EKD hinterfragt Auslandeinsätze
27. Januar 2014 Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zieht eine düstere Bilanz des deutschen und internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan. Von einem Frieden in dem Land "kann nicht die Rede sein", heißt es in einer Stellungnahme der Kammer für öffentliche Ordnung der EKD. Sie vermisst eine genauere Abstimmung des Verhältnisses von militärischen und zivilen Anteilen von Anfang an. Daraus hätten sich dann Fehlentwicklungen ergeben. Und es fehle an einer "gründlichen ethischen Reflexion der verantwortlichen Beendigung von militärischen Einsätzen".
Die Stellungnahme unter dem Titel "Selig sind die Friedfertigen" enthält deutliche Mahnungen für jeden weiteren Auslandseinsatz der Bundeswehr. Zwar bilanziert das Papier - Anfang Dezember, also vor der Debatte über neue Auslandseinsätze der Bundeswehr verabschiedet - offiziell nur das deutsche Engagement am Hindukusch. Doch es zeigt wesentliche Perspektiven für die - im Vorwort erwähnte - Lage in Syrien und auch die plötzlich auf die Tagesordnung gekommenen Afrika-Einsätze der Bundeswehr auf.
Forderung an den Bundestag
Denn all jene Defizite, die die EKD-Experten im Rückblick benennen, stehen heute wieder im Raum. Eigentlich könnten sie nun nur lautstark vor Verpflichtungen in Mali oder Zentralafrika warnen. Grundsätzlich, so die Mahnung der evangelischen Fachleute, solle der Bundestag bei einer künftigen Erteilung von Mandaten für die Bundeswehr "den militärischen Teil in eine umfassende Mandatierung einbinden", die die zivilen friedenspolitischen Ziele und Maßnahmen "konkretisiert".
Die Autoren sprechen von einer "tiefen Zweideutigkeit" der militärischen Mittel. Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider betont die "große Skepsis" beider Gremien, Rat und Kammer, bezüglich der Angemessenheit der in Afghanistan eingesetzten militärischen Mittel. So seien "trotz mancher guter Ansätze Weichen in die falsche Richtung gestellt" worden.
Es stelle sich die Frage, "ob nicht die militärischen Mittel eine Eigendynamik entwickelt haben, die dazu führe, dass das Leitbild des 'gerechten Friedens' aus dem Zentrum des Handelns herausgerückt ist". Denn der Einsatz militärischer Gewalt habe "an manchen Orten zu einer Spirale der Gewalteskalation geführt". Die Kritik zielt dabei auch deutlich in Richtung des großen US-Verbündeten. Dessen verdeckte Operationen durch Spezialeinheiten, die gezielte Tötung Aufständischer und Verdächtiger sowie der Einsatz von Kampfdrohnen hätten die üblichen "Vergeltungsmechanismen" nicht überwunden, sondern "eher sogar weiter verschärft".
"Tendenz zur robotisierten Tötung"
Wörtlich spricht die EKD-Kammer von einer "Tendenz zur robotisierten Tötung individueller Gegner" und zur "Depersonalisierung des Krieges". Auf afghanischer Seite beklagen die Kirchenexperten eine "Verzahnung zwischen Zentralregierung, Kriegsherrensystem und Drogenökonomie". Anzumerken ist, dass zu den Namen, die die Stellungnahme verantworten, neben anderen Politikern auch Hermann Gröhe zählt, im Herbst noch CDU-Generalsekretär, heute Bundesgesundheitsminister. So deutlich sprechen führende Politiker ansonsten selten über die schwierige Lage in Afghanistan.
Als eine der Konsequenzen solle die Politik "Wertung und Reichweite" der deutschen "Bündnissolidarität" im Blick auf mögliche internationale Einsätze künftig genau prüfen. Dazu müsse immer der Einsatz umfangreicherer Mittel für zivile Zwecke und beim Aufbau von nicht korrupter Verwaltung und politischer Führung zählen.
Die jetzt vorgelegte Stellungnahme setzt die Reihe grundlegender evangelischer Dokumente zu Friedensethik und militärischem Engagement fort. Wenige Tage vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gab es beispielsweise einen Text "Friedensethik in der Bewährung", 2007 dann eine Friedensdenkschrift "Aus Gottes Frieden leben, für gerechten Frieden sorgen". Und bereits 2002 erörterte die Kirche - just am jetzt wieder aktuellen Beispiel Afrika - das Verhältnis von gewaltsamen Konflikten und ziviler Intervention.
"Nichts ist gut …"
Doch keines der Dokumente sorgte für eine solch breite öffentliche Debatte wie eine Aussage der damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann vom Jahreswechsel 2009/2010. Ihr pointiertes Wort "Nichts ist gut in Afghanistan" galt toten Zivilisten, dem falschen Vorrang von Waffen vor friedlicher Konfliktbewältigung und fehlendem internationalen Engagement gegen Waffen- und Drogenhandel. Käßmanns Einwurf wurde mit Empörung und Zustimmung aufgenommen, politisch aber zur Seite gelegt. Nun, gut vier Jahre später, stellt ihr Nachfolger Nikolaus Schneider das neue Papier vor und blickt auf das Zitat zurück. "Ich habe Margot Käßmann immer verteidigt. Ich halte diese Zuspitzung für richtig, sie war notwendig, und sie hat ja einiges in Bewegung gesetzt", so der Ratsvorsitzende.
Immerhin, resümiert Schneider, habe Deutschland danach das zivile Engagement deutlich verstärkt und sich beispielsweise um den Aufbau eines Rechtssystems bemüht. Dennoch bleibt der kirchliche Blick auf die mehr als zehn Jahre der Bundeswehr in Afghanistan mehr als kritisch. Wie sehr die Autoren um einen gemeinsamen Kurs gerungen haben, zeigt ein Detail: Auf 44 Seiten formulieren sie an fünf Stellen unterschiedliche Meinungen, die nebeneinander stehen bleiben. Das reicht bis zu der Frage, ob das internationale militärische Engagement in Afghanistan überhaupt noch legitimiert sei.