1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Eine große Koalition ist verdammt zum Erfolg"

14. Oktober 2005

Parteienforscher Klaus Detterbeck gibt für DW-WORLD Antworten zur Regierungsbildung. Was bedeutet eine große Koalition für Deutschland und welche Herausforderungen warten auf Angela Merkel?

DW-WORLD: Merkel wird Kanzlerin, Schröder tritt ab. Was bedeuten Merkels Sieg und Schröders Niederlage?

Klaus Detterbeck: Es ist vor allem die Rückkehr zur Normalität in der deutschen Politik: Die Union als stärkste Kraft stellt die Kanzlerin, die nahezu gleich starke SPD erhält als Ausgleich ein leichtes numerisches Übergewicht an Ministerien; die zentralen Posten sind gleich verteilt. Es ist ein Kompromiss auf Augenhöhe, ein fairer und tragfähiger Ausgleich zwischen den beiden Parteien. Frau Merkel hat ihr Ziel der Kanzlerschaft erreicht, der Preis dafür – die acht Ministerposten an die SPD – ist hoch, aber angesichts des Wahlergebnisses angemessen. Natürlich wird sie keine ähnliche Dominanz ausüben können wie Kanzler Schröder.

Das liegt aber nicht an ihrer Person oder ihrem Geschlecht , sondern an den Machtkonstellationen einer großen Koalition. Ihre Rolle im Kabinett wird die einer Mediatorin sein, die zwischen den Lagern vermittelt, die den Koalitionsausschuss leitet und Positionen integriert. Es wird für Merkel vor allem darum gehen, die wichtigsten Politiker im Kabinett und in den beiden Fraktionsführungen zu einem Team zusammenzuführen. Zu den zentralen Personen zählen neben Merkel nach den aktuellen Planungen Wirtschaftsminister Stoiber, Innenminister Schäuble, Vizekanzler und Arbeitsminister Müntefering und Finanzminister Steinbrück.

Merkels Erfolg als Kanzlerin wird davon abhängen, ob ihr diese Aufgabe gelingt und ob sie Impulse für die Regierungsarbeit geben kann. Mein Eindruck ist, dass Merkel diese Rolle der Mediatorin ganz gut liegen könnte, es ist nicht so weit entfernt von der Aufgabe, die sie als CDU-Vorsitzende in den letzten Jahren zu lösen hatte zwischen all den CDU-Landesfürsten und den Ansprüchen aus München.

Für Gerhard Schröder ist dies natürlich eine Niederlage. Er hat als Amtsinhaber diese -unnötige! - Wahl gewollt, er hat sie durchgedrückt und er hat sie letztlich verloren, er ist abgewählt worden. Seine Reformpolitik ist nicht, wie von ihm erhofft, bestätigt worden. Andererseits hat er mit einem fulminanten Wahlkampf, der stark auf seine Person zugeschnitten war, die SPD unerwartet nahe an das Ergebnis der Union herangeführt. Und er hat durch die Unverfrorenheit seiner Machtansprüche nach der Wahl mitgeholfen, das Klima dafür zu schaffen, dass die SPD in den Sondierungen mit der Union einen hohen Preis für den Verzicht auf die Kanzlerschaft fordern konnte. Für all das hat die alte Tante SPD ihren lange ungeliebten Vorreiter doch noch ins Herz geschlossen und lässt dieses Zugpferd nun so ungern gehen. Wer soll ihn ersetzen? Die SPD merkt nun schmerzlich, dass ihr in den 1980ern fast eine Generation an politischem Nachwuchs an die Grünen verloren ging.

Was bedeutet eine schwarz-rote große Koalition: Stillstand oder Chance?

Ich bin eher optimistisch, dass es eine Chance für die deutsche Politik ist. Dafür sprechen drei Gesichtspunkte: Die beiden Parteien besitzen genügend inhaltliche Schnittflächen, genügend Macht in Bund und Ländern, und genügend Erwartungsdruck aus der Bevölkerung.

Bei den Inhalten kann, bei all den Differenzen in den konkreten Details, durchaus davon gesprochen werden, dass sich Union und SPD in der Einschätzung der Probleme des Landes und der generellen Richtung von Reformen einig sind. Die beiden Partner haben somit eine gute Basis, sich auf Kompromisse zu einigen, die mehr als nur den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen. Ich denke etwa an die wichtige Frage der Föderalismus-Reform, an die Steuerpolitik, an die Arbeitsmarktpolitik oder an eine Rentenreform. Schwieriger wird es etwa in der Gesundheitspolitik, wo die beiden Partner weiter voneinander entfernt sind. Hier ist wohl eher Stillstand oder Flickschusterei zu befürchten. Generell aber kann die große Koalition einiges bewegen, das hat ja auch ihr Vorläuferin in den Jahren 1966 bis 1969 gezeigt.

Union und SPD verfügen über ein hohes Machtpotenzial auf beiden Ebenen des politischen Systems. Sie werden in der Lage sein, verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zu organisieren. Wir werden sicherlich weniger von den Blockademöglichkeiten des Bundesrates hören, als dies in den letzten Jahren der Fall war; aus der informellen großen Koalition, die für Reformen notwendig war, wird eine formelle große Koalition. Die Gefahr ist sicherlich, dass die kleineren Parteien für die Entscheidungsfindung kaum noch benötigt werden. Speziell die PDS/Linkspartei wird gute Chancen haben, sich weiter als Protestpartei zu etablieren, vor allem in Ostdeutschland. Als Oppositionspartei, die nicht beweisen muss, dass ihre Gegenrezepte etwas taugen, wird die Linke insbesondere der SPD schaden können.

Der dritte Grund, warum die große Koalition eine Chance darstellt, ist der hohe Erwartungs­druck, der auf ihr lastet. Die Bürger fordern eine Politik, die es schafft, die Probleme, vor allem die Arbeitslosigkeit und die Sicherung der Sozialsysteme, anzugehen. Union und SPD wissen, dass ein Scheitern vor diesen Aufgaben, ihrem ohnehin schon beschädigten Ansehen weiteren Schaden zufügen würde, der nicht nur ihre bisherige Dominanz, sondern die Parteien­­demokratie insgesamt ernsthaft gefährdet. Die große Koalition ist sozusagen ver­dammt zum Erfolg. Schlimm wären verfehlte Reformen, die ihre Ziele nicht erreichen; schlimmer noch für die beiden Parteien wäre die Unfähigkeit, Reformen überhaupt erst auf den Weg zu bringen.

Was wird sich in der Außenwahrnehmung Deutschlands unter einer Kanzlerin Merkel ändern?

Das ist in der Tat eine der spannendsten Fragen, die sich mit der großen Koalition verbinden. In den letzten Jahren schienen ja die Gegensätze zwischen Union und SPD in der Europa- und Außen­politik größer zu sein als in der Innenpolitik. Mit der CDU-Kanzlerin Merkel, die natürlich in der Europa- und Außenpolitik eine Rolle spielen wird, und dem designierten SPD-Außenminister Steinmeier könnte diese Bruchstelle in die Koalition hineingetragen werden. Hier sehe ich die Gefahr, dass die deutsche Regierung in Zukunft vermehrt mit verschiedenen Stimmen sprechen wird und damit insgesamt in eine schwächere Position verfällt, als dies mit Schröder und Fischer gegeben war. Allein personell ist die Schwächung wohl nicht von der Hand zu weisen.

In der Europapolitik ist mit einem Dreigestirn aus Kanzlerin Merkel, Wirtschaftsminister Stoiber und einem SPD-Außenminister zu rechnen. Wird Stoiber sich für eine Rückholung von Kompetenzen der EU stark machen, wie er dies in den letzten Jahren als bayrischer Minister­präsident getan hat? Werden die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, auch wenn keine konkreten Abstimmungen anstehen, zu einem Streitfall für die große Koalition? Wie wird sich die neue Regierung zu Fragen wie der Einhaltung des Stabilitätspaktes, der Neuordnung der EU-Strukturpolitik oder der Wiederbelebung der EU-Verfassung stellen? Die deutsche Europapolitik wird spannender werden.

Im Verhältnis zu den USA ist durch den Regierungswechsel mit einer Entspannung zu rechnen. Aber auch hier bleiben Fragezeichen, in welcher Weise das Zusammenspiel von Kanzleramt und Außenministerium funktionieren wird, wenn es um konkrete Konfliktfälle wie den Iran oder das generelle amerikanische Konzept der Terrorismusbekämpfung geht. Die deutsch-französischen Regierungsbeziehungen könnten durch ein neues Duo Merkel und Sarkozy auf eine neue Basis gestellt werden, durch mehr Distanz könnte das Verhältnis zu Großbritannien oder auch Russland geprägt sein. Insgesamt werden wir wohl weniger Männer­freundschaften und mehr sachliche Arbeitskontakte in unseren Außenkontakten erleben, mag dies zum Besseren oder zum Schlechteren für die deutsche Außenpolitik sein.

Klaus Detterbeck (Jahrgang 1966) lehrt und arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Magdeburg.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen