Eine Wüste für Zu Hause
13. September 2025
So ein Sommer ist für mich immer ein zweischneidiges Schwert. Da sind (trotz der Regenperioden dieses Jahr) viele warme Tage, Sonne und man mag viel draußen sein. Gleichzeitig ist der Sommer aber auch immer die Saison der Termine. Ausflüge mit Freundesgruppen, tatsächliche oder nachgeholte Geburtstage, Stadt- und Dorffeste, Draußen-Events. Wer einen Garten hat, sucht sich einen Anlass, um mal wieder den ganzen Bekanntenkreis einzuladen. Dann ist da noch mein Plan, möglichst regelmäßig wandern zu gehen und dabei immer ein bisschen mehr Strecke zu machen.
Die Kehrseite davon: Als mich eine Freundin fragte, wann ich sie denn mal auf einen Samstag in Frankfurt besuchen könnte, war kein Samstag mehr frei. Noch in der Coronazeit hatte ich mich im August an einem Wochentag abends mit einer Decke in einen Park gelegt und in aller Ruhe ein Buch gelesen. Mittlerweile scheint das kaum mehr organisierbar, denn: Wann soll ich das machen?
Seit etwa zwei Jahren habe ich im Sommer eine besondere Form von Rastlosigkeit an mir bemerkt. Wenn es endlich warm ist, will man raus, Menschen treffen. Das denken sich aber alle. Deshalb setzt sich der Kalender zu. Ich für meinen Teil will die allermeisten dieser Termine auch nicht absagen: Denn ich mag ja meine Freunde und habe gelernt, dass im Ernstfall soziale Kontakte das wichtigste Pfund sind, das mich trägt.
Nichts desto weniger sorgt diese Form des rastlosen Sommers dafür, dass ich zwischendurch etwas an sozialer Erschöpfung leide. Da beeindrucken mich die Menschen, die es wirklich schaffen, innere Ruhe zu finden. In der Bibel gibt es davon einige: Dann geht es in die Wüste und man findet im Idealfall nicht nur sich selbst, sondern irgendwie auch einen Draht zum Übernatürlichen. Die Israeliten wandern durch die Wüste, Jesus auch – und selbst Gleichnisse wie das vom Barmherzigen Samariter spielen in der Wüste. Immer gehen die Leute etwas anders aus der Wüste heraus, als sie hereingekommen sind. Die Bibel zeigt das sehr eindrucksvoll am Propheten Elija, der sich ebenfalls in die Wüste zurückzieht: "Da zog der HERR vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem HERRN voraus. Doch der HERR war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der HERR war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der HERR war nicht im Feuer. Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle." (1 Kön 19,11-13)
So ein Säuseln ist sehr leise. In unserer heutigen stürmischen Welt fällt es schwer, es zu hören – wenn es nicht ganz unmöglich ist. Sich in die Wüste zurückzuziehen, ist ein großartiges Bild. Aber besonders praxistauglich ist es nicht. Denn, bei aller Liebe: Ich möchte schon ein gemachtes Bett, drei Mahlzeiten am Tag, eine Toilette mit Wasserspülung und die vielen anderen Annehmlichkeiten der Zivilisation. Das ist meine Komfortzone, das ist mein Leben. Und das mag ich auch, wie viele andere Menschen. Wir alle haben unsere Verpflichtungen, unsere Hobbies, unsere Vorlieben. Die realexistierende Wüste kann da nicht die Lösung sein.
Doch die Geschichte um Elija ist ein Hinweis darauf, um was wir uns kümmern müssen: Ruhezeiten schaffen, ein paar großzügige Stücke aus dem durchrauschenden Alltag herausschneiden und ein bisschen Sand dazwischen streuen, für die Wüstenatmosphäre. Für mich ist die Lehre: Zeit nehmen, Pause machen. Schade eigentlich, dass man selbst das Nicht-verplant-sein manchmal planen muss. Aber das sind wohl die Widersprüche, die das Leben spannend machen. Ich habe also ein paar Dinge überlegt, diese Zeit kunstvoll von Zwängen zu leeren. Klassiker wie einen Rosenkranz habe ich zu Hause. Zuletzt habe ich in der Stadtbibliothek ein Buch gefunden, wie man zu Hause Meditationsexerzitien machen kann. Es geht also auf den Weg – zwar nicht in die Wüste, aber in ihr Pendant im 21. Jahrhundert: Zeit und Raum ohne Termine oder ein vibrierendes Handy.
Zum Autor:
Christoph Paul Hartmann wurde 1991 geboren. Er studierte Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Leipzig und ließ sich anschließend am Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses zum Journalisten ausbilden. Er arbeitet als Journalist, daneben schreibt er unter anderem für die Verkündigung im WDR. 2021 erschien mit "Hemmel on Ähd - Unterhaltsame Spaziergänge durch Düsseldorfs Kultur und Geschichte" (Seume) sein erstes Buch.