Imamoglu: Was hinter der Festnahme des Bürgermeisters steckt
19. März 2025
Der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu wurde am frühen Mittwochmorgen festgenommen. Der 53-jährige Politiker von der größten Oppositionspartei CHP sollte am Sonntag von seiner Partei offiziell als Präsidentschaftskandidat aufgestellt werden. Er ist der prominenteste Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdogan und gilt als aussichtsreicher Anwärter.
Die Festnahme erfolgte, nachdem bekannt worden war, dass die Universität Istanbul am Dienstag Imamoglus Hochschulabschluss annulliert hatte. Ein Universitätsabschluss ist in der Türkei eine Voraussetzung für die Präsidentschaftskandidatur.
Als Grund für die Annullierung wird ein angeblich unrechtmäßiger Universitätswechsel angeführt. Imamoglu begann sein Studium an der Ostmediterranen Universität im türkischen Teil Zyperns und wechselte nach zwei Jahren nach Istanbul, wo seine Familie Geschäfte hatte. Nach eigenen Angaben arbeitete er während seines Studiums im Familienbetrieb.
Weitere Festnahmen und Reaktionen
Neben Imamoglu wurden bei einer großangelegten Polizeioperation in Istanbul am frühen Morgen rund 100 weitere Personen festgenommen, darunter Journalisten, Künstler, Unternehmer und Mitarbeiter der Stadtverwaltung.
Das Büro des Gouverneurs der Provinz Istanbul verhängte bis Sonntag ein viertägiges Demonstrations-, Versammlungs- und Nachrichtenverbot.
Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel bezeichnete die Festnahme Imamoglus als "Putschversuch gegen den nächsten Präsidenten". Auf X schrieb er: "Wenn die Macht dazu missbraucht wird, die demokratische Entscheidung des Volkes zu missachten, seinen Willen zu brechen oder es an der freien Willensbildung zu hindern, dann liegt hier ein Putsch vor. (…) Wir werden nicht aufgeben. Am Ende wird wieder das Volk entscheiden und die Türkei wird gewinnen".
Özel rief die 1,7 Millionen CHP-Mitglieder auf, trotz der Verhaftung Imamoglus an der parteiinternen Wahl des CHP-Präsidentschaftskandidaten am Sonntag teilzunehmen. Auch die prokurdische Oppositionspartei DEM verurteilte das Vorgehen gegen die Opposition und sprach von einem "zivilen Putschprozess".
Aret Demirci, Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in der Türkei, sagte der DW, dass die Annullierung von Imamoglus Universitätsdiplom am Dienstagabend bereits erahnen ließ, was folgen könnte. Dass dies jedoch so schnell geschehen würde, komme überraschend. Demirci zog Parallelen zu Erdogans eigener politischer Karriere. Ein Blick in die türkische Geschichte zeige, dass die unrechtmäßige Disqualifizierung politischer Konkurrenten oft das Gegenteil bewirke: Sie steigere die Sympathie in der Bevölkerung. Das beste Beispiel dafür sei Erdogan selbst.
Tatsächlich hatte Erdogan von 1994 bis 1998 das Amt des Oberbürgermeistes von Istanbul inne. Nachdem er ein religiöses Gedicht zitiert hatte, das gemäß der damaligen laizistischen Staatsräson der Türkei als Bedrohung galt, wurde Erdogan verhaftet. Das brachte ihm viele Sympathien ein. Die Partei, die er vier Jahre nach seinem Politikverbot gründete, fuhr nur ein Jahr später den Wahlsieg ein.
Was wird Imamoglu vorgeworfen?
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu die Führung einer kriminellen Organisation vor. Er soll als Oberbürgermeister öffentliche Ausschreibungen manipuliert und Schmiergelder angenommen haben. Zudem werden ihm die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Verbindungen zur kurdischen Terrororganisation PKK zur Last gelegt.
Die Vorwürfe werden vor allem vor dem Hintergrund der Kommunalwahlen erhoben, bei denen Imamoglus Partei CHP in einigen Stadtteilen Istanbuls mit der prokurdischen DEM kooperierte und Erfolge erzielte. Dies war dem Wahlbündnis von Präsident Erdogan ein Dorn im Auge.
Bei den vergangenen Kommunalwahlen wurde die islamisch-konservative AKP von Erdogan erstmals seit ihrer Gründung 2001 nur die zweitstärkste Kraft. Die größten Metropolen gewann die Oppositionspartei CHP.
Wer ist Imamoglu?
Der 1970 geborene Ekrem Imamoglu studierte im türkischen Teil Zyperns und Istanbul Betriebswirtschaftslehre. Vor seiner politischen Karriere war er als Gastronom und Bauunternehmer tätig. Von 2002 bis 2003 war er Vorstandsmitglied des Fußballvereins Trabzonspor.
Im Jahr 2019 gewann Imamoglu die Kommunalwahlen in Istanbul und beendete damit die 25-jährige konservativ-islamistische Herrschaft der AKP. Nach einem Einspruch der AKP wurde das Wahlergebnis annulliert, doch Imamoglu gewann die Wahlwiederholung mit großem Vorsprung. Bei den letzten Kommunalwahlen am 31. März 2024 wurde er als Bürgermeister wiedergewählt.
Imamoglu gilt als chancenreicher Herausforderer von Präsident Erdogan und Hoffnungsträger der Opposition. Er ist bekannt für seine volksnahe Art und seine Fähigkeit, Menschen zu mobilisieren. Wie Erdogan stammt er aus der konservativ-nationalistisch geprägten Schwarzmeerregion und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Seit seinem Amtsantritt als Bürgermeister hat er die soziale Unterstützung für Bedürftige und Studierende in Istanbul massiv ausgebaut.
Istanbul ist von überragender Bedeutung
Die 16-Millionen-Metropole Istanbul ist das wirtschaftliche Herz der Türkei. Mehr als 20 Prozent der landesweiten Beschäftigten arbeiten in der Metropole am Bosporus. Rund 51 Prozent der Exporte und 55 Prozent der Importe werden in Istanbul abgewickelt. Daher gilt der Grundsatz im Land: "Wer Istanbul regiert, regiert die Türkei".
Istanbul ist auch eine wichtige Geldquelle für die Regierungspartei AKP gewesen. Nachdem sie 2019 die Kontrolle über die Stadt verlor, wurden Vorwürfe laut, dass die Partei während ihrer Regierungszeit öffentliche Gelder für regierungsnahe Stiftungen, Medien und Bruderschaften verwendet und bei der Auftragsvergabe regierungsnahe Firmen bevorzugt habe.
Hinweis: In einer früheren Fassung dieses Artikels wurde die Gründung der AKP auf 2002 datiert. Wir haben es nachträglich auf das korrekte Jahr 2001 geändert.