1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Tönnies-Arbeitern wurde nahegelegt zu schweigen"

Alina Kühnel
19. Juni 2020

Es sei "zynisch", Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien für den Corona-Ausbruch beim Fleischriesen Tönnies verantwortlich zu machen, sagt Elena Strato. Sie berät osteuropäische Arbeitskräfte im Rahmen eines EU-Projekts.

Deutschland Rheda-Wiedenbrück | Tönnies | Corona-Ausbruch
Mitarbeiter vor dem Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück: Noch läuft die ProduktionBild: picture-alliance/dpa/D. Interlied

DW: Es gibt zum Teil widersprüchliche Informationen über den aktuellen Betrieb bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück: Wird nach dem Corona-Ausbruch noch gearbeitet oder wurden alle Aktivitäten eingestellt?             

Elena Strato: Nach Informationen von Ratsuchenden wird der Betrieb weiter fortgesetzt, bis die bestehenden Bestände verarbeitet worden sind. Danach soll die komplette Schließung erfolgen. Die Fließbänder seien teilweise stillgelegt worden oder würden mit reduziertem Personal eingeschränkt weiterlaufen.

Hat Sie der Corona-Ausbruch bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück überrascht?

Die aktuelle Situation kommt nicht überraschend. Es herrschen auch in vielen anderen fleischverarbeitenden Betrieben, in denen in den letzten Wochen Infizierte festgestellt wurden, ähnlich kritikwürdige Zustände: bezogen auf Werkverträge, beengte Verhältnisse in Kantinen, beim Transport und bei der Unterbringung osteuropäischer Fleischarbeiterinnen und Fleischarbeiter. Es ist sehr wichtig, dass jetzt mit den Menschen zügig und transparent gesprochen wird, denn es herrscht eine große Unsicherheit sowohl unter den Fleischarbeiterinnen und Fleischarbeitern als auch unter der lokalen Bevölkerung im Kreis Gütersloh. Die Stimmung ist sehr angespannt.     

Sind die osteuropäischen Arbeitskräfte an der Verbreitung des Coronavirus bei Tönnies schuld? Diese Behauptung kam zuerst aus dem Krisenstab des Konzerns. Später sorgte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet für Aufruhr, als er den Corona-Ausbruch beim Fleischriesen auf "Rumänen und Bulgaren" zurückführte...  

Umso mehr muss klargestellt werden, dass nicht die Fleischarbeiterinnen und -arbeiter die Sündenböcke für die Situation sind, sondern die offenbar organisierte Verantwortungslosigkeit von Großkonzernen und Subunternehmern, sowie die prekären Arbeits- und Wohnbedingungen.    

Elena Strato berät unter anderem osteuropäische Arbeiter von TönniesBild: Elena Strato

Die Unterstellung, dass die Werkvertragsarbeiterinnen und -arbeiter das Virus nach der Rückkehr aus ihrer Heimat in den Fleischbetrieb eingeschleppt haben, finden wir nach den Rückmeldungen, die wir bekommen, zynisch, beinahe absurd. Die Verantwortlichen müssten dagegen mehr für den Schutz der Beschäftigten tun als zum Beispiel Spender für Desinfektionsmittel aufzustellen und am Werkstor Fieber zu messen. Man muss die Bedingungen in den Unterkünften ändern, Überbelegungen verhindern, die hygienischen Zustände tatsächlich verbessern.

Im Fall rumänischer Fleischarbeiterinnen und -arbeiter ist es tatsächlich so, dass die Lockerungen bei der Einreise nach Rumänien und die Abschaffung der Quarantäne nach der Einreise erst seit dem 15. Juni in Kraft getreten sind.  Die Beschäftigten erzählen davon, dass sie die ganze Zeit gearbeitet haben und Urlaub seit Monaten nicht gewährt wurde, denn das Arbeitsaufkommen sei enorm gewesen. Viele berichteten von Arbeitstagen von zehn bis zwölf Stunden, mindestens an sechs Tage pro Woche. Man muss bedenken, dass wir mitten in der Grillsaison sind und die Nachfrage nach Fleischprodukten hoch ist.

Aufgrund der Corona-Pandemie und der Grenzschließung konnten neue Arbeitskräfte aus den Heimatländern nicht wie gewohnt gewonnen werden, sodass die Subunternehmer auf die Beschäftigten angewiesen waren, die schon in Deutschland waren. Diese Argumente sprechen, auch nach den uns vorliegenden Erzählungen von Ratsuchenden, klar gegen ein Einschleppen des Virus aus den Heimatländern durch die Menschen. 

Wie ist die Stimmung der Arbeiter? 

Die Beschäftigten haben große Angst, über die Zustände zu sprechen, denn sie stehen unter großem Druck der Subunternehmer, die ihnen mit der Kündigung drohen. Außerdem sind sie verunsichert wegen ihrer Gesundheit und ihrer Bezahlung während der Quarantäne. Berichten zufolge soll es seit dem Ausbruch der Pandemie immer wieder dazu gekommen sein, dass Beschäftigte im Betrieb krank waren und nach Hause in Quarantäne geschickt wurden. Ihnen wurde nahegelegt, über die Situation zu schweigen und keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Verstöße sind nicht einfach nachzuweisen, wir haben es mit einem System zu tun, in dem seit Jahren die Verschleierung der Missstände gut funktioniert. Die Politik hat ein klareres Signal durch das geplante Verbot der Werkverträge gesendet, das begrüßen wir als Beratungsstelle für Beschäftigte aus der EU. Eine weitere Lösungsmöglichkeit sind nachhaltige, engmaschige Kontrollen in den Betrieben sowie klare gesetzliche Regelungen. Dadurch können Fleischbetriebe und Subunternehmer dazu gebracht werden, Verantwortung für die Situation zu übernehmen und diese auch endlich zu ändern.

Elena Strato ist Beraterin im EU-Projekt "Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten" beim Träger Arbeit und Leben DGB/VHS NRW e.V. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen