1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
GesellschaftGlobal

Einsamkeit weltweit: Gefahr für Gesundheit und Demokratie

6. August 2025

Jeder sechste Mensch auf der Welt fühlt sich einsam, so eine aktuelle Studie der WHO. Isolation kann nicht nur krank machen, sondern auch antidemokratische Tendenzen fördern. Aber es gibt auch Lösungsansätze.

Eine junge Frau sitzt alleine vor einer Mauer und schaut nach schräg unten.
Insbesondere junge Menschen leiden unter Einsamkeit - so das Ergebnis der WHO-StudieBild: Vyacheslav Chistyakov/Imago

Treffen kann es jede und jeden - über alle Altersgruppen und Regionen hinweg. Einsamkeit hat es schon immer gegeben, nur wurde nicht so viel darüber gesprochen. Seit der Corona-Pandemie hat sich das geändert. Die kollektive Erfahrung der sozialen Isolierung hat Menschen weltweit für das Thema sensibilisiert.

Was aber nun tun mit dem Wissen, dass einer von sechs Menschen auf der Welt unter Einsamkeit leidet? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor den gesundheitlichen Folgen - darunter Depressionen, Bluthochdruck, Schlafstörungen etc.

Andere weisen auf potenzielle gesellschaftliche Folgen hin. Die Soziologin Claudia Neu von der Universität Göttingen  beispielsweise hat in einer Studie den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und der Entwicklung antidemokratischer Haltungen aufgezeigt.

"Das ist kein kausaler Zusammenhang, es bedeutet nicht, dass eine Person, die einsam ist, mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit radikal wird, und es sind auch nicht alle Radikalen plötzlich einsam, aber wir haben einen statistischen Zusammenhang festgestellt", so Claudia Neu gegen über der DW.

Beschäftigt sich mit dem Thema Einsamkeit und Isolation: Soziologin Claudia Neu Bild: Jürgen Heinrich/IMAGO

Wie kommen wir wieder in Kontakt?

Menschen sind soziale Wesen, dementsprechend groß ist der Schmerz, wenn das Bedürfnis nach Gemeinschaft nicht erfüllt ist. Doch der Alltag in den modernen Gesellschaften hat sich verändert. Viele reale Treffpunkte sind in den vergangenen Jahren verschwunden - aufgrund von Homeoffice, Online-Shopping und nicht zuletzt den Social-Media-Plattformen, auf denen Menschen sehr viel Zeit verbringen.

Diese Entwicklung lasse sich nicht zurückdrehen, sagt Claudia Neu. Die Frage der Zukunft aber sei, welche Form von Gesellschaft wir leben wollen. "Wie stellen wir Gemeinschaft her, wenn wir uns in der Öffentlichkeit nicht mehr begegnen?"

Viele Menschen unterschätzten, welchen positiven Einfluss selbst "ganz, ganz kurze alltägliche Interaktionen" hätten, sagt auch Inga Gertmann von der Organisation "More in Common", die sich dem Thema gesellschaftlicher Zusammenhalt verschrieben hat.

Ihre Beobachtung: "Wir sind heute mit Familie und Freunden enger verbunden als je zuvor. Und wir sind auch stärker mit Gleichgesinnten verbunden, zum Beispiel im digitalen Raum, wo Menschen zusammenkommen können, die sich zwar physisch fern, aber in ihren Ansichten nah sind. Was zunehmend fehlt, ist die alltägliche Begegnung, das beiläufige Miteinander mit Menschen, die vielleicht auch anders sind als wir selbst."

Vision einer resilienten und inklusiven Gesellschaft: Inga Gertmann von "More in Common"Bild: Carolin Weinkopf

Diese Räume der alltäglichen, beiläufigen Begegnung wieder zu schaffen - auf eine neue Art und Weise, sei eine wichtige Aufgabe. Dieser Ansicht ist auch Claudia Neu: "Fehlende Gelegenheitsstrukturen können einsam machen. Wenn ich keine Gelegenheit habe, Menschen vor Ort zu begegnen, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ich einsam bin."

"Wir müssen lernen, uns wieder auszuhalten"

Fällt der Alltag als Begegnungsort weg, dann hat das auch gesamtgesellschaftlich Folgen: Soziale Milieus blieben zunehmend unter sich, sagt Claudia Neu, was die gesellschaftliche Spaltung vorantreibe.

"Eheschließungen werden homogener, Stadtviertel werden homogener, Klassen werden homogener." Was wiederum dazu führe, "dass ich kein Gefühl mehr habe für soziale Ungleichheit, denn alle um mich herum sind ja so wie ich." 

Umso wichtiger seien Orte, wo Menschen nach wie vor milieuübergreifend zusammenkommen - im Fußballstadion zum Beispiel. "Da sind alle. Die stehen nicht alle in derselben Kurve, aber das ist nicht schlimm, weil trotzdem alle auf dasselbe Feld gucken."

Treffpunkt Stadion: Hier kommen die Menschen nach wie vor zusammenBild: Wolfgang Frank/Eibner-Pressefoto/picture alliance

Es braucht Orte, an denen wir Menschen in unserem Alltag begegnen, und uns auch mal reiben, betont auch Inga Gertmann. "Verlernen wir Konflikt, verlernen wir den Perspektivwechsel und gesellschaftliche Dialogfähigkeit darüber, wie wir eigentlich jetzt und in Zukunft miteinander leben wollen." Oder wie Claudia Neu es sagt: "Wir müssen lernen, uns wieder auszuhalten."

Wir alle sind die Gesellschaft 

Es gibt Faktoren, die Einsamkeit begünstigen - auch das zeigt der WHO-Bericht. Krieg, Armut, Gewalt oder persönliche Schicksalsschläge sind klar identifizierte Risikofaktoren. Umso wichtiger aber sei es, dort in Kontakt zu treten, wo es uns möglich ist, sagt Claudia Neu. Und wenn es nur darin besteht, dass "ich mal in einen anderen Stadtteil fahre und mich dort in ein Café setze oder vielleicht einen Döner esse", so Neu. "Wir alle sind die Gesellschaft", sagt sie, und wir alle könnten dazu beitragen, dass wir uns weniger allein fühlen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen