1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Amerikas Osten versinkt im Schnee

11. Februar 2010

Seit einer knappen Woche liegen die Ostküste und die US-Hauptstadt unter einer dicken Schneedecke. Was andernorts für ein Achselzucken sorgt, bedeutet hier den Ausnahmezustand. Vor allem, wenn der Strom ausfällt.

Schnee auf der Pennsylvania Avenue in Washington, im Hintergrund Capitol Hil (Foto: AP)
Bild: AP

Es begann am letzten Freitag. Die Meteorologen warnten vor einem Rekordschneesturm. Und da die Wetterfrösche hier erstaunlich präzise Vorhersagen machen, kauften auch wir kauften vorsichtshalber schon am Morgen unsere Lebensmittel ein. Die Kinder hatten früher Schulschluss. Als am frühen Nachmittag die ersten Flocken fielen, war die U-Bahn gerammelt voll: Auch die US-Regierungsangestellten durften nach Hause eilen.


Die Flocken fielen, wegen einer besonderen Wetterlage extrem dicht und schwer. Das Schneeschaufeln begann. Es schneite die ganze Nacht, den ganzen Samstag Vormittag. Die Stimmung war gut. In der Innenstadt trafen sich Hunderte zu organisierten Schneeballschlachten. Wir saßen warm und trocken zuhause und schauten den Schneeflocken zu, die sich auf den Straßen türmten. Die Räumfahrzeuge hatten den Kampf gegen die weiße Pracht längst aufgegeben. Doch dann, so gegen Mittag, gab es einen Knall: Ein Kurzschluss in der Oberlandleitung legte die Stromversorgung unseres kleinen Viertels lahm.

Die Kälte hält Einzug

Damit waren nicht nur Herd, Telefon, Internet, Fernsehen und Licht außer Gefecht gesetzt, sondern auch die Heizung. Unser Haus wird mit warmer Luft geheizt, die in die Räume geblasen wird. Heizkörper, wie wir sie aus Deutschland kennen, gibt es hier gar nicht. Der schwere Schnee sorgte dafür, dass überall die Oberlandleitungen unter der Last des Schnees oder herabstürzender Äste zusammen brachen und Hunderttausende in der Hauptstadt, in Virginia, Maryland und Pennsylvania keinen Strom mehr hatten.

Am Nachmittag fasste die halbe Nachbarschaft mit an: Ein älterer Nachbar war gerade nach einer Herzoperation nach Hause gekommen und saß jetzt in der Kälte. Alle bahnten ihm einen kleinen Pfad zu einem beheizten Haus, wo er unterschlüpfen konnte. Überhaupt war die Solidarität groß: Wir verbrachten den Abend bei unseren Nachbarn, die zwar auch keinen Strom, aber einen Holzofen in der Küche und einen Kronleuchter mit echten Kerzen besitzen. Es war sehr gemütlich. Als wir nach Hause kamen, betrug die Temperatur im Haus zwölf Grad. Wir schliefen mit Schlafsäcken und Decken übereinander.

Wo gibt es einen Fernseher?

Am Sonntag strahlte zwar die Sonne, aber Strom hatten wir immer noch nicht. Die Menschen fingen an, sich auszubuddeln. Wir fuhren mit der U-Bahn - die unterirdisch noch funktionierte - in die Innenstadt. Im Büro gab es Wärme und Strom: Handys aufladen war Priorität. Sie waren zuhause unsere einzige Verbindung zur Außenwelt. (Zur Erinnerung: Wir wohnen an der Stadtgrenze der Hauptstadt der Supermacht USA). Den Super Bowl am Abend sahen wir in einem Restaurant, von dem wir nach Hause laufen konnten. Dort gab es immer noch keinen Strom. Als wir an jenem Abend ins Bett gingen, betrug die Temperatur acht Grad. Ich setzte eine Mütze auf.

Am nächsten Morgen zeigte das Thermometer 5,6 Grad im Schlafzimmer. Langsam wurde die Sache anstrengend. Wir überlegten, wie viele unserer Nachbarn, ins Hotel zu ziehen. Doch dann fuhr der Service-Wagen der Stromgesellschaft vor. Hoffnung keimte auf. Und tatsächlich: Am Montag Mittag, nach 48 Stunden Blackout, gab es wieder Strom. Es dauerte bis zum Abend, bis das Haus wieder aufgewärmt war.

Snowmageddon

Am Dienstag ging das ganze Spiel dann wieder von vorne los. Blizzard Warnung. Wer zur Arbeit gegangen war, trat am Nachmittag, als die ersten Flocken fielen, den Heimweg an. Am Mittwoch türmte sich wieder der Schnee. Die Flughäfen schlossen ein weiteres Mal, die Räumfahrzeuge stellten ihre Arbeit ein. Busse fuhren sowieso nicht, die U-Bahn nur unterirdisch. Die Schulen hatten beschlossen, die ganze Woche dicht zu machen. Einige Lehrer schickten Hausaufgaben per e-Mail. Nachbarn teilten mit der elektronischen Post mit, welche Läden offen hatten und wo es noch Lebensmittel zu kaufen gebe - wenn man denn hinkäme.

Die Rekorde purzelten. Soviel Schnee - 1,40 Meter - gab es hier in einem Winter noch nie. Eine Regierung, die viereinhalb Tage nicht arbeitet, ist ebenfalls ein Rekord. Der Präsident versucht tapfer, so viele Termine wie möglich einzuhalten. Aber er lästert nicht mehr, wie noch vor einem Jahr, über die verpimpelten Washingtoner, sondern spricht vom "Snowmageddon". Die Flughäfen mussten wieder dicht machen, das Salz geht aus, auch das Geld, um die Räumcrews zu bezahlen.

Ruhe vor dem (nächsten) Sturm

Am Donnerstag Mittag normalisiert sich die Lage langsam wieder. Aber es wird noch dauern, bis die Bahnen wieder fahren, die Straßen wieder frei sind, denn der heftige Wind hält weiter an. In Frederick County nördlich der US-Hauptstadt suchen Rettungskräfte immer noch nach dutzenden Menschen, die die Nacht in ihren Autos eingeschneit verbringen mussten. Sie haben per Handy um Hilfe gebeten. In Delaware hatte der Gouverneur am Mittwoch kurzerhand den Notstand ausgerufen, der nur noch Rettungsfahrzeugen das Fahren auf den Straßen erlaubt.

Derweil hoffen wir, dass die Stromleitungen halten. Sonst müssen wir für die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele am Freitag Abend wieder ins Restaurant gehen. In Vancouver könnten sie unseren Schnee übrigens dringend gebrauchen. Angesichts weniger Flocken und warmen Temperaturen in Rekordhöhe lassen die Verantwortlichen auf der anderen Seite des Kontinents die weiße Pracht mit Helikoptern auf die Pisten fliegen. Und hätten sicher nichts gegen die Wettervorhersage, die für Washington gilt: Der nächste Schnee wird am Montag erwartet.

Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Hartmut Lüning