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Musik

Jahrhundertmusikerin Argerich wird 80

5. Juni 2021

Die argentinisch-schweizerische Pianistin ist eine der berühmtesten Musikerinnen der Welt. Auch in hohem Alter umgibt sie eine erotisch-musikalische Aura.

Pianistin Martha Argerich
Bild: Adriano Heitmann

Locker, präzise, souverän: So wird der pianistische Stil vom Martha Argerich am häufigsten beschrieben. Sie sei, so der Chor zahlreicher Argerich-Fans, eine unvergleichliche Virtuosin mit speziellem Charisma sowie auch eine feinsinnige Tastenakrobatin.

Launisch, unberechenbar, divenhaft - auch auf diese Begriffe trifft man, wenn es um die Person der "Bella Martha" Argerich geht. Durch ihre energetische Art, das Klavier zu bändigen und wegen ihrer legendären, mittlerweile ergrauten Mähne hat sie sich längst den Spitznamen der "Löwin am Klavier" erarbeitet.

Martha Argerich mit 29Bild: picture-alliance/dpa/Binder

Von Buenos Aires nach Europa

Das Licht der Welt erblickte Martha Argerich am 5. Juni 1941 in Buenos Aires. Ihre jüdischen Großeltern mütterlicherseits waren Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem russischen Zarenreich vor antisemitischen Pogromen geflohen und hatten in Argentinien eine neue Heimat gefunden. Bereits mit drei fing Martha an, Klavier zu spielen. Für ihre Mutter Juanita stand sofort fest: Das Kind ist ein Genie. Mit sieben gab Martha dann ihr erstes öffentliches Konzert. Spätestens von diesem Moment an wurde das ganze Familienleben der Karriere der Wundertochter unterworfen.

Als Martha 13 war, schaffte ihre Mutter 1954, einen Termin bei niemand Geringerem als dem argentinischen Diktator Juan Perón zu ergattern. Nach einem Gespräch mit Perón bekamen Argerichs Eltern daraufhin eine Anstellung an der argentinischen Botschaft in Österreich. Dadurch wurde der ganzen Familie der Diplomatenstatus gewährt – damit Martha in Wien studieren konnte.

Der Star: Martha Argerich als Gewinnerin des Chopin-Wettbewerbs in Warschau, 1965Bild: picture-alliance/dpa/S. Dabrowiecki

Martha wurde Meisterschülerin bei dem berühmten Pianisten Friedrich Gulda. Die Beziehung zu ihrem Lehrer war widersprüchlich: Gulda fand seine beste Schülerin "neurotisch, willensschwach, verwöhnt", kritisierte ihr "Lotterleben" und zweifelte an der weiteren Karriere der jungen Frau.

Argerich kam nie vor Mittag aus den Federn, wurde Kettenraucherin und brachte mit 20 ihr erstes Kind zur Welt – und dennoch gewann sie einen Wettbewerb nach dem anderen: 1957 erhielt die Argentinierin den ersten Preis beim renommierten Internationalen Klavierwettbewerb Ferruccio Busoni in Bozen und 1965 ebenfalls den ersten Preis beim legendären Chopin-Wettbewerb in Warschau. Wie schon bei ihrem Debüt als Siebenjährige spielte Argerich Beethovens 1. Klavierkonzert. Das Publikum tobte, Jurymitglieder wischten sich Tränen aus dem Gesicht, Journalisten standen Schlange für ein Interview. Noch vor Ihrem 25. Geburtstag wurde sie zum Star.

Mit Komponisten "per Du"

In den darauffolgenden fünfeinhalb Jahrzehnten ihrer Karriere erlebte Martha Argerich zwar viele private Rückschläge, dafür aber kaum berufliche. Sie spielte brillant und hingebungsvoll, ihr Stil wurde gleichermaßen unverwechselbar und unvergleichlich. Wenn sie spielte.

Künstlerin: Martha Argerich mit Claudio Abbado, 1968Bild: Getty Images/E. Auerbach/Hulton Archive

Denn auch Argerichs Art, Auftritte kurzfristig abzusagen, ist legendär. Zum ersten Mal machte sie das mit 17 und schob eine Fingerverletzung als Begründung vor. Um dann nicht als Lügnerin dazustehen, schnitt sie sich sogar bewusst selber am Finger. Später wurde Argerich vorsichtiger bei solchen Launen und unterschrieb einfach keinen Vertrag, bevor sie nicht am Abend des Konzerts auch wirklich auf der Bühne stand.

All das erduldeten die Veranstalter wie auch das Publikum, um "La Martha" auf der Bühne zu erleben. Was macht aber das Phänomen Argerich eigentlich aus? Zum einen ist es das Feuer, das in ihr brennt, sobald sie die Tasten eines Klaviers berührt. Zum anderen hat Argerich eine besondere Bindung zu den Komponisten und deren Werken. Es ist eine regelrecht intime Beziehung, die die Pianistin mit jedem ihrer "Mitspieler" pflegt, deren Kreis zwar relativ groß, aber konstant ist: Frédéric Chopin, Robert Schumann, Franz Liszt, Maurice Ravel, Claude Debussy, Sergei Prokofjew, Igor Strawinsky, Peter Tschaikowski - und natürlich immer wieder Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven. Von Argerich sind Sprüche überliefert wie "Schumann mag mich" oder "Prokofjew lässt mich nie im Stich".

Vergängliche Lieben, lebenslange Freundschaften

Über Martha Argerichs Privatleben wurde mit Sicherheit genauso viel geschrieben wie über ihr musikalisches Schaffen. Zum 70. Geburtstag der Musikerin veröffentlichte vor zehn Jahren der französische Journalist Olivier Bellamy - einer der ganz wenigen, dem eine private Annäherung an die Musikerin gelang - eine Argerich-Biografie.

Martha Argerich mit zwei ihrer Töchter, Stephanie Argerich und Lyda Chen, Pianist und ex-Mann Stephen Kovacevich und weiteren Gästen bei der Premiere des ihr gewidmeten Films "Bloody Daughter"Bild: picture-alliance/dpa/Maxppp/EIDON/D. Giagnori

In seinem Buch bringt Bellamy Licht ins Dickicht des Beziehungsgeflechts im Leben der faszinierenden Musikerin. Kurz zusammengefasst: Martha Argerich hat drei Töchter von drei Männern - alle Musiker. Dazu gab es in ihrem Leben noch zahlreiche Liaisons, vor allem mit berühmten Dirigenten und Klavierkollegen.

Bellamy attestierte seiner Protagonistin einen "chaotischen Lebensstil", der jedoch genauso zu ihr gehört wie die herzliche, fast schon mütterliche Art, mit Menschen - ob männlich oder weiblich, aktuell oder verflossen - umzugehen. Dieses seltene Talent verschaffte Argerich lebenslange, enge Freundschaften, die ihr Privatleben wahrscheinlich eher prägen als alte Liebeleien.

Ein Jugendfreund fürs Leben: Daniel Barenboim und Martha ArgerichBild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Genau dieses Netzwerk ist essentiell für die Stabilität von "Modell Martha", quasi eine Art Rückfallmechanismus. Es waren Freundinnen und Freunde, die Argerich über ihre mehrjährige schwere Krebserkrankung in den 1990er-Jahren hinweghalfen. So brach der Pianist Stephen Kovacevich, mit dem Argerich in den 1970ern kurz verheiratet war, seine Welttournee ab und eilte nach Los Angeles, wo Argerich operiert wurde. Und am nächsten Tag standen auch zwei weitere Jugendfreunde, die Dirigenten Zubin Mehtaund Daniel Barenboim mit einem Strauß roter Rosen in Argerichs Krankenzimmer.

Eine weitere Liebeserklärung ist der Film "Argerich - Bloody Daughter", in dem Stéphanie Argerich, die jüngste der drei Töchter der Pianistin, 2012 ein zärtliches, humorvolles Portrait über ihre berühmte Mutter zeichnet.

Ihren 80. Geburtstag feiert die in Genf lebende Pianistin im Kreis ihrer Freunde, Kinder und Enkelkinder. Kurz darauf geht es aber schon nach Hamburg, wo Argerich Ende Juni zu ihrem Festival einlädt. Beim Eröffnungskonzert spielt Argerich dann gemeinsam mit Daniel Barenboim, und bis Ende Juni finden insgesamt zwölf Konzerte statt. Von Ruhestand kann bei Martha Argerich kaum die Rede sein: "Musik ist eben etwas, was ich etwas besser machen kann als alles andere", so Argerich.

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