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Eine politische Institution: Wolfgang Schäuble ist tot

27. Dezember 2023

Wolfgang Schäuble ist mit 81 Jahren im Kreise seiner Familie gestorben. Der CDU-Politiker war Angela Merkels Finanzminister während der Eurokrise. Er war auch an den Verhandlungen zur deutschen Einheit 1990 beteiligt.

Wolfgang Schäuble im deutschen Bundestag
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist totBild: Christian Thiel/imago

Wolfgang Schäuble ist tot. Ein Politiker mit Leidenschaft, protestantischem Pflichtgefühl und Durchsetzungsvermögen ist gegangen. Ein Mann, der sich von Niederlagen und Schicksalsschlägen nie hat unterkriegen lassen.

Wolfgang Schäuble (Jahrgang 1942) war so etwas wie menschgewordene Politikgeschichte der Bundesrepublik - erst West-, dann Gesamtdeutschland. Seit 1972 war der CDU-Politiker ohne Unterbrechung Bundestagsabgeordneter. Das ist ein Rekord: In rund 150 Jahren nationaler Parlamentsgeschichte hat das niemand vor ihm geschafft.

Ein Leben ohne Politik war für Schäuble unvorstellbar. "Ich bin Parlamentarier aus Leidenschaft", bekannte er immer wieder. In einem Interview danach gefragt, wie es sich anfühle, rund ein halbes Jahrhundert lang Politik im Bundestag geprägt zu haben, antwortete Schäuble - wahrscheinlich mit einem verschmitzten Lächeln um den Mund, blitzenden Augen und wohl mit einem für ihn typischen Anflug von intellektueller Ironie: "Da sehen Sie, wie viel Freude Politik macht."

Der damalige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble (re.) und der frühere CDU-Vorsitzende, Bundeskanzler Helmut Kohl, während einer Wahlkampf-Veranstaltung in der Dortmunder Westfalenhalle 1998Bild: Franz-Peter Tschauner/dpa/picture alliance

Wolfgang Schäuble: "Leben ist Hoffnung"

Zwei Zäsuren prägten das politische und private Leben des Mannes aus Baden: Nach einem versuchten Mordanschlag 1990 war Schäuble auf den Rollstuhl angewiesen. Zehn Jahre später musste er den CDU-Parteivorsitz aufgeben und damit die Aussicht darauf, einmal Bundeskanzler zu werden.

Der Sohn eines CDU-Kommunalpolitikers aus Freiburg studierte Wirtschaftswissenschaften, wurde Jurist mit Doktortitel. Helmut Kohl, gerade neu gewählter Bundeskanzler, berief ihn 1984 in die damalige Regierungszentrale in Bonn. Er wurde Chef des Kanzleramtes und damit Organisator der Macht. An ihm kam keiner mehr vorbei. 1989 wurde Schäuble Innenminister und die Gunst der Stunde katapultierte ihn ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Er verhandelte nach dem Fall der Mauer maßgeblich den Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.

Unterzeichnung des Einigungsvertrages: Schäuble (li.) mit dem damaligen DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maiziere (M) und dem früheren DDR-Staatssekretär Günther Krause (re.) am 31.08.1990Bild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Nur wenige Wochen später, am 12. Oktober 1990, schoss ein psychisch kranker Mann bei einer Wahlveranstaltung auf Schäuble und verletzte ihn lebensgefährlich. Er saß seitdem - vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt - im Rollstuhl. Aufgeben: für ihn keine Option! Er habe nicht allzu lang gehadert, erinnerte er sich einmal. Er habe sich gesagt: "Ich kann es nicht ändern, aber solange ich lebe, lebe ich." Sechs Wochen nach dem Anschlag gab er im Rollstuhl sitzend seine erste Pressekonferenz.

Knapp sechs Wochen nach dem Attentat gibt Wolfgang Schäuble am 22.11.1990 in der Rehabilitationsklinik Langensteinbach bei Karlsruhe seine erste PressekonferenzBild: Norbert Försterling/dpa/picture-alliance

Im Strudel der CDU-Parteispendenaffäre

1998 wurde Wolfgang Schäuble Vorsitzender der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU). Bundeskanzler Helmut Kohl betonte immer wieder, er wünsche sich Schäuble als Nachfolger im Kanzleramt. Es kam anders. Ende 1999 wurde bekannt, dass es in der Zeit von Kanzler Helmut Kohl illegale Parteispenden an die CDU gab und geheime Konten. Nur wenige Wochen später gab Wolfgang Schäuble zu, von einem Waffenhändler 100.000 D-Mark für die schwarzen CDU-Kassen erhalten zu haben. Er trat als Parteivorsitzender zurück. Ein "heftiger Schlag" sei das gewesen, sagte Schäuble in einem Interview mit der Schweizer Tageszeitung Neue Zürcher Zeitung (NZZ).

Minister mit Ecken und Kanten

In den Jahren, als die CDU in der Opposition (1998-2005) ist, konzentrierte sich Wolfgang Schäuble auf Außen- und Sicherheitspolitik. In der Großen Koalition ab 2005 wurde er zunächst Innen- und dann Finanzminister. "Einen harten Hund" nannten sie ihn in der Opposition. So befürwortete er zum Beispiel ein Luftsicherheitsgesetz, das es möglich machen sollte, ein von Terroristen gekapertes Flugzeug abzuschießen. Der Vorschlag scheiterte. 

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Unter seiner Ägide als Finanzminister (ab 2009) beschloss die schwarz-gelbe Koalition das größte Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch damit machte sich Wolfgang Schäuble nicht nur Freunde. In der Euro-Krisewurde er sogar regelrecht zum Feindbild vieler Griechen, weil er dem Land eine strikte Spardisziplin verordnete. 

Traumjob Parlamentspräsident

Im Oktober 2017 wurde Wolfgang Schäuble Präsident des Deutschen Bundestages; zweiter Mann im Staat. Aber wohl erste Wahl für ihn. Wolfgang Schäuble war in dieser Position respektiert als einer der besten Redner. Und als einer, der mit seinem scharfen Verstand, dem tiefen Grundverständnis der deutschen Demokratie und seinem Humor die Bundestagssitzungen leitete wie kein anderer.

Der "Parlamentarier aus Leidenschaft" hatte wohl seinen Traumposten gefunden und war ausgesöhnt mit den Ränken der Macht, die er immer wieder hautnah erlebt hatte. Souverän zwang er auch die rechtspopulistische und rebellische AfD zur Einhaltung der Parlamentsgepflogenheiten. Mit scharfer Gegenrede, Rügen und Ordnungsgeldern. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel wies er zurecht, wenn sie ihre Redezeit überzog. Er war die unumstrittene Parlamentsautorität. 

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Und das blieb er auch; selbst als "normaler" Abgeordneter des Deutschen Bundestages nach der Wahl im September 2021. Nicht mehr Mitglied des Hohen Hauses sein, das konnte sich einer wie Wolfgang Schäuble gar nicht vorstellen. 

Impulsgeber bis ins hohe Alter

Wolfgang Schäuble blieb bis ins hohe Alter hinein ein Ideengeber und konservativer politischer Visionär. Er suchte immer die intellektuelle Herausforderung. Anfang 2021 veröffentlichte er ein Buch unter dem Titel: "Grenzerfahrungen - wie wir an Krisen wachsen". Das Buch ist so etwas wie das Credo seines Politikerlebens. Es zeigt Schäubles Neugier, seine Freude am Streit und den Spaß an Innovationen. In der Corona-Pandemie erkannte Wolfgang Schäuble auch eine Chance, die "Unbeweglichkeit" in Deutschland zu überwinden: "Viele Menschen in unserem Land spüren, dass es Veränderung braucht." 

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wolfgang Schäuble als damaliger Bundesfinanzminister während einer Bundestagsdebatte 2015 in BerlinBild: Rainer Jensen/dpa/picture alliance

Ein Satz könnte fast leitmotivisch über seinem Leben stehen: "Wir haben die Freiheit, die Welt, in der wir leben, besser zu machen, Großes leisten zu können." Daran hat Wolfgang Schäuble geglaubt. Zeit seines Lebens. Er sei friedlich im Kreise seiner Familie eingeschlafen, ließen seine Angehörigen wissen. Wolfgang Schäuble hinterlässt seine Ehefrau Ingeborg und vier Kinder.

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