Eine neue Ära für Frankreichs Sozialisten
29. Januar 2017Man könnte meinen, dass das Ergebnis der Vorwahlen von Frankreichs Sozialisten keine große Bedeutung hat. Zumindest nicht für die Präsidentschaftswahl in diesem Jahr. Schließlich liegt die sozialistische Partei (PS) in den Umfragen auf Platz fünf - noch hinter Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National, François Fillon von den Republikanern, dem ehemaligen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron und dem linksextremen Kandidaten Jean-Luc Mélenchon. Aber für die PS ist der Ausgang dieser Vorwahlen wegweisend. Er wird der Partei in jedem Fall stürmische Zeiten bescheren, im schlimmsten Fall ihre Zersplitterung herbeiführen. Und könnte somit die französische Parteienlandschaft neu ausrichten.
Die Stichwahl bei den Sozialisten war eine Grundsatzentscheidung. Es war die Wahl zwischen einer Mitte-Links-Politik, verkörpert durch den ehemaligen Premierminister Manuel Valls, und einer stark linksgerichteten Linie, personifiziert durch Benoît Hamon.
Eine Ohrfeige für François Hollande
Dass Valls nach Auszählung fast aller Stimmen mit etwa 41 zu 59 Prozent verloren hat, ist wie eine Ohrfeige für François Hollande, den laut Umfragen unbeliebtesten Präsidenten der Fünften Französischen Republik. Der Ex-Premier war in dieser Wahl das Symbol der Politik der vergangenen fünf Jahre. Er repräsentierte beispielsweise das umstrittene Arbeitsgesetz, das den Kündigungsschutz lockerte - und eine harte Linie gegenüber dem Terrorismus. Doch genau dagegen haben die Wähler gestimmt - für viele galt die Devise "tout sauf Valls", alles außer Valls. Und somit auch alles außer Hollande.
Und sie haben sich für Hamon entschieden - den ehemaligen Bildungsminister, der sich ja schon früh in Hollandes Legislaturperiode den sogenannten Frondeurs, den Rebellen im Parlament, angeschlossen hatte. Die haben systematisch gegen Gesetzesvorhaben der Regierung gestimmt, weil diese ihnen einfach nicht links genug waren. Hamon steht unter anderem für eine 32-Stunden-Woche und ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Vorschläge, die Valls unrealistisch nannte. Für Hamon sind sie eine "erstrebenswerte Zukunft". Die Franzosen scheinen also genau das zu wollen - eine Linke, die wieder zum Träumen anregt.
"Rücktrittsrecht" aus "Gewissensgründen"
"Es ist, als ob eine neue Ära angebrochen wäre", sagt Bruno Cautrès, Politologe am Forschungsinstitut Cevipof in Paris, im DW-Interview. "Die Zeit der Gemeinsamkeit, in der jemand wie François Hollande alle verschiedenen Strömungen der Linken unter einem Banner vereinen konnte, ist vorbei. Stattdessen wird jetzt klargestellt, für welche Werte genau die PS steht."
In Begeisterung versetzt das längst nicht alle Mitglieder der Partei. Und es könnte sogar dazu führen, dass ein Teil von ihnen abwandert - entweder zum ehemaligen Wirtschaftsminister Macron, der für eine marktorientierte Politik steht, oder aber in eine neue zentrumsorientierte Partei. Mehrere Mitglieder des zentrumsnahen Flügels der Partei haben angekündigt, von ihrem "Rücktrittsrecht" Gebrauch machen zu wollen. Das heißt, sie wollen "aus Gewissensgründen" nicht in Hamons Wahlkampfkampagne miteinbezogen werden. "Wir haben uns die vergangenen Jahre für die Regierungspolitik eingesetzt und können doch nun nicht auf einmal das Gegenteil vertreten", sagte der Abgeordnete des südwestlichen Départements Gilles Savary. Einen entsprechenden Text will er am Dienstag beim Parlamentstreffen der PS-Abgeordneten vorlegen.
Hinter den Kulissen schließen manche Parteikader auch einen dritten Weg nicht aus. Sie könnten eine neue Bewegung gründen zwischen Hamons träumerischer und Valls' realistischerer, brutalerer Linie.
Aufsplitterung würde PS weiter schwächen
Eine Aufsplitterung täte der PS aber alles andere als gut, meint Florence Faucher, Politologin am Institut für europäische Studien der Pariser Universität Sciences Po. "Um die Partei ist es wirklich nicht gut bestellt", sagt sie. Aktuell habe die PS nur noch 113.000 Mitglieder, 60.000 weniger als noch 2012. "Und bei jeder Abspaltung verliert sie ja noch mehr finanzielle Mittel."
Hamon wird im Gegenzug versuchen, von links mehr Unterstützung zu bekommen. Das sagte er auch in seiner Siegesrede am Sonntagabend in Paris. Er wolle mit den Grünen und Mélenchons Linken "eine kohärente Regierungsmehrheit bilden", so der Präsidentschaftskandidat. In der Tat decken sich seine Vorschläge in Sachen Umweltschutz praktisch mit denen der Grünen. So manch ein Parteimitglied hofft, dass solche Allianzen der Partei neuen Aufwind geben könnten - selbst für die kommende Präsidentschaftswahl.
"Die Würfel sind noch längst nicht gefallen", sagt auch Cautrès. "Schließlich erleben wir bei diesen Wahlen ständig Überraschungen. Es war weder vorauszusehen, dass François Fillon die republikanischen Vorwahlen gewinnt, noch dass Hamon sozialistischer Kandidat wird." So könne auch die jüngste Kontroverse um François Fillon, der jahrelang seine Frau in einem fiktiven Job beschäftigt haben soll, die Karten neu mischen. Ein sozialistischer Sieg bei der Präsidentschaftswahl liegt dennoch bisher in sehr weiter Ferne: Hamon würde laut aktuellen Umfragen im ersten Wahlgang nur auf acht Prozent der Stimmen kommen.