Gut getafelt!
3. Mai 2009Rund 18 Millionen Menschen sind in Deutschland laut Armutsbericht der Bundesregierung nicht mehr in der Lage, alleine für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Sie sind auf staatliche, finanzielle Hilfe angewiesen. Doch auch damit lassen sich keine großen Sprünge machen. Allzu häufig fehlt Geld für Kleidung oder eine ausgewogene Ernährung. Genau an dieser Stelle kommen die sogenannten Tafeln ins Spiel. Sie sammeln überschüssige Lebensmittel - so genannte Überproduktionen - vieler großer Supermärkte und Discounter ein und verteilen sie anschließend kostenlos an Bedürftige.
Gutes Essen für lau
1993 wurde in Berlin die erste dieser Tafeln in Deutschland eröffnet. Nur knapp 16 Jahre später gibt es bereits 843. Eine der ersten und auch größten ihrer Art ist die Wuppertaler Tafel. Dreimal am Tag und das an 365 Tagen im Jahr können Bedürftige hier eine kostenlose Mahlzeit bekommen. Und die Gäste, wie sie würdevoll genannt werden, kommen zahlreich. Mittlerweile sind es über 1000 pro Tag.
Ein echter Knochenjob für die zumeist freiwilligen Mitarbeiter, da bleibt kaum Zeit für ein persönliches Gespräch. Trotzdem fühlen sich die Gäste wohl, was nicht zuletzt am guten Essen liegt, wie ein Gast stellvertretend für die vielen anderen bereitwillig erzählt: "Es schmeckt hier genauso gut wie im Krankenhaus oder Altersheim." Außerdem sei das Angebot wesentlich preiswerter, als wenn man zuhause den eigenen Herd für ein einzelnes Essen anwerfen müsse, fügt er hinzu.
Die Gäste fühlen sich wohl
Ganz davon abgesehen kann man hier in einem recht ansprechenden Ambiente auch soziale Kontakte knüpfen und pflegen und gerät nicht völlig ins gesellschaftliche Abseits. Für viele ist der tägliche Gang zur Tafel deshalb so etwas wie das Highlight des Tages, beschreibt der Gast, der namentlich nicht genannt werden möchte, seine Gefühle: "Es lohnt sich hier! Man muss sich nicht mit jedem an den Tisch setzen, man kann sich das auch aussuchen."
Aber es dauert eben in der Regel einige Zeit, bis man sich überwunden hat, diesen Schritt zu tun. Meistens sei es am Ende die schiere Not, die einen dazu treibt, sich zu überwinden, erzählt eine ältere Dame. Nach anfänglicher Schüchternheit habe sie sich dann schließlich doch dazu durchgerungen, zur Tafel zu gehen, erzählt sie: "Der ganze Stolz bringt doch nichts. Wenn Sie nichts haben, dann gehen Sie doch lieber dahin, wo sie etwas bekommen."
Umfangreiches Angebot
Das Angebot der Wuppertaler Tafel ist reichlich. Neben den drei Mahlzeiten gibt es noch eine Fülle weiterer Angebote. So werden seit etwa zwei Jahren bis zu 45 Kinder täglich in einer eigenen Tafel verpflegt. Außerdem kann man sich seit neuestem kostenlos die Haare schneiden lassen. Ein Service, der sich wachsender Beliebtheit erfreut. Besonders attraktiv bei den meisten Gästen ist darüber hinaus das Tafel-Kaufhaus. Hier kann man sich mit allem eindecken, was man zum täglichen Leben braucht, erklärt Kaufhauschef Uwe Wunderlich: "Unser Kaufhaus bietet alles an, was gespendet wird. Dazu gehören Möbel, Kleidung und Hausrat."
Manche Kunden richten sich hier sogar eine komplette Wohnung ein, fügt der Kaufhauschef, übrigens einer der wenigen festangestellten Mitarbeiter in der Wuppertaler Tafel, hinzu. Und das zu Preisen, die man sonst nirgendwo bekommen kann. So kostet eine Hose im Schnitt einen Euro. Einen Kühlschrank gibt es schon für rund 30 Euro und ein ganzes Schlafzimmer schlägt mit maximal 150 Euro zu Buche. Alles natürlich keine Neuware, aber doch in sehr gutem Zustand. Die Einnahmen decken rund die Hälfte des 250.000 Euro großen Jahresetats. Der Rest wird über Spenden finanziert, wie der 1. Vorsitzende der Tafel, Wolfgang Nielsen, erklärt.
Mehr Bescheidenheit wäre angebracht
Über 90 Stunden in der Woche ist der Frührentner ehrenamtlich für die Tafel im Einsatz. Vor allem seinem selbstlosen Einsatz und dem seiner rund 250 freiwilligen Helfer ist es zu verdanken, dass so ein Projekt überhaupt realisierbar ist. Ein großer Dank gebührt seiner Meinung nach aber auch den häufig kritisierten Medien. Denn vor allem deren korrekter Berichterstattung verdanken die Tafeln ihren guten Ruf. "Die Medien machen den Menschen Mut, zur Tafel zu gehen", lobt Nielsen die Presse.
Allerdings sind es auch die Medien, die bei vielen Menschen Begehrlichkeiten wecken. Davon kann sich natürlich auch die wachsende Gruppe der Armen in Deutschland nicht freisprechen. Armut macht eben nicht zwingend bescheiden. Eine Erkenntnis, die Wolfgang Nielsen zu einem überraschenden Resümee kommen lässt: "Wir arbeiten nach dem Spruch: Hartes Brot ist nicht hart, gar kein Brot - das ist hart." Wer Hunger hat, der ist auch mit Kartoffeln und Soße zufrieden, stellt er unmissverständlich klar. "Mich kotzt dieses Anspruchsdenken oft an. Wenn ich die Menschen, die hier hinkommen, satt bekomme, dann muss ich nicht noch gucken, dass sie überpackt mit vollen Tüten nach Hause gehen. Hier ist einfach mal Bescheidenheit angesagt."
Autor: Frank Gazon
Redaktion: Dirk Eckert