Eine verwirrende Todesnachricht
27. Januar 2016Es beginnt mit einem dramatischen Protokoll auf Facebook. Ein engagierter Berliner Flüchtlingshelfer berichtet einer Bekannten, dass er gerade einen fiebernden 24jährigen Syrer im Rettungswagen ins Krankenhaus begleite. Wenig später teilt derselbe Mann mit: "Er ist gerade verstorben."
Der ehrenamtliche Helfer heißt Dirk V. und bringt seit Monaten junge Leute in seiner Wohnung unter, die sich vor der Registrierungsstelle für Flüchtlinge, "Lageso", in Berlin-Moabit die Beine in den Bauch standen, zeitweise bei klirrender Kälte. Die Tageszeitung "Die Welt" widmete ihm im vergangenen Herbst einen langen Beitrag.
Für die Initiative "Moabit hilft" ist der von V. vermeldete Tod jenes Flüchtlings, dem er zeitweise Obdach gewährte, deshalb absolut glaubhaft: "Wir vertrauen Dirk V.", sagt die Sprecherin der Initiative, Diana Henniges, auch noch viele Stunden später, als die Zweifel an der Wahrhaftigkeit des geschilderten Geschehens wachsen. Denn inzwischen hat der für das "Lageso" (Landesamt für Gesundheit und Soziales) zuständige Berliner Sozialsenator Mario Czaja bei Feuerwehr, Polizei und Krankenhäusern nachforschen lassen, ob es einen Todesfall unter den geschilderten Umständen gebe. Ohne Ergebnis.
Kein Rettungseinsatz dokumentiert
Der Sprecher der Berliner Feuerwehr erklärte, man habe inzwischen die Einsätze der Rettungswagen in der fraglichen Zeitspanne zwischen 21.00 und 5.00 Uhr morgens überprüft und könne nichts finden. Es könne ausgeschlossen werden, dass ein syrischer Flüchtling in einem Rettungswagen oder in einem Krankenhaus gestorben sei, heißt es aus dem Berliner Rathaus.
Der einzige, der Licht ins Dunkel bringen könnte, nämlich Flüchtlingshelfer Dirk V., ist nicht mehr zu sprechen. Er öffne seine Wohnungstür nicht und wolle seine Ruhe haben, erklärt Diana Henniges vor den inzwischen zahlreich versammelten Medien im "Lageso". Ratlosigkeit zunächst, dann der Verdacht, dass die Geschichte frei erfunden ist.
Schreckliches Spiel?
"Wenn jemand mit so etwas spielt, dann wäre das schrecklich", sagt Henniges. Für sie und die anderen ehrenamtlichen Helfer wäre das "eine Katastrophe". Denn mittlerweile hat der Fall in Medien und sozialen Netzwerken hohe Wellen geschlagen, Behörden in Alarmstimmung versetzt, Politiker haben sich "tief betroffen" geäußert. Die Glaubwürdigkeit von "Moabit hilft" steht auf dem Spiel.
Sofort nach Erhalt der Nachricht hatte die Initiative als Ursache für den Tod des Flüchtlings ein Versagen der Behörden ausgemacht: "Wir müssen davon ausgehen, dass der Tod eine Folge der Zustände am Lageso ist", hieß es. Gemeint ist, dass Flüchtlinge noch immer tagelang für ihre Registrierung, einen Schlafplatz oder einen Krankenschein Schlange stehen müssen. Auch der junge Syrer sei vom Warten in der Kälte ausgelaugt gewesen, habe sich einen grippalen Infekt geholt, der nicht behandelt worden sei. Zwar gibt es im "Lageso" eine medizinische Grundversorgung durch Ärzte der Berliner Charité, aber das sei nicht ausreichend, heißt es bei "Moabit hilft".
Real sind die Missstände
Außerdem klagen Flüchtlinge seit langem darüber, dass ihnen Geld nicht pünktlich ausgezahlt werde und sie damit auch nicht genügend Lebensmittel einkaufen könnten. Von "hungernden Flüchtlingen" ist sogar die Rede, was Berlins Sozialsenator Czaja entschieden dementiert. Immer hat er eingeräumt, dass es zu "deutlichen Engpässen" bei der Auszahlung von Leistungen an die Flüchtlinge komme. Schuld seien der hohe Andrang und der hohe Krankenstand unter den Angestellten des Amtes. Zwar wurde der Chef des Amtes ausgewechselt, trotzdem blieb es zwischen Weihnachten und Neujahr geschlossen, im Januar bildeten sich danach riesige Schlangen. Immer wieder beklagen Flüchtlinge Übergriffe des privaten Sicherheitspersonals. Die Situation in Berlin gilt mittlerweile als abschreckendes Beispiel für deutsche Willkommenskultur.
Für die engagierten Helfer von "Moabit hilft" ist der Medienandrang wegen des vermeintlichen Todes eines ihrer Schützlinge zwar die Gelegenheit, wieder einmal auf die Missstände hinzuweisen. Aber der Schaden wäre, sollte sich alles als unwahr herausstellen, ungleich größer.