Eine indische Region rüstet sich für die Zukunft
14. Oktober 2010Ob in Asien, Afrika oder Lateinamerika: Kleinbauern verdienen oft so wenig, dass es kaum für das Überleben der eigenen Familie reicht. Das ist auch in den Sarwan-Dörfern so. Sechs Stunden Zugfahrt und danach noch eine knappe Stunde Autofahrt von Kolkata (früher: Kalkutta, Anm.d.Red.) entfernt, merkt man hier auf dem Land nicht viel vom Wirtschaftsboom Indiens. 55 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, viele gehören Ethnien und Minderheiten an, die schon immer vom Wirtschaftswachstum ausgeschlossen waren. Mehr als die Hälfte der Kinder sind untergewichtig, nur jeder Fünfte kann lesen und schreiben.
26 Dörfer gibt es im Millenniumsprojekt der Hilfsorganisation. Mit Zuschuss der Europäischen Union versucht die Welthungerhilfe zusammen mit ihren beiden indischen Partnern "Center for World Solidarity" und "Pravah" die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen in Sarwan zu erreichen. Doch Armutsbekämpfung, Bildung für alle, Frauenrechte, Gesundheit hängen alle von einem entscheidenden Faktor ab: Nahrung.
Ohne Wasser keine Ernte
Statt dringend notwendige Ernten anzubauen, lassen viele Bauern jedoch die Felder brach liegen. Die Gegend ist vom Monsun abhängig, und der ist launisch. Mal gibt er zu viel, doch meist gibt er zu wenig Regen. "Im landwirtschaftlichen Bereich in Indien ist Wasser der entscheidende Faktor", betont Bernhard Hoeper von der Deutschen Welthungerhilfe. Doch allein schafft es keiner, die notwendigen Brunnen, Wasserrückhaltesysteme und Bewässerungsanlagen zu bauen. Dazu, so der Leiter des Büros in der Hauptstadt Neu Delhi, müssen die Bewohner sich organisieren, zusammenarbeiten und selbst Prioritäten setzen.
Die Selbstorganisation in den Dörfern war nicht einfach. Doch mittlerweile sind die Dorfbewohner in Sarwan weit gekommen. Sie haben Wasserrückhaltebecken und Bewässerungsanlagen gebaut, und langsam wird aus Brachland Ackerland. Mit Hilfe des "Center for World Solidarity" und der lokalen NGO "Pravah" werden Schulungen und Trainings angeboten. Hier lernen die Bewohner nicht nur, sich zu organisieren, sondern bekommen auch Informationen über neue Anbaumethoden für Reis und Gemüse. Und sie lernen, Anträge zu stellen.
Viele Regierungsprogramme, zu wenig Anträge
Die indische Regierung hat bereits viele Programme zur ländlichen Entwicklung aufgelegt. Doch "die Fördermittel kommen in den ländlichen Dörfern meist nicht an, weil die Antragsverfahren sehr kompliziert sind", erzählt Bernhard Hoeper. Deshalb müssen die Dörfer lernen, wie und wo sie Anträge stellen und wie sie ihre Rechte durchsetzen können.
Parwati Soren vom Dorf Dunduwa hat genau das getan. Als ihr Land für Straßenbau eingezogen werden sollte, ging sie bis in die Hauptstadt des Bundesstaates Jharkhand, um ihre Rechte einzufordern – mit Erfolg. Dabei habe sie auch gelernt, dass sie als Frau die gleichen Rechte wie Männer habe, berichtet sie. Doch ohne die Hilfe des Millenniumsdorfprojektes hätte sie weder darüber Bescheid gewusst, noch die Reise überhaupt finanzieren können. "Wären die Organisationen nicht gekommen, hätte sich hier nichts geändert. Doch heute sind wir so weit, dass wir selber weitermachen können", sagt Parwati Soren, die Vorsitzende einer Frauenselbsthilfegruppe im Dorf ist.
Genug Ernte für Familie und Markt
Das sich viel geändert hat ist deutlich zu sehen in den Dörfern. Wasserpumpen, Bewässerungsanlagen, neue Gemüsefelder – in manchen Dörfern gibt es jetzt sogar Elektrizität. Früher, so erzählt der Vorsitzende des Bauernkomitees im Dorf Jaruwadih, habe er sich als Tagelöhner durchgeschlagen, um seine zehnköpfige Familie mehr schlecht als recht zu ernähren.
Geld für Saatgut hatte Kamdeo Yadav damals nicht, und da er nur eine kleine Parzelle besaß, wollten ihm weder Bank noch Geldverleiher ein Darlehen geben. Dann kam "Pravah" und half mit Saatgut. Heute, erzählt er stolz, hat er so viel Gemüse angebaut, dass er nicht nur seine Familie damit ernähren, sondern auch auf dem Markt Gemüse verkaufen kann. Er hat aus ehemaligem Brachland Gemüsefelder gemacht und investiert weiter.
All das, so sagt er, weil es das Millenniumsdorfprojekt gab, und die Menschen gelernt hätten, sich zu organisieren: "Seit 2007 gibt es die Dorfversammlung, die Gram Sabha, die hier viel erreicht hat. Der Damm wurde repariert, und uns wurde viel über Landwirtschaft erklärt, auch über Viehzucht und Tierhaltung. Sie bilden uns aus. Sie erklären uns, dass wir unsere Kinder in die Schule schicken sollen", erzählt Kamdeo Yadav. Zum ersten Mal wagt er daran zu glauben, dass es eine echte Zukunft für ihn und seine Familie gibt. Und, dass sie fast jeden Tag satt werden können.
Autorin: Helle Jeppesen
Redaktion: Olja Ebel / Esther Broders