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LiteraturNahost

Elazar Benyoetz: "Heute ist Deutsch mein Hebräisch"

24. März 2022

Der israelische Dichter Elazar Benyoetz wird 85 Jahre alt. Er ist ein Meister des Aphorismus, kurzer, prägnanter, sinnhafter Sätze. Einige geschriebene Fragen aus gegebenem Anlass, einige geschriebene Antworten.

Elazar Benyoetz
Bild: Helmut Fohringer/apa/epa/dpa/picture-alliance

Der israelische Dichter Elazar Benyoetz, 1937 in Wiener Neustadt geboren, wird an diesem 24. März 85 Jahre alt. Seine literarische Form ist der Aphorismus, der geistreiche Gedanke in literarisch freistehender Form. Der Autor, der in Tel Aviv und Jerusalem lebt und ausschließlich in deutscher Sprache schreibt, gibt selten Interviews. Der Deutschen Welle beantwortete er einige Fragen zu seinem Werk und zur aktuellen Weltlage:

DW: Herr Benyoetz, Sie gingen frühzeitig Anfang der 1960er-Jahre aus Israel nach Deutschland und schrieben in deutscher Sprache. Welche Bedeutung hat die deutsche Sprache heute noch für die israelische Gesellschaft und Kultur? 

Elazar Benyoetz: Diese Frage ermöglichte ein weites Ausholen, lässt sich aber auch rasch beantworten, bildhaft sogar erledigen: Die Israelis in Deutschland. Im Grunde bedeutet das eine zwei- und dreifache Rückkehr: Nach Deutschland, ins Deutsche, zu Mendelssohn, der sich als erster breit machte in der deutschen Literatur, zugleich aber auch der neuen hebräischen Literatur einen Anfang setzte. In dem Sinne ist Moses Mendelssohn mein Großvater, von dem in Israel, seit wenigen Jahrzehnten, immer mehr gesprochen und gedruckt wird. Das gehört zur Sache: In Israel wird wenig oder kaum noch Deutsch gesprochen, geschweige denn, geschrieben, aber nicht wenig Deutsch gelernt und nicht wenig aus dem Deutschen übersetzt.

Die deutsch-israelischen Beziehungen sind stabil und gut, nicht nur oberflächlich. Der Tiefgang müsste noch erfolgen; der gute Wille kann das bessere Verständnis nicht ersetzen. Aber nicht nur der Wille, auch das Verständnis hat seine Vorstellung.

Und was bedeutet Ihnen die deutsche Sprache? Sie leben im Alltag mit Ivrit, dem modernen Hebräisch, Sie reden mit Ihrer Frau Ivrit und Französisch. Wann begegnet Ihnen Deutsch?

Auf Ihre zweite Frage kann ich nur aphoristisch, mit Aphorismen antworten, da wären wenige viel, der Rest wäre Schweigen, Verschweigen eingeschlossen:         

Hebräisch war meine Bibelstunde,

Deutsch – meine Musikakademie

 

Ich möchte der Born Judas

im Deutschen sein

 

Heute ist Deutsch mein Hebräisch,

das ich hoch und nicht heilig,

doch über die kommende Sintflut halte

 

Jüdisch-Deutsch,

abwechselnd:

Rachamim [Erbarmen, Gnade, Mitleid] und Rache

 

Ein deutsches Paar:

Gott und Goethe

 

"So sehr ich dich liebe",

sagte Tamar,

"und Deine Nöten teile,

Deine deutschen Bücher

kommen mir nicht ins Haus!"

 

Ihre literarische Form ist häufig der Aphorismus, dieser an Worten arme, an Sinnhaftigkeit reiche Textgestalt. Wie aktuell ist diese Form in einer Zeit, in der die Menschen anscheinend durch die modernen Kommunikationsmittel mit Worten und Texten und langen Texten überflutet werden?   

Es ist nach wie vor ein Streit der Fakultäten,

einst zwischen Satz und Aufsatz,

heute zwischen Überflutung und Twitter

Sich kurz zu halten

war immer ein frommer Wunsch

und unerfüllbar.

So gehört es sich offenbar.

Ich bin fürs Nukleare

und gegen Atom

 

Gelegentlich, gar nicht so selten, wohnt Ihren Arbeiten Ironie inne. Welche Bedeutung hat dieser eigene unterschwellige Humor?

Es ist geistreich,

Ironie als unterschwelligen Humor

zu betrachten,

zumal beide den hohen Ernst betreffen,

auf und abwertend

 

Darauf kann ich nur mit Aphorismen antworten,

an- und einsatzweise:

 

Auch die Weisheit verspielte,

weil sie auf Ironie nicht bauen kann

und darum zu viel meinen muss

 

Ironie macht von sich nicht reden

 

Ironie gibt sich geschlagen

und trägt den Sieg davon

 

Humor –

Leichtsinn der Schwermut

 

Humor beginnt,

wo das Lachen vergeht

 

Die Welt steht in sehr ernsten Zeiten. Der Überfall Russlands auf die Ukraine erschüttert viele Menschen. Die Zahl der Todesopfer ist erschreckend hoch und wächst täglich. Millionen Menschen haben bereits ihre Heimat und ihr Land als Flüchtlinge verlassen müssen. Sie selbst haben als Kleinkind Europa am Vorabend des Zweiten Weltkrieges verlassen. Sie haben in Israel mehrere Kriege miterlebt. Lässt sich diese existenzielle Situation literarisch beschreiben? Als Klagevers oder Klagepsalm? Oder macht das eher wortlos?

Krieg – Unversiegbarkeit

 

Kriege sind Versäumnisse

des Nachkriegs

 

Frieden ist der Wunsch

und nicht aller;

in der Tat gibt es nur Kriegs-

und Nachkriegszeiten

 

Frieden gibt es nur dann,

wenn die Menschen nicht bloß

gegen den Krieg,

sondern auch gegen das Siegen sind

 

Die im Krieg auf den Hund

kommende Moral

wird nach dem Krieg zum

Pudelskern der Ästhetik

 

Das Interview führte Christoph Strack