wahrscheinlich", sagt der Politikwissenschaftler im DW-Interview. In Israel soll am 22. Januar 2013 ein neues Parlament gewählt werden. Die Bevölkerung springt in der Regel gut auf sicherheitspolitische Fragen an und befürwortet harte politische Maßnahmen. Allerdings - so Jochen Hippler - würde bei einer längeren Bodenoffensive, während der auch israelische Soldaten sterben, die gesellschaftliche Unterstützung wegbrechen.
"Ich denke, der wichtigste Grund der Israelis ist der naheliegendste: Die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen haben im Jahr 2012 zugenommen - es hat zwar eine Verabredung zu einer Waffenruhe und Vermittlungsbemühungen gegeben, die sind allerdings spätestens dann zusammengebrochen, als die Israelis den Militärchef der Hamas ermordet haben", schätzt Guido Steinberg, Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Die Hamas militärisch ernsthaft zu schwächen, sei aus der Luft heraus nicht möglich. Der Gazastreifen zählt zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt und die militanten Islamisten operieren teilweise direkt aus Wohnvierteln heraus.
Ein politisches Problem lässt sich nicht militärisch lösen
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Israel zwar die Raketenstellungen der Hamas zerstören, sie aber nicht von der politischen Bühne vertreiben kann. Vor knapp vier Jahren war Israel bereits in den Gazastreifen einmarschiert. Bei der dreiwöchigen "Operation Gegossenes Blei" starben geschätzt rund 1.300 Palästinenser und 14 Israelis - und die Hamas regiert weiter. Jochen Hippler von der Universität Duisburg-Essen ist sicher, dass eine neue Bodenoffensive ebenfalls scheitert: "Wenn sich die israelischen Truppen dann irgendwann zurückziehen, hat sich ja die palästinensische Gesellschaft nicht im israelischen Sinne gewandelt", sagt Hippler. Im Gegenteil: Die Hamas gewönne durch die Verfolgung wieder mehr Legitimität. Die hatte durch die harte Hand, mit der sie den Gazastreifen regiert, eigentlich gerade zu schwinden begonnen.
"Ich habe die Hamas nie gemocht, aber ich wünschte mir, ich könnte die Stirn dessen küssen, der die Rakete auf Jerusalem gefeuert hat", sagte etwa Saed Moasserdschi, ein 19-jähriger Student aus dem Flüchtlingslager Dschebalija, der Nachrichtenagentur dapd. Selbst die im Westjordanland regierende Fatah-Partei - innenpolitisch stärkster Konkurrent der Hamas - steht jetzt an der Seite des Rivalen. Die Hamas im Gazastreifen zu stürzen, wäre laut Guido Steinberg von der SWP auch nicht im Sinne Israels: "Dagegen spricht, dass es einfach keine Alternative gibt. Die palästinensische Autorität in Ramallah ist zu schwach, um die Macht im Gazastreifen zu übernehmen."
Schließlich sind da noch weitaus extremistischere Islamistengruppen wie die Salafisten, die lange ebenfalls Raketen über die Grenze feuerten. Die Hamas hatte sie bislang weitgehend kontrolliert und teilweise daran gehindert, auf eigene Faust gegen Israel vorzugehen. "Diese Gruppen werden dann möglicherweise auch stärker sein als zuvor, weil sie darauf hinweisen können, dass weder Hamas noch Fatah die Palästinenser gegen die israelischen Kriegsmaßnahmen schützen konnten", betont Hippler.
Israel könnte sich international isolieren
Um den Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen Hamas zu entschärfen, war Ägyptens Ministerpräsident Hischam Kandil am Freitag (16.11.2012) in den Gazastreifen gereist. Die Stimme Ägyptens hat Gewicht, denn die in Kairo regierenden Muslimbrüder sind eine Schwesterorganisation der Hamas. Nach dem Arabischen Frühling könne die ägyptische Regierung nicht mehr stillschweigend die israelische oder westliche Politik akzeptieren, ohne sich selbst die Legitimation zu entziehen, erläutert Steinberg. In der jungen Demokratie muss die Regierung der Bevölkerung Rechenschaft ablegen - und sowohl die Ägypter im allgemeinen als auch die Muslimbrüder im besonderen sind israelkritisch: "Der Arabische Frühling hat die strategischen Voraussetzungen für die Israelis eher verschlechtert." Im Gazakrieg 2009 habe etwa Mubarak die Enklave noch zugunsten der Israelis abgesperrt. Jetzt müsse sich Israel bei jedem Schritt überlegen, wie Kairo reagiert.
"Sicherheitspolitisch macht eine Bodenoffensive wenig Sinn", resümiert Jochen Hippler. "Israel wird seine Beziehungen zu Ägypten belasten, die sich eigentlich entwickeln müssen. Und es wird sich in der internationalen Gemeinschaft wieder isolieren, ohne dass es sein Ziel in Gaza erreicht."