Eliasson: "Europa braucht eine gemeinsame Strategie"
27. April 2016Deutsche Welle: Herr Eliasson, Europa tut sich sehr schwer mit der Flüchtlingskrise. Aus globaler Sicht: Nimmt der Kontinent genügend Flüchtlinge auf?
Jan Eliasson: Natürlich sind wir uns darüber im Klaren, dass das eine riesige Herausforderung für ganz Europa ist. Weltweit gibt es Millionen von Flüchtlingen, die vor allem aufgrund der Armut in ihren Heimatländern fliehen müssen. Zusätzlich gibt es noch einen unglaublichen Druck auf Länder wie den Libanon, Jordanien oder die Türkei. Eines muss klar sein: Die größten Lasten der Flüchtlingskrise tragen die Länder in der unmittelbaren Nachbarschaft der Krisenregionen. Wir hoffen sehr stark, dass es bald eine geeinte, europäische Migrationspolitik geben wird. Dazu sollte unter anderem gehören, dass wir einen umfassenden Rechtsrahmen schaffen, der diese Tragödien im Mittelmeer verhindert. Die Vereinten Nationen helfen so gut es geht, aber wir dürfen die Genfer Flüchtlingskonvention nicht in den Wind schlagen: Diese 1952 gefassten Grundsätze sollten das Grundgerüst für menschliche Solidarität bilden.
Ihre eigene Flüchtlingagentur, UNHCR, hat sich hinsichtlich des Flüchtlingsdeals zwischen der Türkei und EU besorgt gezeigt. Dieser Deal sorgt dafür, dass viele Flüchtlinge in der Türkei bleiben. Hat Sie die Reaktion der EU auf die Kritik zufrieden gestellt?
Natürlich war das eine sehr bedeutende Vereinbarung. Sie wird hoffentlich dazu führen, dass weniger Schmuggel betrieben wird und es weniger illegale Wege gibt, Europa zu erreichen. Eines muss jedoch auch klar sein: Jede Einzelperson, die in Europa Asyl beantragen möchte, muss überprüft werden. Und es muss gewährleistet sein, dass die Person sicher zurückkehren kann. Es gab Berichte, wonach syrische Staatsangehörige aus der Türkei wieder in ihre Heimat zurückgeschickt wurden. Wir konnten diese schwerwiegenden Vorwürfe noch nicht beweisen. Allerdings ist es wichtig festzuhalten, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, um den Leuten, die in Not sind, zu helfen.
Derzeit finden in Genf unter UN-Ägide Friedensverhandlungen zum Syrien-Konflikt statt. Was erwarten sie von den Europäern? Größere Hilfe für die Länder der Region? Mehr Soldaten? Größeres militärisches Engagement?
b Ich glaube, es ist vorrangig wichtig, den Nachbarländern zu helfen. Ich war zweimal im Libanon. Jede dritte Person, die dort lebt, stammt aus Syrien. Das ist ein unglaublicher Stresstest für das Schul- und Gesundheitssystem und den Arbeitsmarkt. Insofern glaube ich, dass es von immenser Bedeutung ist, dem Libanon, Jordanien und der Türkei jede erdenkliche Hilfe zukommen zu lassen. Was die Friedensverhandlungen betrifft: Wir müssen wegkommen von dieser Spirale der Gewalt. Bisher haben wir ungefähr eine halbe Millionen Menschen in Syrien retten können. Vor allem aufrgund der Kämpfe um Aleppo, Idlipp und Damaskus wird unsere Arbeit jedoch immmer schwieriger. Ich hoffe sehr, dass sich sowohol die mächtigen Länder des UN-Sicherheitsrats, aber auch die Nachbarn Syriens, zusammentun und versuchen, ihren Einfluss in der Region geltend zu machen. Wir müssen zu einem friedlichen Weg zurückfinden.
Vor allem Rechtspopulisten profitieren in Europa von der Flüchtlingskrise. In Großbritannien denkt man sogar darüber nach, die EU zu verlassen. Sind Sie besorgt über den Zustand der Union?
Ich bin vor allem darüber besorgt, dass man Flüchtlinge als Problem ansieht. Das bezieht sich bei weitem nicht nur auf Europa, auch andere Teile der Welt sind betroffen. Viel zu viele Menschen bringen Flüchtlinge beispielsweise mit Terrorismus in Verbindung. Durch meine Arbeit weiß ich aus welchen Bedingungen diese fliehen müssen. Dass Sie mit Terroristen in Verbindung gebracht werden; das ist für die meisten unglaublich traumatisierend. Ich kenne die Befindlichkeiten der Europäer. Ich war Außenminister in Schweden. Ich bin der Meinung, dass wir zu einer neutraleren, wenn nicht positiveren Haltung zurückfinden müssen. Es gibt so viele Bereiche in denen sich die Flüchtlinge positiv in unsere Gesellschaften einbringen können: Alleine was die wirtschaftliche Entwicklung, die demographische Entwicklung betrifft, können sich Flüchtlinge positiv einbringen. Der monetäre Betrag, den die Gastarbeiter in ihre Heimatländer zurückschicken, ist doppelt so hoch wie die gesamte Entwicklungshilfe zusammengenommen. Meine persönliche Meinung ist: Wir müssen wieder dazu zurückkommen, die positiven Seiten einer diversifizierten Gesellschaft zu erkennen. Es gibt in unseren Nationen verschiedene Kulturen, Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen. Und genau das trägt zur Vitalität und Vielfalt einer Gesellschaft bei. Ich bin der festen Überzeugung, dass die UN-Konferenz im September genau diese positive Message raus in die Welt schicken sollte. Mir ist bewusst, dass sich Menschen, die Angst haben, nach kurzfristigen Lösungen sehnen. Aber "kurzfristig" funktioniert nicht. Wir können nur dann eine Lösung finden, wenn wir zusammenarbeiten und Vielfalt akzeptieren.
Jan Eliasson (75) ist seit 2012 der stellvertretende UN-Generalsekretär. Der Sozialdemokrat war für eine kurze Zeit schwedischer Außenminister und hatte etliche hochrangige Positionen innerhalb der Vereinten Nationen inne. Er war außerdem UN-Sondergesandter für Darfur.
Das Interview führte Bernd Riegert.