Eklat: Bestimmen Politiker TV-Programm?
22. Januar 2016Das Debakel begann mit zwei Absagen. Sie kamen von der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin und SPD-Frau Malu Dreyer sowie von ihrem baden-württembergischen Kollegen und Grünen Winfried Kretschmann. Beide lehnten die Einladung des Südwestrundfunks (SWR) zu einer Diskussionsrunde vor den Landtagswahlen im März ab, sollte an dieser auch die Alternative für Deutschland (AfD) teilnehmen.
Genau das hatte der SWR geplant. Nicht nur die Spitzenkandidaten der im Landtag vertretenen Parteien sollten an der sogenannten Elefantenrunde teilnehmen - also SPD, CDU und Grüne aus Rheinland-Pfalz und Grüne, SPD, CDU und FDP aus Baden-Württemberg. Sondern den Fragen der Journalisten hätten sich auch die Anwärter der Parteien stellen sollen, die eine realistische Chance haben, in die Landesparlamente einzuziehen: Die AfD, die Linke und in Rheinland-Pfalz auch die FDP.
Auf die Weigerung Dreyers und Kretschmanns reagierte der SWR mit einem neuen Setting. Der Vorschlag: Die eigentliche Diskussion sollte nur zwischen den Ministerpräsidenten und den Kandidaten der anderen im Landtag vertretenen Parteien stattfinden. Im Anschluss daran wolle man aufgezeichnete Interviews mit Vertretern der anderen Parteien zeigen.
Diese Variante rief wiederum die rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin auf den Plan: Julia Klöckner sagte ihre Teilnahme an einer solchen Debatte ab.
"Mit Erpressung konditioniert"
"Wie ein Sender die Elefantenrunde zusammenstellt, das hat eine Ministerpräsidentin im Vorfeld nicht mit Erpressung zu konditionieren", begründete Klöckner an die Adresse ihrer Rivalin Malu Dreyer in der ARD-Tagesschau ihre Entscheidung. Mit Blick auf FDP und Linke argumentierte Klöckner in der "Welt online": "Es wurden ja gleich weitere Parteien mit ausgeladen und so die Wunschkonstellation für die rot-grüne Landesregierung passend gemacht." In den sozialen Netzwerken gibt es bereits spöttische Kommentare unter dem Hashtag #Lueckenpresse.
Was bei der rheinland-pfälzischen CDU wie eine Fairness-Verpflichtung daherkommt, könnte auch andere Gründe haben. Zum Beispiel eigene wahlkampf-taktische Überlegungen: Zöge die AfD in den Mainzer Landtag ein, stiegen die Chancen Klöckners, die Macht zu übernehmen. Auch dass FDP-Kandidaten sich in Szene setzen können, käme den Christdemokraten zupass, gelten die Liberalen doch als potentielle Koalitionspartner.
Wer manipuliert wen?
Der Vorwurf der politischen Einflussnahme steht im Raum. Doch mit ihm auch die Frage: Regieren die Politiker das Programm beziehungsweise lässt der öffentlich-rechtliche SWR zu, dass sie das Programm regieren? Für politische Elefantenrunden gibt es bei ARD und ZDF eigentlich eine klare - wenn auch informelle - Regel. Üblicherweise laden die Fernsehmacher nur Kandidaten der Parteien ein, die bereits in den Parlamenten vertreten sind. Doch schon bei der jüngsten Landtagswahl 2011 ist der SWR aus diesem System ausgebrochen, indem er auch die damals noch außerparlamentarischen Grünen teilnehmen ließ.
Die Medienwissenschaftlerin Caja Thimm findet, der SWR hätte sich frühzeitig überlegen müssen, ob eine Diskussion der Spitzenkandidaten das richtige Format für die Landtagswahlen ist. "Dass ein Senderchef und ein Intendant sich vorher darüber Gedanken macht, wie man die Politik angesichts der sehr aufgeladenen kommenden Wahlen unter einen Hut bekommt, das ist seine originäre Aufgabe." Damit sei der SWR gescheitert.
Kritik kommt auch vom Deutschen Journalistenverband (DJV). Die AfD von der Elefantenrunde auszuschließen, setze "ein falsches Signal", meinen Andrea Wohlfahrt vom Landesverband Rheinland-Pfalz und Dagmar Lange vom DJV Baden-Württemberg. "Wir sollten alles unterlassen, was den Eindruck mangelnder Staatsferne bei den Öffentlich-Rechtlichen verstärkt oder Jenen Vorschub leistet, die von Lügenpresse sprechen", betonen sie in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Nur "Schönwetterdemokraten"?
Beeinflussung will sich Intendant Peter Boudgoust nicht vorwerfen lassen: "Wir hinterfragen in all unseren Angeboten alle relevanten Positionen. Wir verschweigen keine Meinungen." Vielmehr spielte Boudgoust den Ball zurück an die Politiker: "Nicht am SWR scheitert politischer Diskurs - die Parteien müssen sich diesem stellen." Der Chefredakteur des Südwestrundfunks, Fritz Frey, fährt härtere Geschütze auf und stellt das Demokratieverständnis von SPD und Grünen infrage. "Man möchte denen fast zurufen: Was seid ihr eigentlich für Schönwetterdemokraten, wenn ihr euch jetzt wegduckt, anstatt euch auf die Bühne zu begeben", sagte er dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".
In der Vergangenheit sind die Vertreter der etablierten Parteien auf der gemeinsamen politischen Bühne mit der AfD jedoch oft genug gescheitert. Medienwissenschaftlerin Thimm erklärt im DW-Interview: "Die Bürger haben die AfD in verschiedenen Talkshows gesehen. Sie haben gesehen, wie hilflos die Politik zum Teil auf die Kommentare von Rechts reagiert hat. Daher haben die Politiker die Sorge - und die ist auch nicht unberechtigt -, der AfD eine Bühne zu geben." Dass die AfD politisch eine ernstzunehmende Größe darstellt, zeigt beispielsweise der Trend in Rheinland-Pfalz.
"Diskutieren oder ignorieren?"
Jetzt müssten alle am politischen Diskurs beteiligten sich die Frage stellen: "Diskutieren oder ignorieren?", meint Thimm. Für die CDU-Kandidatin Julia Klöckner ist die Sache klar: Die Entscheidung, die AfD von einer solchen TV-Runde auszuschließen, werde den Rechtspopulisten letztlich nutzen. "Statt sie mit Argumenten zu entzaubern, werden sie nun zu Märtyrern", argumentiert sie.
Medienwissenschaftlerin Caja Thimm resümiert: "Fakt ist, wir diskutieren jetzt darüber, dass wir nicht mit der AfD diskutieren können. Das ist manchmal das Resultat solcher misslungenen Medienaktionen, dass der vollständig gegenteilige Effekt eingetreten ist. Die AfD wird plötzlich zu einem Opfer stilisiert, das eher Sympathien weckt, als abschreckend zu wirken."
Ob mit oder ohne Sympathie: Spätestens nach dem 13. März - dem Tag der Wahlen für beide Landtage - werden sich die etablierten Parteien aller Voraussicht nach mit den Rechtspopulisten auseinandersetzen müssen - nicht in den Wahlkampfarenen des öffentlich-rechtlichen Senders, aber in den Landtagen von Mainz und Stuttgart.