Einigung über Parlamentsrechte bei den Euro-Hilfen
27. März 2012Der ganze Deutsche Bundestag und nicht nur ein kleines Sondergremium soll künftig in den meisten Fällen darüber entscheiden, ob Finanzhilfen im Rahmen des Euro-Rettungsfonds EFSF an notleidende Euro-Staaten vergeben werden soll. Darauf haben sich die Haushaltsexperten und Fraktionsgeschäftsführer aller Bundestagsparteien am späten Montag geeinigt. Ursprünglich sollte in vielen Fällen ein geheim tagendes neunköpfiges Gremium von Abgeordneten solche Entscheidungen treffen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in einem Eilverfahren festgestellt, dass diese Regelung gegen das Beteiligungsrecht aller Abgeordneten verstößt.
Künftig soll das Neunergremium nur noch entscheiden dürfen, wenn der EFSF plant, Staatsanleihen auf sogenannten Sekundärmärkten aufzukaufen. Solche Ankäufe gelten als besonders sensibel. Es werden größere Turbulenzen an den Finanzmärkten befürchtet, wenn sie vorzeitig bekannt werden. Über jeden anderen Einsatz von Mitteln des EFSF soll der gesamte Bundestag entscheiden, der notfalls sehr kurzfristig einberufen werden soll. Wegen der Etathoheit des Parlaments dürfen die Vertreter der Bundesregierung im EFSF nur Entscheidungen treffen, die der Bundestag genehmigt hat.
Fraktionen sehen Parlamentsrechte gestärkt
Der gesamte Bundestag soll auch entscheiden, wenn die 2011 beschlossenen Rahmenbedingungen für Beihilfen des EFSF, die sogenannten Guidelines, verändert werden sollen. Mit der Benennung deutscher Vorstandsmitglieder beim EFSF soll sich dagegen der Haushaltsausschuss des Parlaments befassen. Die von allen Fraktionen benannten Mitglieder des geheim tagenden Neunergremiums, die zunächst per Handaufheben bestimmt worden waren, sollen künftig geheim gewählt werden, so wie das auch beim Parlamentarischen Kontrollgremium zur Überwachung der Geheimdienste der Fall ist.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der oppositionellen SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, erklärte: "Es ist gut, dass grundsätzlich der gesamte Bundestag über die Milliarden zur Euro-Rettung entscheidet." FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen sprach von einer Einigung, "die eine größtmögliche Stärkung der Parlamentsrechte beinhaltet."
Die neuen Regeln sollen schon am Donnerstag im Bundestag beraten werden, wenn auch andere Gesetzesvorhaben zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise in erster Lesung auf der Tagesordnung stehen. Die Regeln sollen zunächst nur für den schon bestehenden EFSF gelten, nicht für den künftigen Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Der zweite Fraktionsgeschäftsführer der Union, Stefan Müller (CSU), geht aber davon aus, dass sie im Rahmen der weiteren Parlamentsberatungen analog auf den ESM übertragen werden.
SPD und Grüne sprechen mit Koalition über Fiskalpakt
Am Dienstag trafen sich zudem die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen außer der Linken mit Finanzminister Wolfgang Schäuble, um angesichts des EU-Finanzministertreffens Ende der Woche in Kopenhagen über den weiteren Fortgang der Euro-Rettung zu beraten. Teilnehmer begründeten den Ausschluss der Linken damit, dass sie als einzige den Regierungskurs in der Schuldenkrise bisher nicht mitgetragen hätten. Es ging in dieser Runde insbesondere um den Fiskalpakt, auf den sich Anfang März die meisten EU-Staaten geeinigt hatten und der sie zu strenger Haushaltsdisziplin verpflichten soll.
Weil der Fiskalpakt in die Etathoheit der nationalen Parlamente eingreift, ist für seine Ratifizierung in Deutschland eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag sowie in der Länderkammer, dem Bundesrat, erforderlich. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte unmittelbar nach dem letzten EU-Gipfel erklärt, seine Fraktion werde nur zustimmen, wenn sich die gesamte Bundesregierung für eine Finanztransaktionssteuer in der Europäischen Union, mindestens aber auf Ebene der Euro-Staaten einsetze. Eine solche Steuer wird von allen Bundestagsfraktionen mit Ausnahme der mitregierenden FDP gefordert. Mit Rücksicht auf die Liberalen hat Bundeskanzlerin Merkel bisher auf einen Kabinettsbeschluss zur Transaktionssteuer verzichtet.
Entscheidung über Fiskalpakt wahrscheinlich später
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe vor den Fraktionsvorsitzenden deutlich gemacht, dass eine europäische Finanztransaktionssteuer kaum Chancen habe, berichtete die Vorsitzende der CSU-Gruppe in der Unionsfraktion, Gerda Hasselfeldt. Großbritannien sei grundsätzlich nicht bereit, mitzumachen, und mehrere andere EU-Staaten, die an sich für eine Finanztransaktionssteuer seien, wollten sie nicht ohne die Briten einführen. Die Diskussion gehe jetzt in Richtung einer Börsenumsatzsteuer nach dem Muster der britischen Stempelsteuer, allerdings mit einer breiteren Bemessungsgrundlage, so dass mehr Börsengeschäfte erfasst werden.
Die Opposition hat in der Gesprächsrunde gefordert, den Parlamentsentscheid über den Fiskalpakt zu verschieben. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte nach dem Treffen, es gebe dafür keinen übertriebenen Zeitdruck. Die Koalition hat bisher eine Bundestagsabstimmung Ende Mai geplant, nun wird sie wohl Ende Juni oder sogar Anfang Juli stattfinden. Der Bundesrat könnte dann seine Entscheidung in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause am 6. Juli treffen. Hasselfeldt sagte nach dem Treffen der Fraktionsvorsitzenden, auch die Opposition sehe die Zwänge des Finanzministers und werde ihre Zustimmung am Ende nicht von der Finanztransaktionssteuer abhängig machen.
Verfassungsgericht könnte erneut gefragt sein
Die Fraktion Die Linke hat unterdessen Prozessbevollmächtigte benannt, die eine Klage gegen den Fiskalpakt beim Bundesverfassungsgericht prüfen sollen. Die bestätigte Linken-Fraktionsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann. Sollte der Fiskalpakt also im Sommer die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit finden, könnte er umgehend vor dem höchsten deutschen Gericht landen.