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Eine Milliarde Euro für saubere Luft

4. September 2017

Freie Fahrt für den Diesel und zugleich weniger Abgase in den Städten? Was nach der Quadratur des Kreises klingt, ist Ziel der Politik. Allen voran der Bundeskanzlerin. Das wird teuer. Sabine Kinkartz berichtet.

Deutschland, Messgerät zur lufthygienischen Überwachung
Bild: picture-alliance/dpa/H. Hollemann

30 Oberbürgermeister, eine Reihe Ministerpräsidenten, fünf Bundesminister und die Bundeskanzlerin, dazu noch die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände - es war eine wirklich große Runde, die sich an diesem Montag im Kanzleramt zu einem zweiten "Autogipfel" traf. Die Politik steht unter Druck und daraus macht Angela Merkel auch gar keinen Hehl: "Dass wir in ungewöhnlicher Zahl vor Ihnen sitzen deutet darauf hin, dass es sich um ein ungewöhnlich großes Problem handelt", räumte die Kanzlerin nach dem dreistündigen Treffen ein.

Das Problem, das sind Feinstaub und Stickstoffoxide, kurz NOx, ausgestoßen vor allem von älteren Dieselautos. Darunter leiden vor allem Ballungsgebiete mit ihren stark befahrenen Straßen. Seit 2008 gibt es eine EU-Richtlinie zu Luftqualität und sauberer Luft, die in Deutschland seit 2010 einzuhalten ist. Laut Umweltbundesamt werden aber nach wie vor an mehr als jeder zweiten städtischen verkehrsnahen Luftmessstation Überschreitungen des Jahresgrenzwertes gemessen.

Große Runde, großes ProblemBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Auf keinen Fall Fahrverbote

In Stuttgart zog die Deutsche Umwelthilfe deswegen vor das Verwaltungsgericht und gewann. Ab Januar 2018 seien die EU-Grenzwerte für Luftqualität tatsächlich einzuhalten und müssten notfalls mit Fahrverboten für ältere Diesel-Autos durchgesetzt werden, so lautet das Urteil. Das aber will die Politik unbedingt vermeiden. "Wir alle sind der Meinung, dass wir pauschale Fahrverbote für einzelne Antriebsarten oder Kfz-Typen ablehnen", fasste Angela Merkel das Ergebnis der Diskussion mit den Vertretern der Kommunen und der Länder zusammen. Man wolle "alles denkbar Mögliche unternehmen", um solchen Fahrverboten vorzubeugen.

Merkel spricht von einem "Kraftakt" der zu bewältigen sei und sieht Handlungsbedarf in zwei großen Bereichen. Zum einen bei der Automobilindustrie, die mit Softwareupdates den Emissionsausstoß bereits zugelassener Fahrzeuge verringern soll und Prämien zum Tausch älterer Dieselfahrzeuge anbietet. "Das Software-Update ist ein erster und wichtiger Schritt", urteilt Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann. "Aber er wird noch nicht reichen, um der Gefahr von Fahrverboten zu entrinnen", so der Grünen-Politiker.

Eine Milliarde für die Kommunen

Bereits Anfang August wurde daher ein sogenannter Mobilitätsfonds ins Leben gerufen. Mit dem Geld sollen Kommunen, die besonders stark von Stickoxid-Emissionen betroffen sind, den öffentlichen Nahverkehr sowie den Fahrrad- und Fußgängerverkehr fördern. Die Infrastruktur für E-Mobilität soll verbessert und öffentliche Nahverkehrsangebote sollen so vernetzt werden, dass sie deutlich attraktiver werden. Zudem soll mit dem Fonds in die Digitalisierung der Verkehrssteuerung investiert werden, um Staus und damit zusätzliche Emissionen zu verhindern.

Protest der Grünen vor dem Kanzleramt. Ihnen reichen die Maßnahmen nicht aus.Bild: picture-alliance/S. Stache

Zunächst war der Fonds als Ergebnis des ersten Dieselgipfels mit 500 Millionen Euro angesetzt, die Bundesregierung will ihn nun auf eine Milliarde Euro aufstocken. Dazu sollen im laufenden Haushalt Gelder umgeschichtet werden. Die Automobilindustrie hat bisher 250 Millionen Euro für den Fonds zugesagt. Bundesaußenminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel reicht das im Licht der jetzt vereinbarten Aufstockung nicht aus. "Ich finde, es kann auch durchaus mehr sein", so Gabriel nach der Diskussion im Kanzleramt.

Busverkehr umstellen

Alle Kommunen hätten längst Pläne für die Luftreinhaltung erarbeitet, betonte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet. Mit Hilfe des Fonds könnten diese Pläne nun "mit Substanz" versehen werden. Beispielsweise könnten ältere dieselbetriebene Busse in den Städten technisch nachgerüstet werden. "Ein Prozent aller Fahrzeuge in Deutschland sind Busse, sie sind aber für 20 Prozent der Emissionen zuständig", so Laschet.

Hamburg und Berlin haben bereits vereinbart, ihren öffentlichen Busverkehr ab 2020 schrittweise auf Elektrobusse umzustellen. 200 Busse sollen pro Jahr angeschafft werden. "Das ist eine erhebliche Nachfrage, die wir da auslösen", betont der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller. Die deutsche Industrie reagiere allerdings recht zögerlich. "Wir haben bis jetzt nicht die entsprechenden Angebote", kritisiert Müller. "Da muss mehr passieren, wir brauchen die Innovationen unserer ja durchaus gut aufgestellten Industrie, damit wir den Anschluss nicht verlieren."

Und wo bleibt der Klimaschutz?

Doch solange die Elektromobilität noch nicht nachkommt, wird der Dieselmotor schon allein deswegen nötig sein, um den CO2-Ausstoß im vereinbarten Rahmen zu halten. Die Politik steckt in einem Dilemma, das wurde auch bei dem Treffen im Kanzleramt noch einmal deutlich. Zwar stehe die Luftreinhaltung jetzt im Vordergrund, so der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann. Darüber dürfe man aber weder den Klimaschutz aus den Augen verlieren, noch "die Wertschöpfung durch die Automobilindustrie, die als Garant für Arbeitsplätze zu den tragenden Säulen unseres Wohlstands gehört".

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