Kunstvolle Gebetsräume
30. März 2012Stolz präsentiert Mustafa Pinarci vom türkisch-islamischen Kulturverein Diyanet einer kleinen Besuchergruppe die Innenräume einer noch im Bau befindlichen Moschee in Esslingen. Gezielt stellen die Teilnehmer Fragen wie: "Wer finanziert den Moscheebau?“ Oder: "Warum wird eine eigene Gebetsebene für Frauen errichtet?“ Der Moscheeführer zeigt den Besuchern Spendenlisten und erklärt, dass der Bau auch durch viele freiwillige Zuwendungen finanziert werde. Erstaunt reagieren die Teilnehmer der Gruppe, überwiegend Frauen, auf die Aussage des Moscheeführers, dass Muslimas nicht gerne gemeinsam mit Männern beten. "In den unterschiedlichen Gebetshaltungen könnten sich die Frauen durch Blicke der Männer gestört fühlen", sagt Pinarci weiter.
Den 25-jährigen Studenten freut es, dass Nichtmuslime sich für den Islam und die neue Moschee interessieren: "So können Vorurteile und Missverständnisse leicht abgebaut werden“, meint er.
Zuvor waren die Exkursionsteilnehmer in der Ausstellung "Kubus oder Kuppel" in Stuttgart. Die ifa-Galerie zeigt hier bis Anfang April die Entwicklungen und Strömungen im Moscheebau weltweit. Zusätzlich gibt es Werkstattgespräche, Vorträge und Führungen zu islamischen Gotteshäusern im Stuttgarter Raum. Die Galerie gehört zum Institut für Auslandbeziehungen e.V. Die ifa-Galerien Stuttgart und Berlin stellen in der Regel zeitgenössische Kunst aus aller Welt vor.
Der Moscheebau boomt
"Seit 2009 befinden sich in Deutschland 120 neue Moscheen im Bau und 2000 Gebets- und Versammlungsräume gibt es schon. Das war Anlass genug, in dieser Ausstellung einmal umfassend über Moscheen zu informieren“, sagt Valérie Hammerbacher, eine der Kuratorinnen.
Es bedarf eigentlich recht wenig, um ein muslimisches Gotteshaus zu bauen. Zur Zeit des Propheten Muhammad bestand das Zentrum einer Moschee, der Gebetsraum, aus einem von Mauern umgebenen und mit Palmenblättern bedeckten Platz. Bis heute gibt es für die muslimischen Gotteshäuser kaum Gestaltungsvorschriften. Abgesehen von einer nach Mekka ausgerichteten Wand, der Kibla. Alles andere kann von den Bauherren immer wieder neu erdacht, erfunden und erbaut werden.
Die Ausstellung in Stuttgart zeigt 30 Beispiele aus aller Welt, von den 1960er Jahren bis heute. Die Schau ist in vier Sektionen gegliedert: Neue Wege, (Un)sichtbarkeit, Zeitgenossenschaft und Begegnungen.
Neue Wege
"Die klassischen Formen von Moscheen wie Pfeiler, Iwan (eine dreiseitig geschlossene Halle, die an ihrer Vorderseite offen ist ) und Kuppelmoschee wurden von Architekten weltweit völlig neu zusammengesetzt“, erklärt Valérie Hammerbacher. Ein Beispiel dafür ist die Etimesgut Camii Moschee im türkischen Ankara. Hier hat der Architekt Cengiz Bektas Ende der 60er Jahre im Auftrag des Militärs eine Moschee erbauen lassen, die eher an einen Bunker erinnert. Anstelle einer Kuppel hat sie ein Flachdach, und das gedrungene Minarett ist nicht als eigenständiger Gebäudeteil ausgeprägt, sondern dem Bau angegliedert
Eine weitere Moschee, die für Arbeitsmigranten in Deutschland gebaut wurde, fällt durch eine markante Kuppel auf. Sie ist aus Stahlbeton und durch Glasfassaden über zwei Geschosse geöffnet. Die Kuppel überwölbt den Gebetsraum vollständig. Das Islamische Zentrum wurde 1973 in München-Freimann vom türkischen Architekten Osman Edip Gürel errichtet und bietet Platz für 350 Personen.
In der niederländischen Hauptstadt Amsterdam wurde 2009 ein Multifunktionsgebäude errichtet. Auf rund 1600 Quadratmetern befinden sich darin zwei große Gebetsräume sowie Räume für Verwaltung und Fortbildung. Bei der Umsetzung des Bauvorhabens galt es, die Interessen zweier eigenständiger Moscheegemeinden zu berücksichtigen, einer marokkanischen und einer türkischen.
Das Minarettverbot in der Schweiz regte das Züricher Architektenbüro Frei und Saarinen dazu an, einen Hochhausentwurf zu machen, der die Form eines Minaretts ausspart. Nach Einbruch der Nacht rückt die kubische Form des Bürohauses in den Hintergrund, die Umrisse des Minaretts werden von innen beleuchtet. Obwohl die Moscheetürme oft ein Streitpunkt bei Neubauprojekten sind, sind sie nicht zwingend. Die meisten Hinterhofmoscheen, die sich in Fabriketagen oder Industriegebieten befinden, haben keine.
Zeitgenossenschaft
Die Sektion Zeitgenossenschaft thematisiert die Entwicklung einer eigenen Formensprache, die den Islam als zeitgenössische und zeitgemäße Religion präsentieren soll.
So entstand 2005 im oberbayerischen Penzberg eine kubische Moschee. In die Stahlplatten des Minaretts ist der Ruf des Muezzins in arabischer Kaligraphie geschnitzt.
Eines der schönsten Beispiele für die Neuinterpretation des Moscheebaus ist die preisgekrönte Chandagaon Mosque in Chittagong in Bangladesch. Vorplatz und Moscheebereich sind als gleichgroße kubische Einheiten definiert und nur durch Glastüren und eine Stufe im Boden voneinander getrennt.
Begegnungen
Die dritte Sektion der Ausstellung thematisiert den Bereich Begegnungen. Präsentiert werden hier klassische Bauformen. Aber auch die Öffnung anderen Religionen gegenüber. Ein Beispiel dafür ist die Dogramacizade Ali Pasca Camii Moschee im türkischen Ankara. Sie ist Teil einer privaten Hochschule. Ein zentraler Hof verbindet dort die Moschee mit der Synagoge und der Kapelle. So haben Christen und Juden Gelegenheit zur spirituellen Einkehr in allen drei Gebetsräumen.