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El Diafraoui: "Internet Mittel zur Kriegsführung"

Najima El Moussaoui30. Januar 2014

Twitter hat den englischsprachigen Account der Kassam-Brigaden gesperrt. Politikwissenschaftler Asiem El Difraoui erklärt im Gespräch mit der DW, wie einige islamistische Organisationen soziale Netzwerke missbrauchen.

Portrait Asiem El Difraoui (Foto: DW)
Bild: DW

DW: Wie bewerten Sie die Sperrung des Benutzerkontos der Kassam-Brigaden, also des militärischen Arms der radikalislamischen Hamas, durch den Kurznachrichtendienst Twitter?

El Difraoui: Sie ist eine logische rechtliche Konsequenz. Denn zahlreiche nationale Gesetzgebungen stufen sowohl die Hamas als auch ihren militärischen Arm, die Kassam, als terroristisch ein. Deswegen ist Twitter gezwungen, in den entsprechenden Ländern das Benutzerkonto der Kassam-Brigaden zu sperren. Ansonsten würde sich das Unternehmen strafbar machen. Da es wenig Sinn macht, den Account nur in bestimmten Ländern zu sperren, wird häufig das jeweilige Benutzerkonto generell gesperrt. Hinzu kommt: Twitter ist eine US-amerikanische Firma und insbesondere die USA betrachten die Hamas als Terror-Organisation.

Ein Twittereintrag der Kassam-BrigadenBild: DW/A.Tauqueer

Gibt es allgemeine Kriterien, wann Twitter, Facebook und andere soziale Netzwerke das Benutzerkonto einer islamistischen Gruppe oder Organisation sperren sollten?

Mir ist es zunächst einmal wichtig, festzuhalten, dass der Begriff "islamistische Gruppe" sehr weit gefasst ist: Dazu zählen alle Gruppen und Organisationen, die eine größere Bedeutung des Islam in Politik und Gesellschaft verfolgen. Darunter fallen so unterschiedliche Organisationen oder Strömungen wie die Muslimbrüder, die Salafisten bis hin zum globalen Dschihadismus von Al-Kaida. Sie alle nutzen soziale Netzwerke, vertreten aber mitunter verschiedene Ideologien und Ziele.

Ich finde es angemessen, alle Benutzerkonten sowie Internetseiten zu verbieten oder zu schließen, in denen offen zu Gewalt, Mord oder zum Rassenhass aufrufen wird - egal, ob sie zum Beispiel dschihadistisch oder rechtsradikal sind.

Aber wie wirkungsvoll ist es, Benutzerkonten zu sperren, wenn die Inhaber der Accounts ohne großen Aufwand jederzeit einen neues Konto unter einem anderem Namen eröffnen können?

Dies ist in der Tat nur begrenzt hilfreich, aber trotzdem sinnvoll. Denn die Sperrung erschwert die Verbreitung der Propaganda. Gerade auf den offenen Netzwerken sollte man alle Webseiten, die zu Rassenhass und Gewalt aufrufen, sperren. Eine totale Sperrung wird jedoch nicht möglich sein. Es werden im Internet immer wieder ganz aggressive, dschihadistische Seiten zu finden sein.

Was für eine Strategie steckt hinter der Nutzung der neuen Medien?

Natürlich lassen sich die genannten Bewegungen nicht in einen Topf schmeißen - auch nicht, was ihre Art der Mediennutzung betrifft. Gemeinsam haben sowohl Hamas als auch Al-Kaida oder die Muslimbrüder jedoch, dass sie sich intensiv mit dem Internet und der Nutzung von neuen Medien beschäftigt haben, um ihr Anliegen zu verbreiten.

Terroraufrufe per Internet

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Wie wirkt sich das beispielsweise auf die Internetnutzung der Muslimbrüder aus?

Als weltweit größte Vertreter des sogenannten politischen Islams nutzen die Muslimbrüder das Internet, um weltweit Ideen auszutauschen und miteinander in Kontakt zu bleiben. In Ägypten etwa stehen der Organisation durch eine Zensur keine offiziellen Medien mehr zur Verfügung. Deshalb haben sich viele ihrer Mitglieder auf die sozialen Netzwerke verlagert, um überhaupt noch kommunizieren und informieren zu können.

Welche Medienstrategie verfolgt die Hamas?

Bei der Hamas ist das ähnlich. Man kann sie als einen Ableger der Muslimbruderschaft sehen. Die Organisation probiert über das Internet ihre palästinensische Causa voranzutreiben.

Und wie nutzt Al-Kaida das Internet und soziale Netzwerke?

Al-Kaida ist die erste Gruppierung weltweit, die das Internet massiv zur Rekrutierung, Finanzierung und Mobilisierung genutzt hat. Für die dschihadistische Bewegung ist das Internet ein Mittel von asymmetrischer Kriegsführung: Mit geringem Aufwand verbreitet die Organisation ihre radikale Botschaft im Internet. Sie hat es geschafft, Horrorbilder zu kreieren, etwa von Hinrichtungen, die um die ganze Welt gegangen sind und die disproportional viel Aufmerksamkeit erregt haben. Es gibt sogar die Ansicht, Al-Kaida würde gar nicht mehr existieren, wenn das Internet und die sozialen Medien nicht so erfolgreich gewesen wären.

Wer ist die Zielgruppe für diese dschihadistische Internet-Propaganda?

Die Zielgruppe hat sich ausgeweitet: Zunächst waren das junge Männer zwischen 16 und 30 Jahren. Mittlerweile gibt es den sogenannten Familien-Dschihad: Es werden zum Beispiel verstärkt Frauen angelockt, die Dschihadisten in Syrien oder andernorts heiraten sollen.

Darüber hinaus ist das Internet für Al-Kaida sowie für die extremsten islamistischen Gruppen wichtig, um europäische oder westliche Rekruten zu gewinnen. Denn die können mit ihren Pässen oder Visa in westliche Länder einreisen und dort Attentate verüben. Die Organisation will mithilfe des Internets aber auch der ganzen Welt zeigen, dass ihr Netzwerk überhaupt noch existiert.

Gibt es Maßnahmen, um die Organisation und Kommunikation von extremistisch-islamistischen Organisationen in sozialen Netzwerken zu regulieren?

Eine einzelne Maßnahme, mit der man etwas Dschihadisten zurückdrängen kann, gibt es nicht. Das ist nur durch hochkomplexe, langwierige Arbeit und Aufklärung zu schaffen, natürlich in Kombination mit Verboten und Strafverfolgung.

Bisher fehlen im Internet Alternativen zu den Angeboten der Dschihadisten oder radikaler Salafisten – etwa Portale, auf denen die Vielfalt und Vielstimmigkeit des Islam deutlich wird und dschihadistische und salafistische Argumente widerlegt werden. Aufgrund dieses Mankos haben sich Dschihadisten und radikale Salafisten, bei diesen gibt es eine große, ideologische Schnittmenge mit dem Dschihadismus, eine Art Deutungsmonopol im Netz geschaffen. Wenn ein muslimisches Paar beispielsweise heiraten will und sich im Internet über die Vorschriften bei einer islamischen Heirat informiert, dann findet es recht schnell salafistische und dschihadistische Webseiten. Es gibt beispielsweise in deutscher Sprache kein vernünftiges Nachschlagewerk über islamische Konzepte.

Dr. Asiem El Difraoui ist Politologe. Er hat über Al-Kaidas Propaganda promoviert. Gerade ist sein neues Buch "Ein neues Ägypten?: Reise durch ein Land im Aufruhr" erschienen.

Das Gespräch führte Najima El Moussaoui.

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