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Die Polnische Jazz-Legende Staszek Soyka im DW-Interview

Agnieszka Rycicka
21. Dezember 2016

Er spielte vor Miles Davis, seine Platte "Acoustic" wurde von Dieter Meier von "Yello“ mitproduziert. Staszek Soyka spricht über seine Frankfurter Zeiten, wo er vor dem Mauerfall zwei Jahre lang lebte.

Rock & Chanson Festival Stanislaw Soyka
Bild: DW/A. Maciol-Holzhausen

Als völlig unbekannter Jazzmusiker kommt Staszek Soyka 1986 nach Deutschland  - aus dem kommunistischen Polen. Er unterzeichnet einen Plattenvertrag mit dem deutschen Label RCA und nimmt das Album "Stanislaw Soyka" auf. Es sollte der Beginn einer Weltkarriere werden und Soykas Aufstieg zu einer Jazz-Ikone. Mit Stars wie Miles Davis und anderen Größen der Jazz- und Rockszene stand er im Rampenlicht.

Bei der 24. Ausgabe des Festivals Rock & Chanson Breslau-Paris-Köln, die im Dezember in Köln stattfand, trat Stanislaw Soyka als Stargast auf. In einem Exklusiv-Interview für die Deutsche Welle spricht der Musiker zum ersten Mal ausführlich über jene Jahre, die er in Deutschland verbracht hat und über seine Erfahrungen mit den Deutschen.

Deutsche Welle: Sie stammen aus Gleiwitz, einer Stadt, die für ihr musikalisches Flair berühmt ist. Sind Sie ein "Wasserpolacke"?

Staszek Soyka: (lacht) Ich bin durch und durch ein "Wasserpolacke", ein waschechter Urschlesier.

Auf einem Konzertplalkat las ich irgendwann: Deutsche Klassik – von Beethoven bis Bohlen. Jetzt mal im Ernst: Welcher deutsche Komponist hat Sie am meisten beeinflusst?

Bach, Händel. Vor allem Händel und der ganze Barock. Und unter den Deutschen vor allem Telemann! Georg Phillip Telemann verdanke ich auch etwas: Für ein Examen an der Musikhochschule sollten wir ein Stück vorbereiten. Ich wählte meine Lieblingssonate von Telemann. Guter Dinge und überzeugt, gut vorbereitet zu sein, trat ich vor die Prüfungskommission und auf ein Mal ... im Kopf völlige Leere. Ich erinnerte mich an gar nichts mehr. Ich war völlig ratlos. Innerhalb von Sekundenbruchteilen, beschloss ich zu improvisieren. Als ich fertig war, sagte mein Professor nur: 'danke, Stach (Stanislaw)' - nach dem Motto 'wir rufen Sie an...'. In der nächsten Unterrichtsstunde wurde er konkreter: 'Hör zu Stach, Du weißt, dass aus Dir kein David Ojstrach wird. Vergiss die Violine! Du hast ein Talent zum Improvisieren und solltest lieber Komposition studieren.' Das tat ich dann auch.

Man könnte also sagen: Ein Deutscher hat Sie als Geiger zu Grabe getragen, um zugleich einen genialen Improvisateur und Komponisten aus der Taufe zu heben?

 (Lacht). Das war ein Schlüsselerlebnis in meinem Leben!

Bild: DW/A. Maciol-Holzhausen

Sie haben schon Sonette von Shakespeare auf Altenglisch gesungen, würden Sie auch Goethe oder Schiller singen oder vielleicht lieber Rainer Maria Rilke?

Mit diesem Gedanken trage ich mich schon seit langer Zeit. Ich liebe Rilke, obwohl ich ihn nur auf Polnisch kenne. Doch auf Deutsch würde ich es auch hinkriegen. Das steht noch bevor. 

Wie denken Sie heute über Ihre Zeit in Deutschland?

Ich hatte das Glück, mit meiner Musik in den 1980er Jahren, zur Zeit des Kommunismus, auch in den Westen reisen zu dürfen. Bald begann ich für das Plattenlabel RCA zu arbeiten. Damals wohnte ich in Frankfurt. Ich hatte einen ausgezeichneten Manager und musste mir überhaupt keine Sorgen ums Überleben machen. Gleichzeitig unterschrieb ich einen Kompositionsvertrag bei dem UFA-Label "Zyklus". Er war sehr lukrativ – für jedes Lied erhielt ich 2000 Deutsche Mark – damals ein Vermögen! Dadurch konnte ich mir ein Pendlerleben zwischen Frankfurt und Warschau leisten. Das waren die Jahre 1986, 1987 und zum Teil 1988. Meine Familie blieb in Polen. Ich wohnte wiederum hier, und so pendelte ich wie mit einer Straßenbahn der Linie "Frankfurt - Warschau" hin und her, sobald ich die Zeit fand. Und davon hatte ich jede Menge. Ich trat viel im Rundfunk und beim Fernsehen auf. Mir fehlten die Sessions mit anderen Musikern...

Was hat sie ausgerechnet nach Deutschland verschlagen?

Polnische Jazz-Legende Staszek Soyka zu DW Fans

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Im Jahr 1985 kam Bob Lyng nach Warschau, ein amerikanischer Sprachwissenschaftler, Psychologe und guter Kenner der Pop-Musik. Er arbeitete mit einer polnischen Rockgruppe. Auf Anhieb begeistere Bob sich für meine Aufnahmen und schon im Februar darauf organisierte er für mich ein Konzert in dem legendären Club "Batschkapp" in Frankfurt. Und da gab es noch einen älteren Herren von dem Label "Zyklus". Wir verabredeten diesen Kompositionsvertrag über 40 Lieder. So war ich - an nur einem Tag - sämtliche Schulden los.

War das schon die "Frankfurter Episode" ?

Nein. Wie sich herausstellte war Bob Lyng eng mit Dieter Meier und Boris Blank von der Gruppe "Yello" befreundet. Einmal kamen wir auf die Filmpläne von Dieter zu sprechen. Dabei kam heraus, dass Dieter in Polen einen Kunstfilm produzieren wollte und dass er die nötigen Kontakte brauchte. Bob sagte, dass es keinen besseren Mittelsmann gäbe als mich. Und wirklich: Ich machte ihn mit den besten Leuten bekannt. Ich singe sogar in einer Filmszene. Es war wirklich eine tolle Bekanntschaft. Irgendwann vertraute ich ihm an, dass ich mal ein Album nur mit akustischen Instrumenten aufnehmen möchte - und das zu Zeiten, als es noch kein MTV unplugged gab. Dieter finanzierte das Projekt.

Wie finden Sie das deutsche Publikum?

Es ist ausgezeichnet. Ich würde sagen...sehr gebildet und musikalisch.

Spüren Sie das auch auf der Bühne?

Natürlich! Ich denke, das liegt an der frühen musikalischen Erziehung. Die gab es früher auch in Polen. Aber seit der Schulreform ist das vorbei. Dabei ging eine gewisse Kontinuität verloren. Ganze Generationen haben den musikalischen Anschluss verpasst. Ganz schlimme Sache! Noch vor 100 Jahren wurde daheim gesungen. Also meine Mutter singt bis heute zu Hause.

Wie nützlich war für Sie der Aufenthalt in Deutschland?

Sehr nützlich. Es waren Zeiten, in denen es in Polen noch keinen solchen Kapitalismus gab, wie er im Westen bereits existierte. Ich lernte etwa, wie die Platten-Labels funktionieren, wie wichtig die Werbetrommel und das Image sind, und wie wichtig es zu wissen ist, was man eigentlich vor hat. Und natürlich die Tüchtigkeit. Ich erkannte hier, dass es immer einen nächsten Schritt geben muss. Und dass man immer nach seinem letzten Werk beurteilt wird. Außerdem lernte ich tolle Menschen kennen, tolle Deutsche, mit denen ich bis heute verbunden bin.
 

Meinen Sie, dass Künstler sich zu politischen Fragen öffentlich äußern sollten?

Nein, ich denke, Kunst und Publizistik sind zwei Paar Schuhe. 2005 habe ich mich einmal politisch engagiert - und es schnell bereut. Für mich steht fest, dass es das letzte Mal war...

Was beunruhigt Sie heute am meisten?

Am meisten beunruhigt mich der neue Umgangston. Ihre Sprache ist schlecht geworden, sehr giftig. Und ich glaube, das bleibt nicht ohne Einfluss auf unser Verhalten. Es gibt nichts Schlimmeres, als sich den Hass-Schuh anzuziehen. Ich habe schwer mit mir gekämpft, um den Hass von mir fern zu halten. Heute sage ich: Kopf hoch, meine Damen und Herren!

Stanisław Soyka, Jahrgang 1959, ist ein polnischer Jazz- und Pop-Sänger, Pianist, Gitarrist, Geiger, Komponist und Arrangeur. Das Gespräch mit ihm führte Agnieszka Rycicka am 25 November 2016  in Köln am Rande des 24. Rock & Chanson Festivals Breslau-Köln-Paris.

 

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