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Politik

Eine unbekannte Geschichte des Holocaust

Mikhail Bushuev | Elena Danejko
29. Juni 2018

Nahe der weißrussischen Hauptstadt Minsk stand einst das größte NS-Vernichtungslager auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR. Jetzt wird dort eine Gedenkstätte eröffnet - im Beisein von Bundespräsident Steinmeier.

Weißrussland ehemaliges Vernichtungslager Maly Trostinez Gedenkstätte
Die "Pforte der Erinnerung" in Maly TrostenezBild: DW

Noch nie hat ein deutscher Bundespräsident Weißrussland besucht. Doch an diesem Freitag (29.06.) reist Frank-Walter Steinmeier nach Minsk, um gemeinsam mit dem weißrussischen und dem österreichischen Präsidenten eine Gedenkstätte zur Erinnerung an den NS-Vernichtungsort Maly Trostenez zu eröffnen. Der Ort liegt etwa 10 Kilometer vor den Toren der Hauptstadt Minsk und war das größte NS-Todeslager auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.

Zu Sowjetzeiten war es praktisch unbekannt - auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Bis 2002 gab es nicht einmal eine Gedenktafel, die auf die Massenermordungen während des Zweiten Weltkrieges hingewiesen hätte. Doch der Ort hat eine grausame Geschichte zu erzählen: zwischen Frühjahr 1942 und Sommer 1944 wurden hier nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 60.000 und 200.000 Menschen umgebracht. Es waren sehr viele Juden darunter, vor allem aus Westeuropa. Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) mit Sitz in Dortmund schätzt, dass in den Jahren 1941 und 1942 mehr als 22.000 deutsche Bürger mit jüdischen Wurzeln nach Minsk und Trostenez deportiert wurden.

In diesen Eisenbahnwaggons brachte man Juden aus Europa nach Maly TrostenezBild: DW

Im sowjetischen Narrativ wurden Trostenez-Opfer als "sowjetische Zivilisten, Partisanen, Widerstandskämpfer" bezeichnet, sagt der weißrussische Historiker Aleksandr Dolgowskij der DW: "Die sowjetische Gedenkkultur hat das Thema Holocaust bewusst ausgeschlossen." Aber auch in Deutschland gebe es zu wenig Gedenken an die osteuropäischen Opfer des Zweiten Weltkrieges und an die Holocaust-Verbrechen "östlich von Auschwitz", kritisiert die Osteuropa-Historikerin Ekaterina Makhotina von der Uni Bonn.

Gleich zwei Gedenkstätten in Trostenez

Am Gedenkstättenkomplex in Trostenez wurde seit 2010 gearbeitet. Das zentrale Element der einen Gedenkstätte, die bereits 2015 eingeweiht worden ist, bildet ein dreieckiges Mahnmal, das die "Pforte der Erinnerung" genannt wird. Ein Pfad zeichnet von dort aus den Weg der Opfer zum Vernichtungsort nach. Auf der anderen Seite der Straße, am Erschießungsort, befindet sich die zweite Gedenkstätte, die jetzt eingeweiht wird. Manche Elemente beider Gedenkstätten sind aber immer noch in Arbeit.

Man wollte einfache Baumaterialen benutzen, schließlich habe es im Krieg auch keinen Marmor gegeben, erklärte die Historikerin Galina Lewina der weißrussischen Internetseite tut.by. Zwei voneinander unabhängige Gruppen, die eine aus Historikern, die andere aus Architekten, hätten sich im Laufe der Zeit zusammengetan und ihre Kräfte gebündelt, so dass man heute von einem einheitlichen Memorial sprechen könne, so Lewina.

Die Gedenkstätten wurden von deutschen Spendern mitfinanziert. Beiträge leistete das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) in Dortmund und Minsk, aber auch das Auswärtige Amt, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge sowie verschiedene deutsche Städte, aus denen während des Krieges Juden nach Trostenez deportiert worden waren.

"Transnationale Erinnerungskultur"

"Wichtig ist, dass das postsowjetische Gedenken fortgesetzt wird", sagt Historiker Aleksandr Dolgowskij. Damit meint er nicht nur, dass man in gebührender Weise eine Erinnerung an den traurigen Ort schafft und somit Leerstellen im öffentlichen Diskurs über den Zweiten Weltkrieg schließt, die zur Sowjetzeiten existierten. Den Historikern geht es um mehr.

Im Wald von Blagowschtschina wurden während des Zweiten Weltkrieges Schätzungen zufolge 150.000 Juden ermordet.Bild: DW/O.Kapustina

"Weiße Flecken in unserer Geschichtsforschung sind eine Herausforderung für unsere Erinnerungskultur. Können wir uns von nationalen Schranken befreien, innerhalb derer wir nur unserer eigenen Opfer gedenken?" fragt Dolgowskij im DW-Interview. "Wir müssen uns gemeinsam an dieses Todeslager erinnern - zusammen mit Deutschen, Israelis, Österreichern, Schweizern, US-Amerikanern und Menschen aus anderen Ländern, in denen Verwandte der hierher deportierten Juden jetzt leben." Dolgowskij fordert eine "transnationale" Erinnerungskultur. Er hofft, dass die Gedenkstätte Maly Trostinez diese Kultur vorleben kann. 

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