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Kriminalität

Eitelkeit und Größenwahn: Falsche Ärzte

Carsten Grün mit Material von afp, dpa, aerztezeitung.de
1. November 2019

In einer Klinik in Hessen hat eine Frau ohne Medizinstudium drei Jahre als Narkoseärztin gearbeitet. Nun sollen durch sie vier Menschen gestorben sein. Kein Einzelfall: Immer wieder geben sich Laien als Ärzte aus.

20.11.2015 DW fit & gesund Narkose

Gegen die 48-Jährige, die von 2015 bis 2018 als Assistenzärztin in einer Klinik in Fritzlar in der Nähe von Kassel tätig, war, wurde inzwischen Haftbefehl erlassen. Nach ersten Ermittlungen besaß die Frau keine ärztliche Zulassung.

Die Ermittler werfen ihr vor, Fehler bei der Behandlung gemacht zu haben. Beispielsweise habe sie die Atemnot eines Patienten nicht rechtzeitig erkannt und falsche Medikamente während Operationen verabreicht. "Durch fehlerhafte Anästhesien soll sie in vier Fällen den Tod der Patienten verursacht haben. In acht weiteren Fällen sollen Gesundheitsschäden eingetreten sein", sagte Götz Wied von der Staatsanwaltschaft Kassel.

Zunächst war nur ermittelt worden, weil sie sich die Frau mit gefälschten Unterlagen in der Klinik beworben haben soll. Doch bei einer Durchsuchung im Januar stießen die Behörden auf weitere Beweise. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln nun unter anderem wegen des Verdachts des Totschlags, gefährlicher Körperverletzung, Urkundenfälschung, Betruges und des Missbrauchs von Titeln.

Am Dienstag kam die Frau in Untersuchungshaft. Zugleich gab es Durchsuchungen in drei Bundesländern: Neben der Klinik in Hessen wurden die Kieler Privaträume der Verdächtigen durchsucht, ebenso die Arbeitsplätze von zwei Medizinern in Hessen und Brandenburg. Es werde geprüft, ob die damals in der Klinik tätigen Ärzte ihre Aufsichtspflicht verletzt haben, indem sie die angebliche Anästhesistin trotz mangelhafter Leistungen weiterarbeiten ließen.

Die Klinik "Hospital zum Heiligen Geist"Bild: picture alliance/dpa/U. Zucchi

Die Klinikleitung äußerte sich bestürzt: "Wir werden alles uns Mögliche tun, um die Aufklärung des Sachverhalts bestmöglich und schnellstmöglich zu unterstützen."

Laut einer Auswertung des Landkriminalamtes in Wiesbaden gab es seit dem Jahr 2014 mindestens zwölf ähnliche Fälle allein in Hessen, davon sieben in Praxen und fünf in Kliniken.

Der Wunsch Arzt zu sein

Ein Blick in die Medizingeschichte zeigt, dass es seit Jahrzehnten immer wieder Menschen gibt, die gerne als Arzt arbeiten wollen, aber nicht die Qualifikation besitzen. Oft ist Eitelkeit das vorherrschende Motiv, so wie beim falschen "Doppeldoktor" Christian E.. Er hält sogar Vorträge vor Spezialisten für Gefäß-, Thorax- und Viszeralchirurgie. Alles geht bei dem 28-Jährigen Nachwuchsmediziner gut, bis zu jenem Tag, an dem die Bayerische Landesärztekammer einen anonymen Brief erhält, wie die Ärztezeitung berichtet: Wie denn ein Studienabbrecher über Nacht zwei Doktortitel erwerben könne, zumal von der renommierten Universität Oxford und der kaum minder angesehenen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt am Main?

Kein Abi aber eine Doppelpromotion

Die Ermittlungen weiten sich zur Blamage für den akademischen Zirkel aus. Christian E. verfügt über einen Realschulabschluss mit der Note ausreichend, macht eine Ausbildung zum Bankkaufmann und stellt sich anschließend ein Abiturzeugnis mit der Note 1,3 aus. Damit knackt er den NC für Medizin und wird Student an der medizinischen Fakultät der Universität Erlangen. Seine Promotionen (er)schaffte er in wenigen Stunden am heimischen PC, ebenso die Approbation. Als Assistenzarzt ging E. den Chirurgen innerhalb von 13 Monaten bei insgesamt 190 Operationen zur Hand. Nur weil dabei kein Patient zu Schaden kam, verzichtete das Landgericht Nürnberg-Fürth auf den Vorwurf der Körperverletzung und verurteilte E. 2010 stattdessen wegen Urkundenfälschung, Betrugs und Titelmissbrauchs zu dreieinhalb Jahren Haft, so die Ärztezeitung.

Gert Uwe Postel im Januar 1995 bei seinem Prozess in KielBild: picture-alliance/dpa/W. Pfeiffer

Vom Postboten zum Amtsarzt

Psychiatrisches Krankenhaus im sächsischen Zschadraß bei ColditzBild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Aber bereits in den 1980er Jahren hab es spektakuläre Fälle. So wie der des Postzustellers Gert Uwe Postel. Als Dr. med. Dr. phil. Clemens Bartholdy schwang er das Zepter als Amtsarzt in Flensburg und nach der Wende als Oberarzt einer psychiatrischen Klinik im sächsischen Zschadraß.

Friseur, Pfleger, Chefarzt - Junkie, Dealer, Chef der Drogenklinik

Klaus D., Friseur und ehemaliger Pfleger, praktizierte von 1983 an mithilfe gefälschter Dokumente aus Italien ("Dottore/Univ. Neapel") fast 20 Jahre lang als Arzt in Oberbayern, unter anderem als Chefarzt einer Kinder-Rehabilitationsklinik. Weil er Patienten Kortisonpräparate spritzte, verurteilte ihn das Landgericht Traunstein 2001 wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Titelmissbrauchs zu drei Jahren Haft, schreibt die Ärztezeitung.

Auch die Kleinstadt Rees am Niederrhein, nahe der niederländischen Grenze, war nicht gefeit vor falschen "Weißkitteln". Siegfried L. hat einen rasanten Lebenslauf zu bieten. Als Ex-Junkie und verurteilter Rauschgiftschmuggler war für ihn der der Sprung zum therapeutischen Leiter einer Drogenklinik offenbar vorprogrammiert. L. hatte sich den Verantwortlichen der dortigen Fachklinik gegenüber als Diplompsychologe, Psychotherapeut sowie Doktor der Philosophie ausgegeben und eine gefälschte Approbationsurkunde des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung vorgelegt.

Der Titel der von ihm gefälschten Dissertation lautete "Das Leben feiern". Entdeckt wurde er durch Zufall: Bei einer Polizeikontrolle fiel auf, dass L. keinen Führerschein besaß, worauf sein Kartenhaus zusammenstürzte und ihn das Amtsgericht Kleve 2010 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilte.

Prof. Dr. Peter WalschburgerBild: FU-Berlin

Botox - aber nicht vom Fachmann

Christian B. gab sich im Internet als Plastischer Chirurg aus und lud Patienten in den Jahren 2012 bis 2014 zur Behandlung in seine als Privatpraxis deklarierten Wohnungen in Hannover und Regensburg, wo er ihnen gegen Barzahlung ihre Gesichter mit Silikon und Botox formte. Das Landgericht Regensburg verurteilte ihn 2015 wegen gefährlicher Körperverletzungen, Betrugs und Titelmissbrauchs in 110 Fällen zu vier Jahren und drei Monaten Gefängnis.

Professor Peter Walschburger, Biopsychologe an der Freien Universität Berlin, charakterisiert den klassischen Hochstapler folgendermaßen: "Das sind oft intelligente Leute mit sehr guter Menschenkenntnis, bei denen aber die Balance zwischen ihrem Anspruch auf Selbstentfaltung und der Bindung an ihre Mitmenschen gestört ist und die es nicht geschafft haben, mit der nötigen Disziplin im Berufsleben die Position zu erreichen, die ihren Wünschen und Sehnsüchten entspricht."

cgn/rb (afp, aerztezeitung.de, dpa)