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Eine Geschichte zum Verzweifeln

Marcel Fürstenau4. April 2003

Am 4.April 2003 ist in Berlin etwas geschehen, womit viele nicht mehr gerechnet hatten: Der Bau des Holocaust-Mahnmals hat begonnen. Zweifel an der Verwirklichung dieses Projekts waren mehr als angebracht.

Im September 1988 gründet sich der Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Im Land der Täter müsse endlich ein "weithin sichtbares Zeichen" für die Opfer der Nazi-Diktatur gesetzt werden, verlangen die Initiatoren um die Journalistin Lea Rosh. Ein denkbar geeigneter Standort ist schnell gefunden: das Gelände der ehemaligen Reichskanzlei im Zentrum Berlins. Dort, wo die Fäden der Täter zusammenliefen, soll künftig der Opfer gedacht werden.

Dieser verblüffende Einfall war einigen in der deutschen Politik dann wohl doch suspekt. Und überhaupt fühlten sich da wohl manche überrumpelt, um nicht zu sagen ertappt. Denn der betont unparteiische Förderkreis tat das, worauf die Regierenden seit Gründung der Bundesrepublik von allein nicht gekommen waren: Ein Mahn- und Denkmal für die Holocaust-Opfer zu errichten. Das schlechte Gewissen mag es (gewesen) sein, daß es bis Mai 1994 dauerte, ehe ein künstlerischer Wettbewerb zur Errichtung eines Mahnmals ausgeschrieben wurde. Doch damit begann die unendliche Geschichte erst richtig. Es melden sich 1200 Wettbewerbs-Teilnehmer.

"Nicht akzeptabel"

Im März 1995 vergibt die Jury zwei erste Preise für den Architekten Simon Ungers und für eine Künstlergruppe um Christine Jackob-Marks. Im Juni desselben Jahres einigen sich die Auslobenden - der Bund, das Land Berlin und der Förderkreis - auf den Marks-Entwurf, eine 20 000 Quadratmeter große schiefe Ebene aus Beton. In diese sollen die Namen der Holocaust-Opfer eingemeißelt werden. Einen Monat später mischt sich Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ein und bezeichnet den Entwurf als "nicht akzeptabel". Daraufhin verschiebt der Berliner Senat wegen der bevorstehenden Landtags-Wahl seine Entscheidung über den Bau auf 1996.

Es vergeht ein mehr als ein Jahr, in dem nichts passiert. Schließlich gibt es einen zweiten Wettbewerb. Im Juli 1997 werden 25 in- und ausländische Künstler, darunter neun Preisträger des ersten Wettbewerbs, gebeten, ihre Modelle vorzustellen. Im November werden vier Siegerentwürfe präsentiert, unter anderem der des New Yorker Architekten Peter Eisenman, der ein Stelenfeld vorsieht. Doch wieder hat Kanzler Kohl was auszusetzen: zu monumental, lautet sein Urteil.

Ein Jahr später beschließt die inzwischen regierende rot-grüne Bundesregierung, das Parlament abstimmen zu lassen. Im Dezember 1998 schlägt der seit kurzem amtierende erste deutsche Kultur-Staatsminister Michael Naumann (SPD) vor, anstatt des Mahnmals ein Holocaust-Museum zu errichten. Was schließlich dazu führt, beides bauen zu lassen: Mahnmal und Museum.

Schlag auf Schlag

Am 25. Juni 1999 entscheidet sich der Bundestag mit klarer Mehrheit für den Eisenman-Entwurf. Dieser soll um einen "Ort der Information" ergänzt werden. Derselbe Bundestag legt im November desselben Jahres nach: die Regierung möge eine Stiftung für das Mahnmal ins Leben rufen. Einen Monat später nur wird auf der ersten Sitzung des Kuratoriums der Mahnmal-Stiftung Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) zum Vorsitzenden gewählt.

Im Januar 2000 das entstehrt das erste sichtbare Zeichen am vorgesehenen Standort unweit des Brandenburger Tores: drei Informationstafeln der werden enthüllt und sollen den Baustart symbolisieren. Dann geht alles Schlag auf Schlag. März 2000: Das Kuratorium der Mahnmal-Stiftung beschließt, die Berliner Ausstellungs-Gestalterin Dagmar von Wilcken mit der Ausarbeitung eines gestalterischen Konzepts für den "Ort der Information" zu beauftragen. Mai 2000: Das Kuratorium favorisiert ein Modell Eisenmans, den "Ort der Information" unterirdisch zu bauen. Juli 2000: Das Kuratorium stimmt dem Eisenman-Entwurf für den "Ort der Information" zu. Er geht von zirka 800 Quadratmeter Ausstellungsfläche aus.

Oktober 2000: Die zentrale israelische Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem erklärt sich bereit, der Mahnmal-Stiftung eine Datenbank mit allen bekannten Namen der jüdischen Holocaust-Opfer für den "Ort der Information" zur Verfügung zu stellen. November 2000: Für das Mahnmal und den "Ort der Information"» werden Kosten in Höhe von 54 Millionen Mark in die Haushaltsplanungen aufgenommen. Mai 2001: Auf dem Mahnmal-Areal werden elf Musterstelen aufgestellt. Der Architekten-Entwurf sieht insgesamt 2700 Betonstelen vor. Oktober 2001: Bundestagspräsident Thierse gibt am 30. Oktober den Startschuss für die Bauvorbereitung. Zunächst wird das Gelände nach

Munitionsresten abgesucht.

Einweihung für 2005 vorgesehen

Januar 2002: Eisenman erwägt Schiefer- statt Betonstelen, gibt den Plan dann aber auf. Er betont, das Mahnmal bis 2004 im vorgegebenen Kostenrahmen bauen zu wollen. Juni 2002: Ein Streit um die Sicherheitsvorkehrungen verzögert den Baubeginn. August 2002: Fehler bei der europaweiten Ausschreibung des Projekts durch die Berliner Bauverwaltung führen zu Verzögerungen. November 2002: Erneute europaweite Ausschreibung des Bauprojekts. 4. April 2003: Offizieller Baubeginn.

Man mag es glauben oder nicht: am 8.Mai 2005, dem 60.Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, soll das Holocaust-Mahnmal eingeweiht werden. Was in den gut zwei Jahren bis dahin noch alles passieren kann, ist schwer vorherzusagen. Daß eine Menge passieren kann, belegen die mittlerweile fast 15 Jahre seit Gründung des Förderkreises. Siehe oben ...

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