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Glaube

Eine Religion, zwei Welten

Tessa Clara Walther
21. August 2019

In Westeuropa blicken Pfarrer oft auf leere Kirchenbänke. Ganz anders in Sambia. Dort sind über 95 Prozent der Menschen bekennende Christen und es werden mehr. Eine Suche nach Gründen von Tessa Walther.

10. Weltkonferenz von Religions for Peace
Bild: picture-alliance/dpa/K.-J. Hildenbrand

Auf der Bühne fassen sich Vertreter verschiedener Religionen an der Hand. Dutzende von Stuhlreihen füllen den Saal in gedämpftem Licht. Der Blick von hinten auf die Bühne geht vorbei an bunten Gewändern, eng gewickelten Kimonos, schwarzen Anzügen. Die zehnte Weltversammlung von "Religions for Peace” in Lindau am Bodensee mit Teilnehmern aus 125 Ländern ist auch ein Kosmos im Kleinen. Einer der Anzugträger ist der pentekostalische Bischof David Masupa. Der 59-Jährige ist Vorsitzender der "Unabhängigen Kirchen von Zambia”, einer ökumenischen Dachorganisation mit mehr als 1500 Kirchen, und geschätzten 200.000 Gläubigen. Und jedes Jahr werden es mehr: "Wir haben in Sambia eine klare Ausbreitung des christlichen Glaubens. Jeden Monat bekomme ich Anfragen von mindestens zehn Kirchen, die uns beitreten wollen.”

Im gleichen Saal, nur ein paar Reihen weiter, sitzt der katholische Priester Franz Brendle. Jahrelang hat der heute 78-Jährige selbst eine katholische Gemeinde in der Nähe von Ludwigsburg geleitet, heute ist er Vorsitzender der deutschen Abteilung von "Religions for Peace”. Auch er ist begeistert von der Eröffnungsfeier der fünftägigen Veranstaltung. Doch von der gleichen Begeisterung für die Kirche in Deutschland kann er nicht sprechen: "Ich bin oft noch als Vertretung sonntags in den Gemeinden, und da bin ich manchmal fast der Jüngste mit über 70. Das ist schon ein bisschen bedrückend und beschämend für mich.”

"In Westeuropa ist die Verbundenheit mit der Kirche rückläufig"

Franz Brendle (r) auf der Weltversammlung in LindauBild: DW

Franz Brendle ist damit nicht allein. In Westeuropa sinkt die Zahl der Menschen, die sich der christlichen Konfession angehörig fühlen, jedes Jahr weiter. Eine Untersuchung des PEW-Research-Center in den USA ergab 2018, dass Zentral- und Osteuropäer Religion - nicht nur das Christentum - für wichtiger in ihrem Leben halten als Westeuropäer. Nur elf Prozent aller Deutschen bezeichneten Religion als sehr wichtig. Die Zukunft sieht nicht mehr so gut aus für die Kirchen im einst so christlichen Europa.

"In ganz Westeuropa sehen wir, dass das Gefühl der Verbundenheit mit der Kirche rückläufig ist”, sagt der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack. Für ihn liegt das vor allem daran, dass die Menschen in Europa heute sehr viel mehr über ihr eigenes Leben bestimmen könnten als früher. "Das betrifft alle Lebensbereiche, von der Partnerwahl bis hin zur Berufswahl und eben den religiösen Bereich.” Diese neuen Freiheiten seien mit der Kirche, die oft als autoritäre Institution wahrgenommen werde, nicht vereinbar. Priester Brendle stimmt zu: "Diese hierarchischen Strukturen, gerade in der katholischen Kirche, das akzeptieren die jungen Leute heute nicht mehr.”

Kirche, Familie, Staat - in Sambia stark vernetzt

Ganz anders in Sambia. Dort scheinen besonders junge Menschen der Kirche dankbar. Denn sie helfe vielen von ihnen, eine Ausbildung oder einen Job finden. Die Institution sei im Land gut vernetzt, erklärt Bischof Masupa. Er ist selbst Vorstandsmitglied einiger privater und öffentlicher Institutionen. Diese Hilfe sei in seinem Land viel wert. Zwar liegt die Arbeitslosenquote offiziell nur bei rund acht Prozent. Aber Masupa klagt über schwere soziale und wirtschaftliche Probleme. Die Menschen würden mehr trinken, sexuelle Gewalt nehme zu. "Die Kirchen spielen da eine sehr große Rolle, um die Missstände in der Gesellschaft aufzufangen.”

Bischof David Masupa auf der Weltversammlung der Religionen Bild: DW

Doch neben der Kirche spielen auch die Familien eine wichtige Rolle, um den christlichen Glauben in vielen afrikanischen Ländern weiterzugeben und zu verbreiten, erklärt Religionssoziologe Pollack. Denn anders als in Europa gibt es in Sambia keinen Sozialstaat. Es sind die Verwandten, die für sich selbst sorgten. "Die Familien haben eine starke Stellung, und über die wird natürlich auch die Religion transportiert. Das sind Strukturen, aus denen man sich nicht ohne weiteres herausbewegen kann.” Eine soziale und finanzielle Abhängigkeit, die ganz im Gegensatz steht zur individuellen Freiheit der Europäer. Der Gegensatz verrät viel von dem, was die katholische Weltkirche derzeit beschäftigt und was auch in Lindau bei Gesprächen zu spüren ist.

"Den Leuten auf's Maul schauen"

Genau diese Freiheit sollten die Kirchen in Deutschland laut Priester Brendle ernst nehmen, um die Menschen wieder für die Kirche zu begeistern. Er fordert mehr Mitspracherecht für Gemeinden und will den Mitgliedern wieder näher kommen: "Luther hat schon gesagt ‘Man muss den Leuten aufs Maul schauen'.” Gemeint ist: Die Kirche sollte die Sprache der Menschen sprechen, nicht an traditionellen Liturgien festhalten, sondern in der Moderne ankommen. Dazu gehöre, dass auch Frauen als Priesterinnen zugelassen werden, genauso wie verheiratete Männer.

Bischof Masupa muss sich mit diesen Fragen nicht beschäftigen - denn modern zu sein, erklärt er, bedeute in seinem Land christlich zu sein. Und dazu gehöre eine klare Botschaft: "Der christliche Glaube gibt den Menschen in Sambia Hoffnung, Hoffnung dass Gott für sie sorgt und dass sie die aktuellen Probleme bewältigen werden.” Er ist sich sicher, dieser Glaube wird die Menschen noch für viele Jahrzehnte begleiten.

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