Die Sächsische Schweiz
5. September 2013"Die Schweize werden jetzt immer kleiner, und so gibt es nicht bloß mehr eine Märkische, sondern bereits auch eine Ruppiner Schweiz", schrieb der deutsche Schriftsteller und begeisterte Wanderer Theodor Fontane im späten 19. Jahrhundert.
In der Tat. Beim Blick auf die Deutschlandkarte findet man fast überall eine Schweiz. Sogar eine Bremer und eine Berliner Schweiz gibt es, obwohl die beiden Städte im norddeutschen Flachland liegen. Und das gilt nun nicht gerade als Kletterparadies. Woher also kommt dieser merkwürdige Hang zum Verschweizern?
Er begann 1766 mit den Schweizer Malern Adrian Zingg und Anton Graff, die an der Kunstakademie in Dresden arbeiteten. Bei einem Ausflug in das Mittelgebirge östlich der Stadt fühlten sie sich so an ihr heimisches Jura erinnert, dass sie die Landschaft liebevoll Sächsische Schweiz tauften. Ein Vergleich mit den Schweizer Bergen? Das macht mich neugierig. Also setze ich mich in Berlin ins Auto und fahre Richtung Südosten.
Auf zum Kuhstall
Nach zwei Stunden wird es plötzlich hügelig. Über die sächsische Landeshauptstadt Dresden gelange ich durch das Elbtal schließlich in das Sandsteingebirge. Eindrucksvoll ragen einzelne Felsformationen aus der Landschaft, mitten hindurch windet sich der Fluss. Schon abgefahren, denke ich, obwohl mich die Tafelberge eher an einen Westernfilm erinnern, oder an die absurden Hintergründe aus Roadrunner- und Coyote-Cartoons.
Mein erstes Ziel liegt in der Nähe des Kurortes Bad Schandau: "Der Kuhstall" - ein markantes Felsentor, das Adrian Zingg in seinem gleichnamigen Gemälde verewigte. In Kriegszeiten sollen hier die Einheimischen ihr Vieh versteckt haben. An einer Wiese stelle ich mein Auto ab. Neben riesigen Heurollen sitzt ein älteres Ehepaar auf mitgebrachten Klappstühlen und sonnt sich. Ein ungewöhnliches Bild, aber ein zutiefst friedliches. Über einen breiten, gepflegten Weg laufe ich in den Wald aus Buchen, Tannen und Kiefern hinein. Dank der vielen Schilder ist er idiotensicher, allerdings geht es steil bergauf. Als begeisterter Golfspieler lege ich solche Strecken normalerweise nur in einem Golfbuggy zurück, und nun weiß ich auch wieder warum.
Mir ist etwas unheimlich. Hier ist wirklich keine Menschenseele. Auch von den zahlreichen Tierarten, die es geben soll, kreuzt keine meinen Weg. Lediglich mein Hund Thin Lizzy trottet neben mir her. Die Luft ist kühl und riecht nach Moos, rechts von mir stürzt das Gelände in eine tiefe Schlucht. Nur ein leises Rascheln der Blätter im Wind. Vielleicht war es ja diese Abgeschiedenheit, die Zingg und Konsorten an ihre Schweizer Heimat erinnerte. Bevor ich genauer darüber nachdenken kann, lichtet sich plötzlich der Wald. Ohne es zu merken, bin ich auf dem Zwischenplateau und somit am Kuhstall angekommen.
Auf allen Gipfeln ist Bier
Die Perspektive aus Zinggs Gemälde auf das Felsentor ist leider verbaut worden. Aber nachdem ich hindurch gegangen bin, ist der Ausblick ins Tal immer noch beeindruckend: Kilometerweit erstrecken sich Wälder, dazwischen die markanten Tafelberge. Schrammsteine, Lilienstein, Hohe Liebe, Domwächter, Hundsnasengrund, Wilde Hölle - die Namen der Naturphänomene sind originell.
Ich kehre noch kurz auf ein kaltes deutsches Getränk im urigen "Gasthaus zum Kuhstall" ein. Dann geht es weiter. Für so eine berühmte Wandergegend sind beruhigend wenige Nerds mit kniehohen Strümpfen, nordischen Stöcken und hubblestarken Ferngläsern unterwegs. Ich falle jedenfalls nicht unangenehm auf, mit meinem Golfhemd und Jogging-Schuhen.
Um nach ganz oben zu gelangen, muss ich die "Himmelsleiter" erklimmen - eine eher diabolisch schmale Metalltreppe in einer Felsspalte. Nichts für Menschen mit Platzangst. Oben angekommen, bin ich ungefähr dort, wo Caspar David Friedrichs "Der Wanderer über dem Nebelmeer" entstanden sein könnte. Anders als ihm präsentiert sich mir die Landschaft heute jedoch klar und hell. Das Grün der Bäume leuchtet mir entgegen. Ich versuche, den Panoramablick im Gedächtnis zu speichern, dann geht es zurück zum Auto. Bergab wandern macht wesentlich mehr Spaß als bergauf. Einmal höre ich sogar jemanden jodeln.
Ein Abstecher nach Bad Schandau
Unten wartet die Frage auf mich: Was nun mit dem restlichen Tag? In eines der vielen Thermalbäder zu tauchen, ist mir zu langweilig, eine Klettertour dagegen zu anstrengend. Ich entscheide mich für einen kleinen Rundgang durch die Stadt Bad Schandau. Die liegt ohnehin auf meinem Weg.
Der historische Kern ist sehr pittoresk, voller typisch sächsischer Zwiebeltürme mit den geschwungenen Giebeln. Sie erinnern an den Reichtum des einstigen Königreiches Sachsen, das heute ein Freistaat ist. Doch irgend etwas stimmt hier nicht. Die Striche an einigen Häuserwänden verraten: Hier stand bis vor kurzem noch die Elbe. Auch wenn das diesjährige Hochwasser im Vergleich zu vorigen nur mittelschweren Grades war, steht jedes zweite Geschäft leer, überall wird getrocknet und repariert. Der Betrieb des Elbresidenz-Hotels beschränkt sich auf einen Bier- und Wurststand am Ufer, die Filiale der Sparkasse im benachbarten Königstein ist zur Zeit ein am Marktplatz geparkter Bus.
Respekt vor der ewigen Naturgewalt
Der Biergarten meines Hotels im höher gelegenen Bad Schandauer Stadtteil Ostrau ist dagegen offen. Nachdem ich verständnislose Blicke ernte, als ich versuche, Rösti und Fondue zu bestellen, schmeckt auch das Steak hervorragend. Der leichte sächsische Rotwein ist noch süffiger mit Blick auf ein Fachwerkhotel und die Felsformationen im Hintergrund. Nervt es nicht, frage ich in die Runde, alle paar Jahre überflutet zu werden? Das Hochwasser würde die Wirtschaft zwar immer wieder schwer treffen, aber man mache einfach weiter, erklärt der Kellner trotzig.
Als ich am nächsten Tag nach Berlin aufbreche, denke ich über seine Worte nach. Es scheint, als nehmen die Menschen in der Sächsischen Schweiz das Hochwasser in Kauf - als Gegenpreis dafür, dass sie in einer so schönen und einzigartigen Gegend leben. Sie ergeben sich derselben Naturgewalt, die vor 90 Millionen Jahren diese Landschaft geschaffen hat. Und vielleicht war es damals auch diese Einstellung, die die Künstler Zingg und Graff an ihre Schweizer Berge erinnerte. Ich jedenfalls finde diese stoische Haltung sympathisch und komme gern wieder. Selbst als Kunstbanause und Wandermuffel.