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Bildung

Alexander Göbel, zurzeit Südafrika7. Oktober 2006

Noch immer sind Naturwissenschaften in Afrika eine Domäne der Weißen. Damit sich das ändert, treffen sich nahe Kapstadt die besten Nachwuchsforscher aus ganz Afrika - in einer einzigartigen Kaderschmiede.

Das African Institute for Mathematical Sciences
Harte Schule für Mathematiker: AIMSBild: DW/Alexander Göbel

"Was hätte es für einen Sinn, einem schwarzen Kind Mathematik beizubringen?" Dieser Satz stammt von Henrik Verwoerd, dem Architekten der Apartheid in Südafrika. Lange brauchte man die Schwarzen nur als willfährige Lohnsklaven, hielt sie für dumm - und die Folgen sind bis heute zu spüren: In den Townships lebt eine ganze Generation ohne richtige Bildung.

Viele Slumbewohner beherrschen nicht einmal die Grundrechenarten, und nur 30 Prozent der Schüler schaffen bei der Reifeprüfung nach 12 Jahren den Mathetest. Dabei fehlen auf dem Kontinent dunkelhäutige Mathematiker und Physiker in allen Bereichen: Im Straßenbau, bei der Ölförderung, der Demografie, der medizinischen Statistik, im Finanzwesen, in Verwaltung, Forschung und Lehre.

Treffpunkt für Forscher: "African Institute for Mathematical Sciences"

Auch Muizenberg, eine halbe Autostunde südlich von Kapstadt an der False Bay, scheint da auf den ersten Blick keine Ausnahme zu sein. Die Stadt ist bekannt als Hochburg für Surfer, Bodyboarder und sonstige Funsport-Fans. Aber weniger als 100 Meter entfernt vom Strand taucht man ein in die Stille eines aprikosenfarbenen Art-Déco-Gebäudes, und es ist, als beträte man ein Kloster.

In den Slums von Afrika lebt eine Generation ohne BildungBild: AP

Die "Ordensgemeinschaft", die dort ihren Sitz hat, heißt AIMS, African Institute for Mathematical Sciences. Seit 2003 leben und arbeiten in der einzigen Einrichtung dieser Art in Afrika die besten Köpfe des Kontinents - momentan sind es 49 Studenten aus 20 verschiedenen afrikanischen Ländern. Alle haben mindestens vier Jahre Studium in ihrer Heimat hinter sich und sind hier, um einen neunmonatigen Postgraduiertenkurs zu absolvieren, der die faszinierendsten Gebiete der modernen Naturwissenschaften abdeckt.

"Nicht nur das Know-how des Westens importieren"

Angewandte Mathematik, Quantenphysik, Informatik, Molekularbiologie, Astrophysik, Finanzwesen, Nanotechnologie: Wozu braucht man in Afrika Zahlentheoretiker? Den Einwand, Krankenschwestern oder Ingenieure seien doch viel nützlicher für Afrika, kann Direktor Fritz Hahne nicht mehr hören. "Es ist wichtig, dass wir in Afrika nicht nur das Know-how des Westens importieren, sondern, dass wir es mitentwickeln und auch verstehen - sonst werden wir immer unterlegen sein", sagt der emeritierte Professor von der Universität Stellenbosch, der das Institut seit drei Jahren leitet.

Die 23-jährige Epidemiologin Angelina aus Tansania beschäftigt sich derweil lieber mit praktischen Fragen: Sie erforscht die Verbreitung von HIV/AIDS und verwendet einen mathematischen Ansatz, um herauszufinden, warum die Schätzungen von Infektionszahlen so unterschiedlich sind. "Ich will wissen, wie diese Unterschiede zustande kommen, und wie man verlässliche Zahlen erreichen kann", erklärt sie ihre Forschungsmotivation.

Gute Ausstattung, gute Zusammenarbeit

Um Forschern wie Angelina ein produktives Umfeld zu ermöglichen, wurde das AIMS gut ausgestattet: Mit einem nagelneuen Computerzentrum und einer Bibliothek, die aus Spenden von Verlagen und Professoren aufgebaut wurde. Auch Natasha aus Madagaskar ist begeistert von den technischen Hilfsmitteln - und vom Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden. Es sei wie zwischen Eltern und Kindern, sagt sie. "Die Lehrer helfen uns und stehen uns sehr nahe." In ihrem Heimatland sei die Kluft zwischen Studenten und Professoren viel größer, und deshalb ist sie froh, beim AIMS arbeiten zu können - und hoch motiviert dazu: "Wenn man hier nicht weiterkommt, dann liegt das nicht an den Bedingungen oder den Lehrern, sondern daran, dass man sich nicht genug Mühe gegeben hat."

Forschung begeistert nicht nur europäische WissenschaftlerBild: AP/Bayer

Zu den Schirmherren des Instituts gehören immerhin namhafte Astrophysiker wie Stephen Hawking, zu den Sponsoren zählen die Ford Foundation, Vodafone und Partneruniversitäten Oxford, Cambridge, Paris und natürlich die Kapstädter Universitäten UCT, Western Cape und Stellenbosch. Ironie des Schicksals, denn gerade Stellenbosch galt einst als die intellektuelle Hochburg des weißen Rassenwahns.

Rassismus ist längst kein Thema mehr

Am AIMS jedoch spielt Hautfarbe keine Rolle mehr, wie Direktor Fritz Hahne berichtet: "Wenn ich die Studenten begrüße, dann sage ich, ich bin ein Afrikaner wie Ihr alle auch, ich bin nur zufällig weiß. Das akzeptieren sie vollständig." Er kann sich nicht erinnern, dass die verschiedenen Hautfarben und -schattierungen jemals zur Sprache gekommen wären. "Und das ist sehr schön, dass wir das schon erreicht haben."

Tutorin Anahita New möchte mit AIMS als "panafrikanischer Gemeinschaft" auch noch etwas Anderes erreichen: Dass die Studenten dort ganz nebenbei einen ihnen unbekannten Kontinent kennen lernen - den eigenen. Die Wissenschaftler, die ins Institut kommen, hätten oft am Anfang eine sehr enge und lokale Vorstellung davon, was ein Afrikaner ist, erzählt sie. "Dieses Schubladendenken werfen sie hier komplett über den Haufen. Nach ein paar Monaten sind sie sehr viel offener gegenüber all denen, die eben auch zu Afrika gehören - und die zuvor noch aus einer ganz fremden Welt zu stammen schienen."

Die Welt der Surfer und Touristen hingegen bleibt den meisten Studenten auch auf lange Sicht fremd, denn inmitten der Tüftelei an ihren mathematischen Problemen im AIMS gibt es nur wenige Gelegenheiten für einen Strandbesuch gleich nebenan. "Ich hatte noch keine Zeit dafür", bestätigt Student Dorianu. Aber er kann den Strand von seinem Zimmer aus sehen: "Gestern habe ich beobachtet, wie die Wellen sich bewegen, und wie ein Surfer versucht hat, vorwärts zu kommen. Das ist sehr inspirierend für mich - denn es geht dabei ja um Mathematik und Physik."

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