Eine Tour ohne Favoriten - 58 Doping-Verdächtige suspendiert
30. Juni 2006Am Freitag (30.6.) um 9:34 Uhr gaben die Teamsprecher Christian Frommert und Luuc Eisenga auf einer Pressekonferenz in Plobsheim bei Straßburg bekannt, dass Jan Ullrich und sein Team-Kollege Oscar Sevilla bei der diesjährigen Tour nicht an den Start gehen weden. "Auf Grund von Unterlagen, die wir von der Tour-Direktion erhalten haben, halten wir es für unmöglich, vorläufig mit diesen Dreien weiterzuarbeiten", hieß es zur Begründung. Inzwischen ist klar: Der Skandal zieht noch viel weitere Kreise.
Eine Stunde, nachdem die Bombe geplatzt war, einigten sich die Manager der 21 Teams darauf, auch alle anderen Verdächtigen nicht bei der Tour starten zu lassen. Damit werden neben Ullrich auch andere Favoriten wie der Italiener Ivan Basso (CSC) und die Spanier Francisco Manchebo (AG2R) und Joseba Beloki (Würth Team) bei der Frankreich-Rundfahrt fehlen. Die spanische Zeitung "El País" hatte im Vorfeld über 58 Radprofis berichtet, die unter dem Verdacht des Blutdopings stehen, darunter viele Fahrer, die für die Tour gemeldet waren. Die 21 Teamchefs verständigten sich am Freitag darauf, keine Fahrer nachzunominieren. Damit tritt T-Mobile nur mit sieben Athleten an.
Ullrich und Sevilla befanden sich mit den anderen Teammitgliedern gerade im Mannschaftsbus auf dem Weg zu der Pressekonferenz, auf der das Team vorgestellt werden sollte, als sie von der Suspendierung informiert wurden. "Die echte Beweislage liegt erst jetzt auf dem Tisch", sagte Teamsprecher Stefan Wagner: "Wir hatten beim ersten Verdacht um Akteneinsicht gebeten. Das ist erst heute geschehen - warum, wissen wir nicht. Die Faktenlage widerspricht den Unschuldsbeteuerungen von Ullrich so stark, dass wir handeln mussten, um unserem Grundsatz vom sauberen Sport noch folgen zu können."
Teamchef Olaf Ludwig betonte, dass die bisherigen Unschuldserklärungen von Ullrich und Sevilla sogar in schriftlicher Form vorlagen. "Es gibt klare Richtlinien, die mit den Fahrern vereinbart sind und die keinen Interpretationsspielraum lassen. Dies war auch Jan Ullrich, Oscar Sevilla und Rudy Pevenage bekannt", sagte Ludwig. In einer Pressemitteilung des Teams hieß es, die Mannschaftsleitung sei vom Sponsor, dem Mobilfunkkonzern T-Mobile, aufgefordert worden, die Suspendierungen vorzunehmen.
Acht Stunden nach seinem Ausschluss von der Tour de France hat sich Ullrich am Freitagnachmittag im Quartier des T-Mobile Teams zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen geäußert. Die Nachricht habe ihn geschockt. Das ist das Schlimmste, was ihm in seiner Karriere passiert sei, sagte der 32-Jährige nach stundenlagen Beratungen mit seinem Manager Wolfgang Strohband und Anwälten. Der Toursieger von 1997 beteuerte noch einmal seine Unschuld. Er habe mit der Sache nichts zu tun, erklärte Ullrich und kündigte Schritte zur Klärung an.
"Wer hat ihn beraten, wer hat ihn betreut?"
Ullrichs früherer Trainer Peter Becker äußerte sich dem Nachrichtensender N24 gegenüber enttäuscht: "Ich bin im Moment sehr aufgelöst, aufgebracht und unglaublich traurig. Wer hat ihn beraten, wer hat ihn betreut, seit ich nicht mehr bei ihm bin? Er ist eigentlich alt genug, um zu wissen, wem er sich anvertraut. Ich möchte es einfach noch nicht glauben, es ist unfassbar."
Ullrichs Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Vor einer möglichen Verlängerung müsse der bisherige Star des Teams einen "glaubwürdigen Beweis seiner Unschuld" vorlegen, forderte Teamsprecher Wagner. Ob auch der jüngste Sieg Ullrichs bei der Tour de Suisse nunmehr in Frage gestellt werde, ließ Wagner offen. "Das ist jetzt alles spekulativ." Bei der Tour de France, die am Samstag (1.7.) in Straßburg beginnt, will das T-Mobile-Team trotzdem starten.
Allgemeine Anerkennung für das konsequente Vorgehen
Thomas Bach, Präsident des neuen Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), forderte Jan Ullrich zu einem DNA-Test auf - "im eigenen Interesse und im Interesse des Sports." Erst ein solcher Test könnte endgültige Klarheit bringen. "Wenn das Blut in den Beuteln von Jan ist, wäre er für mich in die Machenschaften verstrickt. Ansonsten würde er als unschuldig gelten", erklärte der Kölner "Doping-Jäger" Wilhelm Schänzer. Das konsequente Vorgehen des Teams T-Mobile fand allgemein Anerkennung. "Das war eine couragierte Geste", sagte Tour-Direktor Jean-Marie Leblanc.
Mit der gemeinsamen Aktion der 21 Teamchefs wurde zudem eine ähnliche Situation wie 1998 beim ersten großen Tour-Skandal vermieden. Damals war die Rundfahrt ein Spießrutenlauf für alle Beteiligten. Bereits vor dem Start stand das Festina-Team um den Franzosen Richard Virenque unter Doping-Verdacht, die Staatsanwaltschaft ermittelte, lange wurde dementiert. Erst nach Tagen gab das Festina-Team systematisches Doping zu, so dass es nach der ersten Woche aus dem Rennen genommen wurde. (fb)