1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Waffenruhe für Aleppo beginnt

20. Oktober 2016

In Aleppo hat offiziell die elfstündige Waffenruhe begonnen. Die NATO befürchtet allerdings anscheinend, dass Russland schon bald noch verheerendere Luftangriffe auf die syrische Großstadt fliegt als bisher.

Ein zerstörtes Gebäude im von Rebellen gehaltenen Viertel Al-Sukkari
Ein zerstörtes Gebäude im von Rebellen gehaltenen Viertel Al-SukkariBild: Reuters/A. Ismail

Bereits am Dienstagmorgen haben Russland und Syrien ihre Luftangriffe auf die umkämpfte nordsyrischen Stadt Aleppo eingestellt, seit 8.00 Uhr (7.00 MESZ) gilt die Waffenruhe auch offiziell. Staatlichen Medien zufolge öffnete die Armee zwei Korridore im Stadtviertel Bustan al-Kasr und nahe der Castellostraße im Norden der früheren Handelsmetropole. Damit soll es Zivilisten und Rebellen ermöglicht werden, den belagerten Teil Aleppos zu verlassen. "Wir garantieren freien Abzug. Nutzen Sie die Gelegenheit und bringen Sie Ihre Familien in Sicherheit", hieß es in einer Lautsprecherdurchsage der syrischen Armee, wie der regierungsnahe Nachrichtensender Majadin aus dem Libanon berichtete. 

Die Rebellen lehnen allerdings einen Abzug ab. Sie werfen Russland und Syrien vor, das Angebot gleiche einer Kapitulation. Für Zivilisten fordern sie Korridore unter Aufsicht der Vereinten Nationen.

Der russische Militärsprecher Sergej Rudskoi hatte eine Verlängerung der Feuerpause angekündigtBild: picture-alliance/AP Photo/A. Zemlianichenko

Kurz nach dem Beginn der Waffenruhe gab es Schusswechsel zwischen Soldaten des Regimes und Rebellen. Beide Seite machten sich gegenseitig für die neue Gewalt verantwortlich. Ein Sprecher der Rebellengruppe Nur al-Din al-Senki, Jasser al-Jussif, sagte der Deutschen Presse-Agentur, Scharfschützen des Regimes hätten den Stadtteil Bustan al-Kasr und andere Gebiete beschossen. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana meldete hingegen, "Terrororganisationen" hätten Bustan al-Kasr angegriffen.

Kremlchef Wladimir Putin ist unter Bedingungen zu einer Verlängerung der Waffenruhe bereit. Voraussetzung sei, dass sich die bewaffneten Gruppen in Aleppo ebenfalls zu einer Feuerpause bereit erklärten, sagte er in der Nacht nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin.

Jagdbomber werden in die Region verlegt

Allerdings erwartet die NATO nach den Worten eines Diplomaten in zwei Wochen eine deutliche Zunahme der russischen Luftangriffe auf Aleppos Osten. Russland verlege die gesamte Nordflotte und einen Großteil der Baltischen Flotte mit zahlreichen Jagdbombern in die Region, sagte er unter Bezugnahme auf Erkenntnisse westlicher Geheimdienste. Der ranghohe Diplomat wollte nicht namentlich genannt werden. "In zwei Wochen werden wir ein Crescendo von Luftangriffen auf Aleppo erleben", sagte er, "und zwar als Teil der russischen Strategie, dort den Sieg zu erklären."

Bereits am Samstag hatte die russische Nordflotte bekanntgegeben, dass ein Marineverband unter Führung des Flugzeugträgers "Admiral Kusnezow" und des Atomkreuzers "Pjotr Weliki" zu einem Mittelmeereinsatz aufgebrochen ist.

Appell von Amnesty

Amnesty International appellierte unterdessen eindringlich an die UN-Vollversammlung, das Blutvergießen in der umkämpften syrischen Stadt Aleppo zu stoppen. Nach dem katastrophalen Versagen des UN-Sicherheitsrats müsse die Vollversammlung alles tun, um die endlosen Angriffe auf die Zivilbevölkerung zu beenden, forderte die Menschenrechtsorganisation am Donnerstag in London.

Amnesty veröffentlichte Satellitenbilder von Aleppo. Sie demonstrieren nach Angaben der Organisation das gewaltige Ausmaß der Zerstörung und beweisen, dass die syrische Luftwaffe mit russischer Unterstützung gezielt Wohngebiete, Kliniken, Schulen, Märkte und Moscheen angegriffen hat. Ziel sei, die Stadt menschenleer zu bomben und vollständig unter Kontrolle zu bekommen.

Syriens Regime und Russland hätten auf brutale Weise humanitäres Recht gebrochen, erklärte die für Recherche zuständige Direktorin im Beiruter Amnesty-Büro, Lynn Maalouf. Die von Moskau angekündigte achtstündige Feuerpause sei kein Ersatz für ungehinderten Zugang von humanitären Helfern. Viele Bewohner Aleppos lebten in ständiger Angst vor Angriffen.

Die berühmte Zitadelle von Aleppo (im Hintergrund) ist von Ruinen umgebenBild: Reuters/A. Ismail

 Amnesty wirft Russland vor, mit Unterstützung Chinas im Weltsicherheitsrat eine Resolution zum Stopp der Angriffe auf Aleppo verhindert zu haben. Es gebe Hinweise, dass in der Stadt die besonders verheerenden russischen Streubomben eingesetzt worden seien, erklärte die Organisation. Der Ostteil Aleppos wird von Rebellen kontrolliert, während der Westen in der Gewalt der syrischen Regierung ist.

Türkei bombardiert US-Verbündete

Während in Aleppo selbst die Waffen seit Dienstag weitgehend schweigen, geht der Krieg in der Umgebung ungebremst weiter. Bei türkischen Luftangriffen auf ein Gebiet unter kurdischer Kontrolle im Norden Syriens wurden Aktivisten zufolge mindestens elf Menschen getötet. Dabei handele es sich um Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Diese Militärallianz wird von der syrischen Kurdenmiliz YPG angeführt. Die Menschenrechtler meldeten zudem 24 Verletzte. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete unter Berufung auf die Armee, bei 18 Luftangriffen auf das Gebiet um den Ort Um Chusch seien zwischen 160 und 200 "Terroristen neutralisiert" worden. Die Angriffe hätten sich gegen die YPG gerichtet. Die YPG und die SDF sind in Syrien die wichtigsten Verbündeten des Westens im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Die YPG wird von Ankara als ein Ableger der in der Türkei verbotenen kurdischen Untergrundorganisation PKK betrachtet, was beide Organisationen bestreiten.

Im Syrien-Krieg wurden seit 2011 mehr als 300.000 Menschen getötet. Millionen Männer, Frauen und Kinder sind auf der Flucht. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) verbreitet Angst und Schrecken. Das Assad-Regime wird von Russland und dem Iran unterstützt. Auch die Türkei, Saudi-Arabien und Katar gehören zu den Gegnern Assads. Die USA stehen gemäßigten Rebellen bei.

stu/se (afp, dpa, rtr)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen