Die deutsche Autorin und Übersetzerin Elke Erb hat den Georg-Büchner-Preis entgegengenommen. Die Auszeichnung gilt als "Ritterschlag" der deutschen Literaturwelt.
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Große Büchner-Preisträger
2022 wird der bedeutendste deutsche Literaturpreis zum 72. Mal vergeben. Alle Ausgezeichneten gehören zum deutschsprachigen Literaturkanon. Wir zeigen eine Auswahl der Preisträgerinnen und Preisträger.
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Emine Sevgi Özdamar
Die Deutschtürkin hat schon zahlreiche wichtige Literaturpreise abgeräumt, darunter den Ingeborg-Bachmann-Preis. Mit 75 Jahren hat Emine Sevgi Özdamar jetzt auch den renommierten Georg-Büchner-Preis entgegengenommen. Die Jury lobte den "intellektuellen wie poetischen Dialog zwischen verschiedenen Sprachen, Kulturen und Weltanschauungen", an dem die Autorin ihre Leserschaft teilhaben lässt.
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Clemens J. Setz (2021)
Der österreichische Schriftsteller und Übersetzer studierte in seiner Heimat Graz Mathematik und Germanistik. 2007 erschien sein Debütroman "Söhne und Planeten". Setz wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis der Leipziger Buchmesse. Die Akademie für Sprache und Dichtung würdigte mit dem Büchner-Preis seine "bisweilen verstörende Drastik".
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Elke Erb (2020)
Elke Erbs schriftstellerische Anfänge lagen in der DDR. "Und setzen sich nach dem Ende der DDR unbeirrt bis in die Gegenwart fort", urteilt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Sie würdigt 2020 Elke Erbs "poetischen Sachverstand", der mehrere Generationen von Dichterinnen und Dichtern in Ost und West beeinflusst habe.
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Lukas Bärfuss (2019)
Seine Stücke - etwa "Die sexuellen Neurosen unserer Eltern" - prägen die deutsche und schweizerische Theaterwelt. Knapp 20 seiner Werke wurden bisher uraufgeführt, einige davon in mehrere Sprachen übersetzt. Als Schriftsteller überzeugte er unter anderem mit seinem Roman "Hundert Tage" (2008) über den Völkermord in Ruanda sowie mit "Koala" (2014) über den Suizid seines Bruders.
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Gottfried Benn (1951)
Der erste Büchner-Preisträger: Gottfried Benn. Die Gräuel des Ersten Weltkriegs erlebt er als Militärarzt. Er verarbeitet sie in expressionistischen Gedichtbänden, die geprägt sind von einem menschenverachtenden Ton. Anders als viele Kollegen verleugnet er seine anfängliche Sympathie für den Nationalsozialismus später nicht. Im Nachkriegsdeutschland gilt er als stilbildender Dichter.
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Erich Kästner (1957)
"Emil und die Detektive", "Das fliegende Klassenzimmer" und "Das doppelte Lottchen" sind Kinderbuchklassiker, die fast jeder Mensch in Deutschland kennt. Sie sind von einer feinen Beobachtungsgabe geprägt, gepaart mit lakonischem Humor. Kästner stellt die Welt so dar, wie sie ist; seine Helden kommen selten aus idyllischen Familienverhältnissen. Doch ein Happy End gibt es immer. Zum Glück!
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Max Frisch (1958)
Im Jahr seiner Büchner-Preis-Auszeichnung lernt der Schweizer Schriftsteller Max Frisch ("Biedermann und die Brandstifter", "Stiller"), die Dichterin Ingeborg Bachmann kennen. Der Beginn einer Liaison, die er in "Mein Name sei Gantenbein" verarbeitet und nach dem Ende der Beziehung veröffentlicht. Darin: Die Figur einer eitlen, sich selbst überschätzenden Frau - in der Bachmann sich wiedererkennt.
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Ingeborg Bachmann (1964)
Die Kränkung raubt ihr die Sprache. Die Dichterin und Intellektuelle, zuvor gefeiert für ihre Gedichtbände und Hörspiele wie "Der gute Gott von Manhattan" (1958), schreibt 250 Briefe an den Verflossenen (die 2017 veröffentlicht wurden), muss mehrmals ins Krankenhaus und wird tablettensüchtig. 1964 würdigt die Jury das Werk der Österreicherin als "scharf von Erkenntnis und bitter von Sehnsucht."
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Günter Grass (1965)
"Die Blechtrommel", "Katz und Maus" und "Hundejahre" bilden Grass' "Danziger Trilogie", veröffentlicht zwischen 1959 und 1963. In diesen wenigen Jahren katapultiert Grass sich in die Riege der größten deutschen Nachkriegsliteraten. Er erhält 1999 den Literaturnobelpreis. Der streitbare Schriftsteller gilt in Deutschland bis zu seinem Tod 2015 als moralische Instanz - trotz seiner NS-Vergangenheit.
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Heinrich Böll (1967)
Sein Freund Heinrich Böll, Linksintellektueller und Pazifist, setzt sich in seinen Schriften kritisch mit der jungen Bundesrepublik auseinander. "Und sagte kein einziges Wort" (1953) und "Ansichten eines Clowns" (1963) gehören bis zur Preisverleihung 1967 zu seinen wohl bekanntesten Werken; der Roman "Gruppenbild mit Dame" beschert ihm 1972 den Literaturnobelpreis.
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Friedrich Dürrenmatt (1986)
Er ist ein Querdenker und Rebell. Dürrenmatts umfassendes Werk stelle sich "den großen Fragen der Gegenwart mit weitem historischen Horizont, mit exakter Phantasie, mit Weisheit und Witz", befindet die Büchner-Preis-Jury 1986. Sein Drama "Die Physiker" begleitet Schüler seit Jahrzehnten und war lange Jahre eines der meist gespielten Theaterstücke im deutschsprachigen Raum.
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Elfriede Jelinek (1998)
Die österreichische Autorin etabliert sich mit ihren messerscharfen Analysen und ihrer unbändigen Moralität als eine der führenden Autorinnen der Gegenwart. 1989 erscheint Jelineks bis heute meistverkaufter Roman "Lust", der von einigen Kritikern als "weiblicher Porno" zerrissen wird. Sie bleibt weiter unbequem - und brillant. 2004 erhält sie den Literaturnobelpreis.
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Sibylle Lewitscharoff (2013)
In ihrer Jugend liest sie Marx und Trotzki. Zum Schreiben kommt Lewitscharoff allerdings erst später. Nach dem Studium arbeitet sie zunächst 20 Jahre lang als Buchhalterin. 1998 schafft sie mit ihrer Erzählung "Pong" den Durchbruch. Die Geschichte eines Verrückten, der die Welt verändern will, wird von Kritikern als Meisterwerk gelobt. Auch ihre Folgewerke werden vielfach ausgezeichnet.
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Terézia Mora (2018)
Nahe der beschaulichen Stadt Sopron wächst Mora an der österreichisch-ungarischen Grenze in einfachen Verhältnissen auf. Zunächst macht sie mit herausragenden Übersetzungen ungarischer Literatur auf sich aufmerksam. Später gelingt ihr der Durchbruch als Schriftstellerin mit "Seltsame Materie". Am 27. Oktober 2018 wurde ihr in Darmstadt der Georg-Büchner-Preis verliehen.
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Georg Büchner
Der Namensgeber Georg Büchner stirbt mit 23 Jahren an Typhus. Trotzdem zählt er bis heute zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern. Als er 1834 in seinem "Hessischen Landboten" die sozialen Missstände in Deutschland anprangert, muss er fliehen. Im Schweizer Exil widmet er sich neben dem Schreiben seiner anderen großen Leidenschaft: der Wissenschaft. Sein kluges, feines Gesamtwerk bleibt.
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Der mit 50.000 Euro dotierte Georg-Büchner-Preis wurde am 31. Oktober in Darmstadt verliehen. Mit Elke Erb werde ein "unverwechselbares und eigenständiges schriftstellerisches Lebenswerk geehrt, dessen Anfänge 1975 in der DDR lagen und das sich nach deren Ende unbeirrt bis in die Gegenwart fortsetzt", teilte die Akademie mit. Elke Erbs "poetischer Sachverstand", der sich auch in ihrer reichen übersetzerischen Arbeit zeige, habe mehrere Generationen von Dichterinnen und Dichtern in Ost und West beeinflusst.
Elke Erbs Gedichte zeichneten sich durch eine prozessuale und erforschende Schreibweise aus, in deren Verlauf die Sprache zugleich Gegenstand und Mittel der Untersuchung sei, heißt es weiter. "Elke Erb gelingt es wie keiner anderen, die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen, indem sie sie herausfordert, auslockert, präzisiert, ja korrigiert."
Laudator Hendrik Jackson, Schriftsteller und Übersetzer, pries Elke Erb als eine Frau voller Geistesblitze. Ihr Vorgehen sei ein "Zickzack, manchmal auch zurück, dann wieder zackig und triumphal, aber immer, selbst wenn verzwackt, doch mit der Verve präzise gesetzter Verse".
Elke Erb zog als Kind in die DDR
Die in Berlin lebende Autorin und Übersetzerin Elke Erb wurde am 18. Februar 1938 in Scherbach, einem kleinen Dorf in der Eifel, geboren. 1949 - in ihrem zwölften Lebensjahr - übersiedelte sie mit der Familie nach Halle in die DDR. Nach dem Studium der Germanistik, Slawistik und Pädagogik arbeitete sie als Lektorin beim Mitteldeutschen Verlag. Seit 1966 ist sie freiberuflich als Schriftstellerin und Übersetzerin vorwiegend aus dem Russischen tätig.
Erbs Werk versammelt Lyrik, Kurzprosa, prozessuale Texte, Übersetzungen, Nachdichtungen und Herausgaben. Sie wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, darunter dem Peter-Huchel-Preis (1988), dem Ernst-Jandl-Preis (2013), dem Mörike-Preis der Stadt Fellbach (2018) und dem Bundesverdienstkreuz 2019.
Große Nähe zur DDR-Friedensbewegung
Elke Erbs erste Buchveröffentlichungen waren "Gutachten, Poesie und Prosa" (1975) und "Der Faden der Geduld" (1978). Auswahlbände von ihr erschienen parallel im Westen. Anfang der 1980er Jahre nahm sie Kontakt zur Friedensbewegung in der DDR auf. Ihre Nähe zur unabhängigen Friedensbewegung, die Mitarbeit an einer inoffiziellen Lyrik-Anthologie und ihr Protest gegen die Ausbürgerung des Bürgerrechtlers Roland Jahn führten zur Überwachung durch die Staatssicherheit.
Gemeinsam mit Sascha Anderson gab sie 1985 die aufsehenerregende Anthologie neuerer Literatur in der DDR "Berührung ist nur eine Randerscheinung" heraus, die jedoch nur in der Bundesrepublik erscheinen konnte. 1987 veröffentlichte Erb den von der Kritik als epochal bezeichneten Band "Kastanienallee. Texte und Kommentare", wofür sie den mit 15.000 Deutsche Mark dotierten Peter-Huchel-Preis erhielt.
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Elke Erb: "Die Menschheit geht mit mir ein Risiko ein"
Nach der Wende veröffentlichte Elke Erb 1991 den Prosatext "Winkelzüge oder Nicht vermutete, aufschlussreiche Verhältnisse", 1995 politische, autobiographische und poetologische Reflexionen in dem Band "Der wilde Forst, der tiefe Wald. Auskünfte in Prosa" sowie zahlreiche Gedichtbände. Dazu zählten etwa "Sonanz. 5-Minuten-Notate" (2008), "Das Hündle kam weiter auf drein" (2013) oder im letzten Jahr, 2019, "Gedichtverdacht", ein Band mit Gedichten, Notaten, Selbstkommentaren, bei ihrem langjährigen Verleger Urs Engeler.
Elke Erb lebt heute in Berlin und in der sächsischen Oberlausitz. Sie ist Mitglied der Akademien der Künste in Berlin und Sachsen. "Ich bin außerhalb der Form. Und das ist eine Chance und ein Risiko. Die Menschheit geht mit mir ein Risiko ein, ich diene als Risiko", sagte Elke Erb 1978 in einem Gespräch mit Christa Wolf.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung vergibt seit 1951 den Georg-Büchner-Preis an deutsch schreibende Schriftsteller. Die Preisträger müssen "durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten" und "an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben". Im vergangenen Jahr wurde der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss ausgezeichnet. Der Essayist nannte die Auszeichnung einen "Engelskuss".
Georg-Büchner-Preis: Viele namhafte Preisträger
Zur Liste der Preisträger zählen Max Frisch (1958), Günter Grass (1965) und Heinrich Böll (1967), zuletzt auch Rainald Goetz, Marcel Beyer, Jan Wagner und Terézia Mora. Die jährlich vergebene Literaturauszeichnung gilt als die renommierteste im deutschsprachigen Raum. Die Vereinigung von Schriftstellern und Gelehrten mit Sitz in Darmstadt, die 1949 am 200. Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe gegründet wurde, hat derzeit rund 190 Mitglieder, die auf Lebenszeit gewählt werden.
Der Namensgeber des Preises, Georg Büchner (1813-1837), war ein deutscher Revolutionär und Dramatiker - und einer der wegweisenden Autoren des 19. Jahrhunderts. Er starb früh an Typhus. Finanziert wird der Georg-Büchner-Preis - neben dem Joseph-Breitbach-Preis der höchstdotierte jährliche Literaturpreis für deutschsprachige Autoren - von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie der Stadt Darmstadt.