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Politik

Einigung um Idlib: Vorsicht ist geboten

Daniel Heinrich
18. September 2018

Es gibt viel Lob, aber auch Zweifel an der Haltbarkeit der demilitarisierten Zone in Idlib, auf die sich die Türkei und Russland geeinigt haben. Das liegt vor allem an radikalen Islamisten.

Russland Sotschi Treffen Putin Erdogan
Bild: Reuters/A. Zemlianichenko

Das Lob kam zunächst von allen Seiten: Nachdem sich der türkische Präsident Erdogan und der russische Präsident Putin in Sotschi auf die Einrichtung einer demilitarisierten Zone in der syrischen Provinz Idlib, der letzten verbliebenen Rebellenhochburg des Landes, geeinigt hatten, überboten sich allen voran die beiden anderen Kriegsparteien, Syrien und der Iran, regelrecht mit ihren Zustimmungsbekenntnissen. 

Das syrische Außenministerium in Damaskus sprach laut Staatsagentur Sana von einer "Initiative, die dazu beiträgt, Blutvergießen zu vermeiden und die Sicherheit wiederherzustellen".

Auch Teheran wollte da nicht hintanstehen: Durch "verantwortungsvolle Diplomatie" sei es gelungen, einen "Krieg in Idlib zu verhindern", schrieb der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif im Kurznachrichtendienst Twitter. Sarif war es wichtig zu betonen, dass auch der Iran in die Verhandlungen zwischen Ankara und Moskau eingebunden gewesen sei.

Islamisten größte Bedrohung für Frieden  

In der Tat erscheint die Vereinbarung auf den ersten Bick als diplomatischer Erfolg: Mit der bis zu 20 Kilometer breiten Sicherheitszone, die bis zum 15. Oktober eingerichtet werden soll und die alle Kämpfer der syrischen Opposition zu verlassen haben, dürfte der befürchtete Großangriff der syrischen Armee auf Idlib zunächst abgewendet sein.

Für den Nahost-Experten Volker Perthes ist der Krieg damit allerdings noch lange nicht vorbei. Perthes nahm bei seiner Analyse vor allem den Kern der islamistischen Kämpfer in den Blick, die sich noch in Idlib aufhalten und in Teilen durch die Türkei unterstützt würden: "Es wird einen harten Kern geben von radikalstem und, hier muss man wirklich sagen, terroristischem Widerstand. Dazu gehören zwar auch Syrer, aber es sind nicht in erster Linie Syrer, sondern es geht hier im ganz harten Kern um etwa 2000 russischsprachige Elemente, die zu Al-Kaida oder der mit ihr verbündeten Nusra-Front gehören. " Auf diese, so Perthes weiter "schaut Russland ganz besonders und hat immer wieder in den letzten Monaten deutlich gemacht, dass Russland nicht erlauben wird, dass diese zurück nach Russland oder in die ehemaligen Gebiete der Sowjetunion kommen. Anders gesagt: Russland sagt, mit diesen Elementen muss die Türkei umgehen, oder sie müssen getötet werden," so der Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), einer Forschungseinrichtung für außen-und sicherheitspolitische Fragen mit Sitz in Berlin.

Vor allem radikale Islamisten bedrohen den Frieden in Idlib. Viele von ihnen kommen aus dem russischsprachigen AuslandBild: picture-alliance/AP Photo

Mahnungen und Zweifel

Nur ein paar Kilometer vom Sitz der SWP entfernt mag man auch im Auswärtigen Amt nicht uneingeschränkt in die Jubelchöre der russischen, türkischen, syrischen und iranischen Regierung einstimmen. Zwar hatte sich der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) kurz nach der Einigung beeilt, per Twitter seine Glückwünsche zu senden. Er wollte es allerdings auch nicht unterlassen, sogleich eine Mahnung hinterher zu schieben: Die Einigung, müsse "jetzt auch umgesetzt werden", so Maas. Bei vorherigen Vereinbarungen in Syrien sei dies nicht gelungen.

Auch in der Türkei selbst, wo die Einigung, vor allem in der regierungsnahen Presse, als diplomatischer Coup von Recep Tayyip Erdogan gefeiert wurde, werden Zweifel am mittelfristigen Erfolg der Vereinbarung laut. Metin Gürcan hat lange Jahre als Berater für das türkische Militär gearbeitet. Heute ist er als Sicherheitsexperte für das Istanbul Policy Center, einem unabhängigen Forschungsinstitut, tätig. Gürcan ist der Meinung, dass sich die Türkei mit der Vereinbarung lediglich Zeit erkauft habe: "Das Hauptrisiko für Ankara fängt erst ab dem 15. Oktober an. Es ist momentan unmöglich, von einer dauerhaften Lösung zu sprechen. Im Rahmen der Versprechen der Türkei an Russland wird Ankara den oppositionellen Radikalen in Idlib die Botschaft ausrichten, dass sie die Waffen niederlegen müssen, falls sie bleiben möchten, oder dass sie Idlib verlassen und dabei die Waffen übergeben müssen, falls sie nicht bleiben möchten."

Metin Gürcan zweifelt am dauerhaften Frieden um IdlibBild: Privat

Für den Sicherheitsexperten steht fest, dass es "Ankara nicht gelingen wird, die Radikalen davon zu überzeugen. Ankara hat sich eben zur Garantiemacht für die Radikalen gemacht, die einen schlechten Ruf haben. Es wird in Idlib eine Militäroperation unbedingt geben, falls die Radikalen nicht überzeugt werden können."

Zivilisten sind das schwächste Glied

Ein erneuter Ausbruch von Kampfhandlungen treibt vor allem Menschenrechtsaktivisten Sorgenfalten auf die Stirn. Ilyas Saliba ist als Nahostexperte bei Amnesty International tätig. Im Gespräch mit der Deutschen Welle weist er insbesondere auf die problematische Rolle der syrischen Armee bei militärischen Auseinandersetzungen hin. Während des gesamten Verlaufs des Bürgerkriegs hätten die syrischen Regierungstruppen nicht ausreichend dafür gesorgt, dass Zivilisten geschützt werden: "Das gilt zwar auch für andere Konfliktparteien, aber wenn es insbesondere um Schläge aus der Luft geht, betrifft das die syrische Luftwaffe. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das internationale Völkerrecht. Zudem sind international verbotene Waffensystem genutzt worden." 

Aus Furcht vor Angriffen durch die syrische Armee hatten in Idlib auch Kinder den Gebrauch von Gasmasken geübtBild: Reuters/K. Ashawi

Alleine in den Tagen vor der Vereinbarung, so der Experte weiter, hätte "Amnesty International eine Intensivierung der Bombardements durch Fass- und Streubomben von Dörfern im Süden der Provinz Idlib durch die syrische Luftwaffe dokumentiert. Dabei sind mindestens 14 Zivilisten ums Leben gekommen und mindestens 35 weitere wurden schwer verletzt."

Die jetzige Vereinbarung gewährt solchen Militäreinsätzen zwar zunächst einmal Einhalt. Die Skepsis unter Sicherheitsexperten macht allerdings deutlich, wie fragil die Lage tatsächlich ist. Fast die Hälfte der Zivilisten, die derzeit in Idlib leben, sind Binnenflüchtlinge. Alleine schon wegen des Schicksals der Zivilbevölkerung bleibt zu hoffen, dass sich die Befürchtungen der Experten nicht in Realität verwandeln.

 

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