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Eine neue Kirchenlehrerin: Hildegard von Bingen

6. Oktober 2012

Hildegard von Bingen wurde in diesem Jahr heiliggesprochen und erhält am 7. Oktober den Titel einer Kirchenlehrerin. Eine Ermutigung für Frauen, meint Hildegard König im Wort zum Sonntag der katholischen Kirche.

Prof. Dr. Hildegard König, Chemnitz
Prof. Dr. Hildegard König, ChemnitzBild: Hildegard König

Sie war „eine wahre Meisterin der Theologie, darüber hinaus eine Gelehrte der Naturwissenschaften und der Musik“. So rühmte Papst Benedikt, der Sechzehnte, in seiner Ansprache vom 27. Mai Hildegard von Bingen.

Die populäre Benediktinerin, allzu oft als esoterische Lichtgestalt mit Kompetenz in Sachen Kräutertee und Dinkelplätzchen vermarktet, ist als große Mystikerin geschätzt und seit je als Heilige verehrt. Jetzt wurde sie ganz offiziell heiliggesprochen.

Mich freut diese höchste kirchliche Anerkennung, weil mit ihr eine Frau geehrt wird, die in ihrer Zeit mutig das tat, was sie als göttlichen Auftrag wahrnahm.

Diese Frau des 12. Jahrhunderts, eine Adelige und schon als Kind zum geistlichen Leben bestimmt, kränklich und früh von Visionen heimgesucht, wird im Laufe ihres Lebens zur Prophetin, zur Ratgeberin für Kirchenfürsten, Könige und Kaiser, zur Seelsorgerin für große und kleine Leute, zur Gelehrten, Dichterin und Musikerin und zur zielbewussten Managerin ihrer Klöster.

Stets stellt sie sich selbst als schwachen, ungebildeten Menschen dar und geht doch immer wieder über die durch Stand und Geschlecht gesetzten Grenzen hinaus, angetrieben von einem unerschütterlichen, risikofreudigen Glauben und begabt mit einem nüchternen, realistischen Verstand. Sie weiß, wie riskant es ist, als Prophetin aufzutreten mit dem Anspruch, Gottes Wort zu verkünden. Leicht gerät eine wie sie dabei unter Häresieverdacht. Deshalb sucht sie, als sie dreiundfünzigjährig ihre erste Visionsschrift veröffentlicht, die kirchliche Anerkennung. Und die wird ihr von höchster Stelle gewährt.

Obwohl ihr als Frau klassische Bildung verwehrt ist, kennt sie die neuen Entwicklungen in der Theologie ihrer Zeit und integriert sie in ihr Denken. Diese intellektuelle Leistung einer Frau war für Gelehrtengenerationen unvorstellbar und blieb deshalb lange, bis in unsere Zeit hinein, unbeachtet. Dabei zeigen ihre Schriften, dass sie alle Möglichkeiten nutzte, die ihr das geistliche Leben und ihre adlige Herkunft boten, um Kenntnisse zu gewinnen: Ihre Briefe und Abhandlungen lassen die vielfältigen schriftlichen und mündlichen Wege erahnen, über die sie Anteil erhielt am Wissen und den brennenden Fragen ihrer Zeit.

Und mit ihren Antworten gehört sie zu den Modernen damals, wenn sie etwa die Gutheit und Schönheit der Schöpfung feiert und zugleich einen nüchtern-neugierigen Blick auf die Welt richtet; wenn sie die Würde des Menschen als Mann und Frau betont und sich zugleich pragmatisch mit allen möglichen Gebrechen befasst; oder wenn sie Gott in seiner Liebe mit den traditionellen Bildern der Bibel beschreibt und zugleich neue Farben und Züge ins Spiel bringt und Gott als Mutter oder die göttliche Barmherzigkeit als weibliche Gestalt vorstellt.

Damit steht Hildegard nicht allein: Es ist die Stimmung ihrer Zeit, in der sich eine neue, persönliche Frömmigkeit durchsetzt, in der neue Methoden und Ideen das Denken beflügeln. Aber dass eine Frau damals derart öffentlich auftrat, dass sie Fürsten offen ermahnte und Kleriker hart kritisierte, dass sie predigte und damit gegen alle kirchliche Ordnung verstieß, und dass sie dennoch innerhalb und außerhalb der Kirche als Autorität anerkannt war, das sprengt für viele Jahrhunderte die Normen und wird gerade dadurch zum Merkmal ihrer Epoche.

Wenn Hildegard von Bingen an diesem Sonntag den Ehrentitel einer Kirchenlehrerin erhält, und so als rechtgläubig, außergewöhnlich gelehrt und heilig anerkannt wird, dann ist das für mich ein Hoffnungszeichen für Theologinnen und Frauen in der Kirche überall auf der Welt: Denn wo die ihren prophetischen Auftrag ernst nehmen, wo sie sich nicht mit traditionellen Rollenerwartungen abfinden, sondern aus ihrem Glauben heraus eine neue Sprache und neue Bilder finden, neue Formen von Gemeinschaft und Leitung und neue Visionen von Kirche entwickeln, da können sie sich mit guten Gründen auf die Kirchenlehrerin Hildegard berufen. „Die Frauen können in ihr ein mächtig leuchtendes, ganz erfülltes Lebensbeispiel entdecken …“, schreibt Papst Benedikt in seinem Dekret vom 10. Mai. Nehmen wir den Papst beim Wort!

Dr. Hildegard König ist Professorin für Kirchengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Darüber hinaus ist sie als freie Dozentin tätig.

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