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PolitikEuropa

Imamoglu: Hoffnungsträger der türkischen Opposition

18. Januar 2023

Von einem relativ unbekannten Bezirksbürgermeister zum möglichen Präsidentschaftskandidaten - und das alles in dreieinhalb Jahren. Ein Porträt von Ekrem Imamoglu, der heute für viele als Hoffnungsträger gilt.

Türkei Istanbuls OB Ekrem Imamoglu
Redegewandt, aber nicht beleidigend: Ekrem ImamogluBild: BELGA/dpa/picture alliance

Er wirkt entspannt, modern, redegewandt: Ekrem Imamoglu weiß, wie man unterschiedliche Schichten und Gruppierungen der Gesellschaft anspricht. Eines seiner Anliegen ist es, jeden mit einzubinden, nicht zu diskriminieren und zu beleidigen. Das könnte auch als Reaktion auf den Stil der jetzigen Regierung verstanden werden. In der türkischen Politik ist es durchaus Usus gegen die Anhänger der politischen Gegner einen herablassenden und beleidigenden "wir-gegen-sie"-Diskurs aufzubauen. Imamoglus andere Haltung trägt in der zunehmend polarisierten Gesellschaft der vergangenen Jahre zu seiner Beliebtheit bei.

Zwei Siege in einer Wahl

Von Imamoglu hatte die überwiegende Mehrheit der Türken bis 2019 nichts gehört. Er war Bürgermeister des Istanbuler Stadtviertels Beylikdüzü, als die Republikanische Volkspartei (CHP) überraschend ankündigte, ihn als Kandidat für das Rennen um die Oberbürgermeisterschaft aufzustellen. Zu Anfang gab es scharfe Kritik, da die Anhänger der Opposition glaubten, er hätte keine Chance gegen den Kandidaten der nicht nur in Istanbul, sondern auch landesweit regierenden AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Istanbuler versammelten sich im Dezember vor dem Rathaus, um Ekrem Imamoglu zu unterstützenBild: UMIT BEKTAS/REUTERS

Und doch gewann er die Kommunalwahlen und holte die seit 25 Jahren konservativ-islamistisch regierte Metropole zurück. Imamoglu konnte die Wahlen eigentlich am 31. März 2019 mit einem Unterschied von 13.000 Stimmen gegen den Kandidaten der AKP für sich entscheiden. Doch nach einem Einspruch der AKP annullierte die Hohe Wahlkommission das Wahlergebnis. Der politische Einfluss von ganz oben kam in der Gesellschaft nicht gut an: Drei Monaten gewann Imamoglu erneut - nun mit einem deutlich ausgebauten Abstand von über 800.000 Stimmen.

Der Mann, der nicht aufgibt

Imamoglus Sieg gilt bis heute als Beweis dafür, dass die türkische Demokratie noch funktionsfähig ist und dass Wahlen gegen die AKP-Regierung tatsächlich gewonnen werden können. Vorwürfe über Betrug, Fälschung oder politischen Einfluss begleiten immer wieder Wahlen in der Türkei. Imamoglu gab aber nicht auf. Seine selbstbewusste, hartnäckige Herangehensweise und der daraus resultierende Erfolg trotz der Rückschläge trugen massiv zu seiner Popularität bei.

Diplomatiefähig - nach innen und außen

Die Art und Weise, wie er kommuniziert, gilt als ein herausragendes Merkmal seiner Politik. Als er um die Ankerkennung seines Wahlsieges kämpfte, rief ein Junge ihm zu: "Alles wird sehr schön werden!" Ein Satz voller Hoffnung, den er zu seinem Slogan machte und den die gesamte Opposition übernommen hat. Als er nach der annullierten Wahl auf die Bühne trat, um eine Rede zu halten, sagte er: "Wir haben unsere Jugend!", was die Unterstützer anfeuerte und bis heute weiterhin anfeuert.

Doch es gab auch Kritik an Imamoglu. Als Teile Istanbuls 2019 von einer Flutkatastrophe betroffen waren, befand sich der Politiker im Sommerurlaub und blieb auch dort. Als 2020 ein Erdbeben in der osttürkische Stadt Elazig stattfand, besuchte er zwar zuerst die Stadt wie viele andere Politiker, reiste allerdings im Anschluss nach Palandöken zum Skiurlaub. "Dass ein Familienvater mit seinen Kindern zwei Tage Urlaub verbringt", sei normal, verteidigte er sich.

Die Familie hat manchmal Vorrang: Dilek und Ekrem Imamoglu bei der Stimmabgabe zur Kommunalwahl 2019Bild: picture-alliance/AP/dpa

Imamoglu will nicht nur im eigenen Land, sondern auch international wahrgenommen werden. Sein Team betreibt englischsprachige Konten auf Twitter und Instagram. Er teilt gelegentlich Fotos von Besuchen ausländischer Vertreter.

Auf dem Papier vertritt er nur Istanbul, aber die Fotos, auf denen er mit der türkischen Fahne zu sehen ist, erwecken automatisch den Eindruck als vertrete er die gesamte Türkei. Bei vielen Türken lösen diese Fotos Hoffnung aus: Er könnte solche Fotos eines Tages tatsächlich von Ankara aus teilen.

Bauunternehmen, Fußballverein - und jetzt Politikverbot

Der 1970 geborene Ekrem Imamoglu studierte in Zypern und Istanbul, wo er einen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre machte. Bevor er in die Politik einstieg, betrieb er ein Istanbuler Restaurant, das sich auf Köfte, also türkische Frikadellen spezialisierte. Er leitete zudem das Bauunternehmen seiner Familie, Imamoglu Insaat. Von 2002 bis 2003 war er Vorstandsmitglied von Trabzonspor, dem Verein seiner Heimatstadt und einer der erfolgreichsten türkischen Fußballvereine.

Rund fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl gilt Imamoglu als der Chancenreichste unter den drei möglichen Kandidaten der Opposition. Seine Kandidatur wird aber jeden Tag fraglicher, da der Vorsitzende seiner Partei, der Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kilicdaroglu, selbst kandidieren will.

Zudem droht Imamoglu zurzeit ein Politikverbot. Der Vorwurf: Beleidigung von Mitgliedern der Wahlkommission. Nachdem 2019 sein Wahlsieg in Istanbul annulliert wurde, sagte er: "Diejenigen, die das Wahlergebnis annulliert haben, sind Dummköpfe." Wegen dieser Äußerung wurde er im Dezember 2022 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Das Berufungsgericht soll noch entscheiden, ob er die Haftstrafe wirklich antreten muss, ob er Bürgermeister bleiben kann und weiterhin Politik betreiben darf.

Haftstrafe für Istanbuls Bürgermeister

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Blickt man in die Vergangenheit von Präsident Erdogan und Imamoglu, lassen sich viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Männern finden: Sie spielten beide in ihrer Jugend erfolgreich Fußball. Beide kommen aus der Schwarzmeerregion. Im traditionell konservativen Trabzon, wo Imamoglu aufwuchs, ging auch er zum sogenannten Korankurs, der ihm religiöse Bildung vermittelte. Seit 2019 ist Imamoglu Bürgermeister Istanbuls, ein Amt, das zwischen 1994 und 1998 Erdogan innehatte. Mit einem Politikverbot Imamoglus, gäbe es noch eine weitere Parallele der Lebensläufe der beiden Politiker.

Erdogan zitierte 1997 ein religiöses Gedicht. Weil dies in der eigentlich laizistischen Staatsräson der Türkei als Bedrohung galt, wurde ihm ein Politikverbot erteilt. Das brachte ihm viele Sympathien ein. Die Partei, die er vier Jahre nach seinem Politikverbot gründete, fuhr ein Jahr später den Wahlsieg ein. Kurz danach ließ Erdogan das Politikverbot gegen sich selbst aufheben und konnte seinen Weg zum Premierministeramt beschreiten.

2019 - nach der annullierten Wahl - sagte Imamoglu in einer Rede: "Unser Weg ist lang." Egal, ob ein Politikverbot verhängt wird oder nicht, Imamoglu wird in den kommenden Jahrzehnten ein einflussreicher Politiker bleiben. Von einem Politikverbot könnte auch er profitieren - genauso wie die Annullierung seiner Wahl ihm dabei geholfen hat, seine Wählerschaft zu vergrößern.

Vielleicht wird tatsächlich "alles schön werden". Aber sein Weg scheint noch lang und steinig zu sein.

Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.
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