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Eiszeit zwischen Tschechien und der Slowakei

Lubos Palata (Prag/Bratislava)
27. Mai 2025

Seit mehr als 30 Jahren leben Tschechen und Slowaken in getrennten, unabhängigen Staaten. Bisher waren sie eng und freundschaftlich verbunden. Doch wegen der Ukraine-Politik driften beide Länder immer mehr auseinander.

Zwei Männer gehen nebeneinander auf ein Gebäude zu. Der Mann im Vordergrund (Robert Fico) gestikuliert mit der rechten Hand, während er spricht, der Mann im Hintergrund (Petr Fiala) lächelt verhalten
Der slowakische Premier Robert Fico und sein tschechischer Amtskollege Petr Fiala beim Treffen der Visegrad-Gruppe am 27.2.2024 in PragBild: Ondrej Deml/CTK/IMAGO

Eigentlich sind die tschechisch-slowakischen Beziehungen seit der reibungslosen Teilung der Tschechoslowakei im Jahr 1992 außergewöhnlich gut und eng und von wechselseitigem Vertrauen geprägt. Die Regierungen unterstützen sich gegenseitig und arbeiten bei der Verteidigung zusammen, die beiden Sprachen werden im jeweils anderen Land verstanden, Zehntausende junger Slowaken studieren an tschechischen Universitäten, die eine höhere Qualität aufweisen.

Die erste Auslandsreise der tschechischen und slowakischen Staatsoberhäupter führt immer in das jeweilige Nachbarland, mindestens einmal im Jahr fanden bisher gemeinsame Kabinettssitzungen statt. Und in Meinungsumfragen waren beide Länder im jeweils anderen Land stets am beliebtesten.

Ende der "außergewöhnlichen" Beziehungen?

Doch seit der Amtsübernahme von Ministerpräsident Robert Fico in der Slowakei im Oktober 2023 haben sich die Beziehungen deutlich abgekühlt. Die nationalistische, vom ungarischen Premier Viktor Orban inspirierte und nach Russland orientierte Regierung geriet mit dem pro-ukrainischen tschechischen Kabinett von Petr Fiala aneinander. So sehr, dass Prag im März 2024 das traditionelle gemeinsame Treffen der Regierungen absagte.

Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala im Juli 2024Bild: Michal Krumphanzl/CTK/IMAGO

Die "außergewöhnlichen Beziehungen" seien auf unbestimmte Zeit beendet, hieß es in der tschechischen Hauptstadt. "Wir halten es nicht für angebracht, in den kommenden Wochen oder Monaten Regierungsgespräche mit der Regierung der Slowakischen Republik zu führen", sagte Premierminister Fiala vor Journalisten. "Es ist nicht zu verbergen, dass es in einigen wichtigen außenpolitischen Fragen erhebliche Meinungsverschiedenheiten gibt."

Fico, der die Einstellung der Militärhilfe der slowakischen Regierung für die Ukraine angeordnet und mit der Wiederherstellung der Beziehungen zu Moskau begonnen hatte, warf dem Kabinett Fiala daraufhin Kriegstreiberei vor. "Wir stellen fest, dass die tschechische Regierung beschlossen hat, unsere Beziehungen nur deshalb zu gefährden, weil sie daran interessiert ist, den Krieg in der Ukraine zu unterstützen, während die slowakische Regierung offen über den Frieden sprechen will", verbreitete Fico in den sozialen Medien.

Obwohl die Zusammenarbeit bei praktischen Projekten auf einer niedrigeren Ebene fortgesetzt wurde, ist von der Wärme und dem Verständnis der vergangenen Jahre nichts mehr zu spüren. Zumal die Annäherung der Slowakei an Russland anhält. Sie gipfelte zuletzt in der Teilnahme Ficos an den Moskauer Feierlichkeiten zum 9. Mai - als einziger Regierungschef der Europäischen Union.

Wachsende Distanz zwischen den Bevölkerungen

Die innenpolitischen Entwicklungen in der Slowakei, wo die Regierung gegen unabhängige öffentliche Medien und Kultureinrichtungen vorgeht und die Bekämpfung der politischen Korruption erschwert, stoßen im Nachbarland zudem auf negative Resonanz.

Die Abkühlung zwischen den Regierungen zeigt inzwischen erste Auswirkungen auf die Haltung der Bevölkerungen. Laut der jährlichen Umfrage des tschechischen Meinungsforschungsinstituts STEM, die vor einigen Tagen veröffentlicht wurde, ist die Slowakei in der Beliebtheitsskala der Tschechen von ihrem traditionellen ersten auf den zehnten Platz zurückgefallen.

Enge Verbündete: Der slowakische Premier Robert Fico (l.) und sein ungarischer Amtskollege Viktor OrbanBild: Omar Havana/AP Photo/picture alliance

"Die Einstellung der tschechischen Öffentlichkeit gegenüber anderen Ländern und ausländischen Politikern bleibt im Jahr 2025 weitgehend stabil, aber die aktuelle Umfrage verzeichnet einen deutlichen Rückgang für die Slowakei und die Vereinigten Staaten", heißt es auf der Webseite des Instituts. "Der deutliche Rückgang der positiven Bewertung nach dem Abwärtstrend der letzten beiden Jahre hängt höchstwahrscheinlich mit der aktuellen politischen Situation im Land zusammen, wo sich die Beziehungen mit Tschechien nach dem Amtsantritt der Fico-Regierung im Herbst 2023 abgekühlt haben", erklärte STEM-Analystin Silvia Petty gegenüber den Medien.

Die Abkühlung wurde beschleunigt, als vor einem Jahr die eindeutig pro-westliche und in Tschechien äußerst beliebte slowakische Präsidentin Zuzana Caputova durch Ficos Minister und Präsidentschaftskandidaten Peter Pellegrini abgelöst wurde. "Pellegrini wird von 38 Prozent der Tschechen und Tschechinnen positiv gesehen, das ist deutlich weniger als bei seiner Vorgängerin Caputova. Sie genoss in ihrem letzten Amtsjahr die Unterstützung von 68 Prozent der Tschechen", so Petty.

Jeder fünfte Slowake hält zu Russland

Tiefe Meinungsunterschiede zwischen beiden Ländern gibt es auch in Bezug auf die Ukraine. Laut einer Umfrage des Instituts CVVM vom April 2025 befürworten 58 Prozent der Tschechen Militärhilfe für das angegriffene Land. In der Slowakei dagegen sind es laut einer IPSOS-Umfrage von Anfang des Jahres nur 16 Prozent. Ein Drittel der Wähler von Ficos Regierungspartei Smer und 20 Prozent der Slowaken insgesamt wünschen sich sogar einen Sieg Russlands. In der Tschechischen Republik sind es nur sieben Prozent der Bevölkerung. 

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico (in der 3. Reihe hinter Putin) bei den Feierlichkeiten zum 9. Mai in MoskauBild: Yuri Kochetkov/Pool Photo via AP

Die slowakische Wochenzeitung Tyzden wies darauf hin, dass der tschechische Präsident Petr Pavel am Wochenende vor dem 8. Mai den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf der Prager Burg empfangen hatte, während Fico einige Tage später Wladimir Putin in Moskau seine Aufwartung machte. Die Bilder von der Prager Burg und aus dem Kreml definierten den Charakter zweier gegensätzlicher Welten, kommentierte Chefredakteur Stefan Hrib.

Slowakische Opposition in Prag gern gesehen

Regierungspolitiker in Bratislava versuchen, die Distanz zwischen den beiden Nachbarländern herunterzuspielen. "Die grundlegende Botschaft sollte sein, dass trotz manchmal unterschiedlicher Ansichten auf der Ebene der Regierungen und manchmal sogar der Staatsoberhäupter unsere gemeinsame Basis immer noch besteht", sagte der Sprecher des slowakischen Parlaments und stellvertretende Vorsitzende der Koalitionspartei Hlas, Richard Rasi, gegenüber der DW. Vor den tschechischen Wahlen im kommenden Oktober sei ein gemeinsames Treffen der Regierungen undenkbar, aber: "Ich glaube, dass wir nach den Wahlen wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren werden."

Der slowakische Oppositionsführer Michal Simecka bei einer Demonstration gegen die Regierung Fico im Dezember 2023Bild: Patrik Uhlir/CTK/picture alliance

Gute Beziehungen nach Prag pflegt die slowakische Opposition, angeführt von der Partei "Progressive Slowakei". Ihre Politiker werden in der tschechischen Hauptstadt auf höchster Ebene empfangen, wie kürzlich der Parteivorsitzende Michal Simecka und der ehemalige Außenminister und frühere slowakische Botschafter in Berlin, Ivan Korcok. Er war bei den Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr knapp unterlegen und ist Ende letzten Jahres der Partei Progressive Slowakei beigetreten. Der DW sagte er anlässlich seines Besuches in Prag: "Ich möchte den Tschechen sagen: Glauben Sie mir, dass es in der Slowakei eine politische Alternative in Form der Opposition und der Progressiven Slowakei gibt. Sie wird die Slowakei von der Peripherie Europas zurück in die Mitte bringen und auch die wunderbaren tschechisch-slowakischen Beziehungen wiederherstellen."

Die Progressive Slowakei führt seit Anfang des Jahres alle Umfragen an und hätte derzeit zusammen mit anderen Oppositionsparteien eine Mehrheit der Sitze im Parlament. In der Tschechischen Republik hingegen liegt vor den Wahlen im Oktober die ANO-Bewegung des Prager Oligarchen Andrej Babis vorn. Der macht aus seiner Zuneigung sowohl zu Fico als auch zu Orban keinen Hehl. Die politische Entfremdung zwischen beiden Ländern könnte also andauern - aber unter umgekehrten Vorzeichen.

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag