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Gesellschaft

"Bitte um Vergebung lange überfällig"

Wolfgang Dick
24. April 2017

Die Evangelische Kirche Deutschlands hat ihre Rolle beim Völkermord an den Herero in der Kolonialzeit aufgearbeitet und die Nachfahren der Opfer um Vergebung gebeten. Ein Interview mit Bischöfin Petra Bosse-Huber.

Namibia Frauen des Herero Volkes
Bild: picture-alliance/AP Photo/

DW: Frau Bosse-Huber, warum erfolgte die Erklärung der EKD jetzt?

Petra Bosse-Huber: Sie ist lange überfällig, sodass es gut ist, das sie jetzt kommt. Es gibt aber auch einen konkreten Anlass. Der lutherische Weltbund wird seine Vollversammlung Anfang Mai in Windhuk abhalten. Da spielt die Kolonialvergangenheit eine große Rolle. Der lutherische Weltbund hat 1984 eine ihrer Mitgliedskirchen wegen ihres Verhältnisses zur Apartheid und zum Rassismus suspendiert. Die Vergangenheitsbewältigung hält weiter an und wir wollten als EKD in Vorlage gehen und weitere Versöhnungsschritte beginnen.

Die Rolle der Evangelischen Kirche in der Kolonialzeit wurde in den vergangenen Jahren wissenschaftlich aufgearbeitet. Was waren die wichtigsten oder gar überraschendsten Erkenntnisse?

Für mich war das Überraschendste, dass die Rollen auch der kirchlichen Vertreter sehr unterschiedlich waren. Sehr stark vertreten war in Namibia die Rheinische Mission. Da gab es Pfarrer und Diakone, die sich ganz klar auf die Seite der namibischen Bevölkerung gestellt haben und das Unrecht der Enteignung, der Verfolgung und des Rassismus angeprangert haben. Und es gab eine andere Gruppe in der Rheinischen Mission, die sich sehr reichskonform verhalten hat und dem Kaiser sehr nahe stand. Wir als Rechtsnachfolger des evangelischen Preußischen Oberkirchenrates wissen zwar jetzt, dass niemand der dort eingesetzten Pfarrer direkt zur Vernichtung aufgerufen hat, aber die Nähe zu den Schutztruppen und den Siedlern war so eng, dass sie auch an keiner Stelle Widerstand geleistet haben gegen die Greueltaten. Dafür können wir nur um Vergebung bitten.

Ein Schuld-Eingeständnis und die Bitte um Vergebung sind sehr deutliche Gesten. Welche Debatten hat das innerhalb der EKD ausgelöst?

Die Erklärung ist das Ergebnis einen langen Prozesses. 2004 jährte sich die Waterbergschlacht zum 100. Mal. Das war eine Initialzündung für die wissenschaftliche Aufarbeitung. 2007 sind wir gestartet und sind erst 2015 zum wissenschaftlichen Abschluss gekommen. Es hat schon Überzeugungsarbeit gebraucht, und es gab auch Widerstand. Aber der ist über die Jahre auch durch die Beschäftigung mit dem Thema abgebaut worden. Jetzt am Schluss waren schließlich alle evangelischen Kirchen und alle evangelischen Missionswerke auch aktiv daran beteiligt und teilen die historischen Erkenntnisse.

EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-HuberBild: picture-alliance/dpa

Was unternimmt die EKD denn neben der Bitte um Vergebung und dem "Bemühen um den Geist der Versöhnung" noch ganz konkret zur Aufbereitung des damaligen Unrechts?

Wir sind im Januar in Okahandja mit all unseren Partnern auf namibischer Seite zusammen gekommen. Zum einen, um zu besprechen, dass unsere Entschuldigung nicht in irgendeiner Form als Kränkung empfunden werden kann. Zum anderen ging es um ganz konkrete Maßnahmen: An einem namibisch-deutschen Institut für Versöhnung und Entwicklung soll weiter gearbeitet werden. Dann geht es um die Identifizierung und Gestaltung von Gedenkorten zum Genozid sowohl in Namibia als auch in Deutschland. An solchen Orten des Massenmordes gibt es an vielen Stellen keine Hinweise und keinen Ort des Innehaltens. Das ist schwer erträglich.

Zudem geht es um die Frage der Überbringung der sterblichen Überreste von Opfern, die immer noch in Deutschland ruhen. Die sind damals zu angeblich medizinischen Zwecken nach Deutschland verbracht worden. Das waren Schädel von Menschen der einheimischen Bevölkerungsgruppen. Die Rückführung muss in einer angemessenen und würdigen Art und Weise passieren. Wenn man Afrika ein bisschen kennt und weiß, welche Bedeutung Ahnen haben, weiß man, welche unglaubliche Kränkung damit verbunden ist.

Wir werden auch darüber sprechen müssen, wie wir pädagogisch mit Erinnerungskultur umgehen. Die Kolonialgeschichte ist leider ein Feld, über das viele Deutsche fast nichts wissen. Zwischen den Kirchen in Deutschland und Namibia ist im Spätsommer dazu eine zweite Konsultation angedacht. Da gibt es eine Menge zu tun.

Welchen Part spielt die EKD bei den laufenden Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der Regierung Namibias?   Die Bundesregierung hat das Massaker ja immerhin auch als Völkermord anerkannt.

Wir haben die üblichen und auch engen Gesprächskontakte. Aber wir haben kein politisches Mandat.

Also ich hoffe, dass die Sonderbeauftragten, die es von beiden Seiten gibt, mit großem Ernst die aufgenommenen Verhandlungen weiterführen. Wir werden jedenfalls alles von unserer Seite tun, um das zu unterstützen. Wir haben als Evangelische Kirche ein hohes Interesse daran, dass die Opfergruppen gehört werden und ihre Anliegen auch politisch Resonanz finden.

Inwieweit geht es jetzt auch um konkrete Opfer-Entschädigungen seitens der EKD?

Das Thema haben wir glücklicherweise nicht, weil es tatsächlich keine historischen Hinweise auf eine Schuld gibt, die eine solche Frage aufwerfen würde. Wenn bei uns Reparationsforderungen im Raume stünden, würde auch die ehrliche Aufarbeitung noch einmal ungleich schwerer werden.

Inwieweit müsste sich auch die Katholische Kirche entschuldigen?

Wir sind vor allem als Protestanten in Namibia sehr wirkungsmächtig gewesen. Die Katholische Kirche hat bei weitem nicht diese Wirkung im südlichen Afrika, in Südafrika und Nambia entfaltet. Insofern ist die Geschichte da eine deutlich andere.

Bischöfin Petra Bosse-Huber ist seit dem Jahr 2014 Vizepräsidentin des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und leitet die Hauptabteilung Ökumene und Auslandsarbeit sowie das Amt der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK).

Das Gespräch führte Wolfgang Dick.

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