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SMS für die Freiheit

Martina Zimmermann29. Juni 2012

"Was nützt die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann? Diese Frage stellen sich zahlreiche Frauen nach dem "Arabischen Frühling". Eine Künstlerinitiative im Mittelmeerraum sucht nach Antworten.

Foto der Seite harassmap.org (Foto: DW)
Bild: DW

!In unserem Ensemble singe ich und tanze ich!, erklärt Nouria vom Finsi Mosaik Ensemble: "Für mich ist der Tanz ein Ausdruck von Freiheit, und wenn Frauen nicht tanzen dürfen, ist ein Land nicht frei. Wenn die Frauen nicht frei sind, herrscht keine Demokratie!" Der Tanz ist für sie ein Symbol: es gehe um Freiheit in allen Formen.

"Was aber nützt die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann!, formulierte die Feministin Emma Goldmann. Sie beschrieb damit die Lage vieler Frauen in Nordafrika und Nahost, deren Alltag auch nach dem arabischen Frühling von Ausgrenzung, sexueller Belästigung und Gewalt geprägt ist. Und sie prägte damit das Motto einer Initiative "Fonds für Frauen im Mittelmeerraum", in der Künstlerinnen festliche Abende veranstalten, um Geld für emanzipatorische Projekte für Frauen in der Mittelmeerregion zu sammeln.

Bedrohte Rechte

"Die Frauen waren sehr präsent während der Revolution, sie haben oft in vorderster Front für eine gerechtere Gesellschaft gekämpft", sagt Caroline Sakina Brac de la Perrière, eine der Gründerinnen des Fonds. "Doch nun stellen fundamentalistische oder auch konservative Bewegungen sogar die Rechte in Frage, die sie bereits hatten!“ Die Algerierin hat den Bürgerkrieg in ihrem Land in den 90er-Jahren erlebt und weiß, dass Wille und Engagement nicht genügen, um dagegen anzukämpfen: "Diese konservativen Kräfte haben enorm viel Geld. Deshalb haben wir diesen feministischen Fonds gegründet."

Caroline Sakina Brac de la PerriereBild: Martina Zimmermann

Unternehmen, private Sponsoren, Stiftungen, darunter die deutsche Filia Frauenstiftung oder der Global Fund for Women sowie die Vereinten Nationen gehören zu den Spendern. 47 Frauenprojekte hat der Fonds inzwischen rund ums Mittelmeer unterstützt, mit insgesamt 100.000 Euro. In Spanien finden Migrantinnen Hilfe bei häuslicher Gewalt, in Frankreich gab es Aktionen gegen Zwangsheirat. Die Tunesierinnen wurden mit einem produzierten Videoclip zur Wahl aufgerufen, ägyptischen Männern wurde mit einem anderen Clip deutlich gemacht, dass sexuelle Belästigung eine Schande ist.

Landkarte der Belästigungen

In Ägypten wurde darüber hinaus mit Hilfe des Fonds das Netzwerk "Harass Map" gegen sexuelle Belästigung gegründet. Viele Ägypterinnen haben genug von der Belästigung, der sie in Straßen und Bussen ausgesetzt sind. "Man kneift sie in den Hintern, guckt sie blöd an, beleidigt sie", beklagt die Journalistin Samia Allalou vom Fonds für Mittelmeerfrauen. "Harass Map" ist ein Konzept dagegen.

Im Internet wird eine Art Landkarte der Belästigungen (siehe Artikelbild) erstellt: Immer wenn etwas derartiges geschieht, können Frauen per SMS den Ort und die Art der Belästigung mitteilen. "So konnten wir feststellen, an welchen Orten es am schlimmsten ist", berichtet Samia Allaalou. In bestimmten Vierteln der Hauptstadt Kairo wurden per SMS bis zu 100 Belästigungen pro Tag gemeldet.

Ägypterinnen protestieren gegen die Misshandlung einer Frau in KairoBild: AP

Dialog mit den Tätern

Sexuelle Übergiffe sind in Ägypten immer noch tabu, Frauen wagen keine Anzeige zu erstatten. Mit Hilfe der Karte, die unter harassmap.org im Internet ständig aktualisiert wird, versucht das Netzwerk deshalb auch die Behörden zum Handeln aufzufordern. Samia Allalou: "Mit diesen Zahlen sind die Frauen aufs Kommissariat gegangen und konnten der Polizei sagen, eure niedrigen Zahlen stimmen nicht, wir haben andere."

Die Polizei aber unternimmt meist wenig, um die Frauen besser zu schützen. Deshalb gehen Freiwillige zu den gemeldeten Orten, patrouillieren dort und sprechen mit den Jungen und den Männern im Viertel darüber, dass ihr Verhalten eine Schande ist und dass sie es verändern müssen. Die betroffenen Frauen bekommen Hilfsangebote - wer Anzeige erstatten will, erhält kostenlose Unterstützung von Juristen und Psychologen. Das Konzept wurde inzwischen von NGO's in der Türkei übernommen. Auch über die Mittelmeerregion hinaus fand es bereits Nachahmerinnen: in Indien, Afghanistan und Indonesien.

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