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Politik

Pädophilie-Skandale: Doku erschüttert Polen

26. Mai 2020

Der Primas des Landes informiert den Vatikan über die neuesten Pädophilie-Fälle, die von Dokumentarfilmern aufgedeckt wurden. Die Schicksale der Opfer, die ans Licht kommen, setzen Kirche und Regierung unter Druck.

Polen Danzig Aktivisten zeigen Film von Marek und Tomasz Sekielski
Vorführung von "Sag es keinem", dem ersten Film von Marek und Tomasz Sekielski, in Danzig 2019Bild: Imago Images/Eastnews/K. Mystkowski

Ein Priester, der jahrelang Dutzende von Jungen sexuell belästigt und Bischöfe, die es jahrelang vertuscht haben - was in der kleinen Stadt Pleszew in Zentralpolen in den 1990er Jahren geschah, deckt die Dokumentation "Das Versteckspiel" der Autoren Marek und Tomasz Sekielski auf. Schon mit ihrem ersten Film über das Thema Pädophilie in der Kirche vor genau einem Jahr haben die beiden eines der wichtigsten Tabus in Polen gebrochen.

Jetzt erzählen sie die Schicksale der Brüder Jakub und Bartek Pankowiak, derer Vater in den 1990er-Jahren Organist in der Kirche von Pleszew war. Der damalige Gemeindepfarrer Arkadiusz, beliebt unter den Jugendlichen, war ein häufiger Gast bei ihm zu Hause. Doch wenn die Eltern gerade nicht hinsahen, drückte, streichelte und küsste er die Söhne. Bartek und Jakub waren entsetzt - lebten aber mit ihrem Drama lange alleine.

Konfrontation mit dem Peiniger

Erst über 20 Jahre später fassten sie den Mut, ihren Peiniger aufzusuchen und ihm ins Gesicht zu schauen. "Was glauben Sie, fühlt ein Kind, wenn es hinter verschlossenen Türen mit der Zunge geküsst wird?", fragt Bartek den Pfarrer im Film. Das Gespräch wird mit versteckter Kamera gedreht. "Ich weiß noch, dass ich Sie an intimen Orten berührt und ihre Erektion gespürt habe - dass Sie mich auch berührt haben und mir dann Geschenke dafür gaben", führt Bartek fort. Der Pfarrer äußert sich nicht zu den Vorwürfen. Gleichzeitig sagt er aber, dass er sich "schuldig vor Gott" fühle und jeden Tag beten würde.

Bartek und Jakub besuchen auch eine Nonne, die damals alles wusste, die Jungen aber nie in Schutz nahm. Beim Besuch der beiden jungen Männer wirkt sie verwirrt und versucht, mit gebrochenen Sätzen zu erklären, dass sie damals nichts habe tun können.

Mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, war für Jakub Pankowiak nicht leicht. Am schwersten hat sich der heute 35-Jährige damit getan, es seiner Tochter zu sagen. "Ich fühle mich erleichtert, ich habe die Last von meinen Schultern abgeworfen. Leider musste ich es öffentlich tun, es ging nicht anders." Er hätte "keine Freude daran, dass der Pfarrer heute etwa hinter Gittern landet". Dass ganz Polen über seine Schuld erfährt, sei "eine ausreichende Strafe".

Vertuschung durch Bischöfe

Die Filmautoren fanden Dutzende Opfer des Pfarrers von Pleszew. 2016 suchten die Eltern eines der Opfer die Konfrontation. Der Pfarrer bekannte sich zur Schuld: "Es ist mir bewusst, dass ich Ihren Sohn gekränkt habe", sagt er und fügt gleich hinzu, dass es "die Schuld des Teufels ist, der alles Heilige im Menschen zerstört". Er sagt auch, dass der Bischof alles gewusst habe. Das Gespräch wurde aufgezeichnet.

Als Bischof Edward Janiak von dem Treffen erfuhr, suspendierte er Pfarrer Arkadiusz sofort. Offizielle Begründung: gesundheitliche Probleme. Das Kirchengericht leitete keine Ermittlungen ein. Vier Jahre später, nach der Filmpremiere von "Das Versteckspiel", wird die Schuld für die Vertuschung auf die Opfer abgewälzt. In einem Statement der Diözese von Kalisz, zu der die Stadt Pleszew gehört, heißt es, die Opfer hätten selbst den Missbrauch anmelden sollen, dann hätte man den Vatikan informiert. Von Bischof Edward Janiak kommt keine Entschuldigung.

Doch nach der Filmpremiere wächst der Druck der Öffentlichkeit - und auch innerhalb der Kirche. Das Episkopat teilt kurzfristig mit, Bischof Janiak werde von nun an auf größere Auftritte verzichten. Bei der Priesterweihe am vergangenem Samstag (23.05.) in der Kathedrale von Kalisz wurde er durch einen anderen Bischof ersetzt, der laut Medienberichten ebenfalls jahrelang Missbrauch vertuscht haben soll. Zu den jungen Priestern sagte er, dass Sünden der Geistlichen ihm wehtäten - aber in gewissen Situationen Schweigen geboten sei. Journalisten, die über die Veranstaltung berichten wollten, wurden nicht in die Kirche gelassen.

Polen fordern Aufklärung

Polens Primas Wojciech Polak liest die Heilige Messe in WarschauBild: picture-alliance/dpa/J. Kaminski

Offiziell zeigt sich das polnische Episkopat empört. Polens Primas Wojciech Polak fordert Ermittlungen vom Vatikan. Das hatte er schon nach dem ersten Film der Brüder Sekielski vor einem Jahr getan - doch bis jetzt hat keine Aufklärung der Missbrauchsfälle in der polnischen Kirche stattgefunden. In einem Bericht, den die Kirche unter Druck der Öffentlichkeit 2019 herausgab, ist von knapp 400 Fällen seit 1990 die Rede. Doch weder werden die Namen der verantwortlichen Priester genannt, noch gibt es Informationen darüber, wie viele Fälle von kirchlichen und von zivilen Gerichten behandelt wurden.

Laut aktuellen Umfragen fordern über 70 Prozent der Polen von den Behörden ein härteres Vorgehen gegen pädophile Priester. Auch in katholischen Kreisen hört man immer häufiger Forderungen nach einer umfassenden Aufklärung.

Pädophilie soll untersucht werden

Die heftige Debatte über die Doku der Brüder Sekielski, die auf YouTube inzwischen fast 6,5 Millionen Menschen gesehen haben, zwingt auch die Behörden zu Reaktionen. Die Landesstaatsanwaltschaft informierte, dass Ermittlungen gegen Pfarrer Arkadiusz aus Pleszew schon seit Herbst 2019 laufen. Die regierende Partei PiS will einen Untersuchungsausschuss ins Leben rufen - aber nicht nur für Pädophilie in der Kirche, sondern in allen Teilen der Gesellschaft.

Die Forderung einer Gruppe linker Abgeordneter nach einem extra Ausschuss lehnte das Parlament ab. Die Abgeordneten fürchten nun, dass im Regierungsausschuss Missbrauch durch Priester nur als Randerscheinung vorkommen wird. Sie sprechen von einem besonderen Schutz des Staates, den die Kirchenvertreter im katholischen Polen genießen würden. Ein Beispiel: in dem Pädophilen-Register der Regierung von 2018 sind keine Namen von Geistlichen zu finden. Es heißt, ihre Taten würden nicht zu den schwersten Pädophilie-Fällen im Land gehören.