Er wählt die leisen Töne und steht nicht gern im Mittelpunkt. Doch nach starken Leistungen geht Emanuel Buchmann für das Radteam Bora-Hansgrohe als Kapitän in die Tour de France 2019. Wie passt das zusammen?
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Sein Blick ist immer noch schüchtern, seine Stimme leise und seine Körpersprache alles andere als selbstbewusst. Emanuel Buchmann steht in einer Gasse der Brüsseler Innenstadt und beantwortet Fragen von Journalisten. Er tut dies inzwischen etwas routinierter als bei seinem Tour-Debüt 2015, aber immer noch nicht so richtig gern. Einige Sätze wirken einstudiert. Das Reden, das spürt man, ist nicht seine Paradedisziplin. Aber wenn man genauer hinhört, entdeckt man ein zartes Pflänzchen Selbstvertrauen beim 26-Jährigen, der sich anschickt, um das Podium der Tour de France zu fahren. Er spricht von Respekt der Kollegen, von seinen starken Leistungen im Vorfeld und davon, dass ein Platz weit vorne im Gesamtklassement "absolut realistisch" sei. Es ist offensichtlich: Seine Fähigkeiten auf dem Fahrrad haben Buchmann geholfen, an sich zu glauben und darüber auch sprechen zu können. Wohin sie ihn noch führen können? Wenn er gesund bleibt, führt sein Weg schon in diesem Sommer ins Rampenlicht - ob es ihm gefällt oder nicht…
DW: Emanuel Buchmann, beginnen Sie diese Tour de France mit einem anderen Gefühl?
Emanuel Buchmann: Ja, ich denke schon. Diese Saison lief für mich bis jetzt super. Jetzt stehe ich hier zum ersten Mal als Kapitän am Start, und ich glaube, es ist absolut realistisch, dass ich in der Gesamtwertung in die Top Ten fahren kann. Ich bin motiviert, dieses Ziel zu erreichen.
Machen Sie sich selbst Druck?
Ja, ein gewisser Druck ist da, und er kommt von mir und vom Team. Jeder, der bei der Tour auf Gesamtwertung fährt, hat diesen Druck. Aber ich sehe das als eine Riesenchance, dass ich etwas erreichen kann.
Auf die Gesamtwertung zu fahren bedeutet, nirgends Zeit verlieren zu dürfen. Heißt das drei Wochen lang Stress?
Ja. Gerade in der ersten Woche sind hier alle sehr nervös. Da muss man enorm aufpassen, dass man gut durchkommt, keine Zeit verliert, nicht stürzt und immer aufmerksam fährt. Gerade in diesem Rennen ist es extrem stressig, immer vorne zu sein. Zum Glück geht es schon auf der sechsten Etappe in die Berge, dann sortiert sich alles etwas.
Sie haben in dieser Saison einen großen Schritt nach vorne gemacht und starke Resultate erzielt. Was haben Sie verändert?
So viel habe ich nicht verändert. Ich bin einfach ein kleines Stück stärker, trete ein paar Watt mehr. Das macht aber am Berg manchmal einen großen Unterschied und entscheidet zwischen Spitze und Verfolger. Ich sehe das aber als kontinuierliche Entwicklung. Ich habe jedes Jahr einen Schritt nach vorne gemacht. Und ich konnte meine Vorbereitung problemlos durchziehen, es kam nichts dazwischen. Ich bin reifer geworden.
Spüren Sie mehr Respekt im Peloton?
Ja, ich denke schon, dass andere Fahrer inzwischen mehr Respekt haben. Viele sehen, dass ich super drauf bin, und so leicht lässt man mich nicht mehr fahren. Das gilt auch für unser gesamtes Team. Jeder von uns hat einen Schritt nach vorne gemacht und sich weiterentwickelt. Dadurch kommt Selbstbewusstsein hinzu, und wir agieren anders im Rennen.
Auch im Zeitfahren konnten Sie sich verbessern. Haben Sie im Windkanal an ihrer Position auf dem Rad gearbeitet?
Nein, nicht wirklich. Ich habe nicht mehr auf dem Zeitfahrrad trainiert als in der Vergangenheit. Eigentlich war ich selbst überrascht, wie gut ich beim Zeitfahren des Critérium du Dauphiné war [Buchmann wurde im Kampf gegen die Uhr Dritter und ließ damit andere Sieganwärter der Tour de France hinter sich, Anm. d. Red].Ich hoffe, dass ich das bei der Tour de France wiederholen kann.
Sie sind erstmals Teamkapitän bei der Tour. Entspricht diese Rolle eigentlich Ihrem Naturell?
Ich bin nicht der geborene Kapitän, der große Ansagen macht. Aber ich denke, das ist ein Stück weit etwas, das man lernen kann. Bei der Vuelta 2018 bin ich schon als Kapitän gestartet und das hat ganz gut geklappt [Buchmann wurde bei der Spanien-Rundfahrt Zwölfter]. Ich denke, daran kann ich hier anknüpfen.
Können Sie auch lauter werden?
Im Rennen schon, wenn es wirklich wichtig ist. Aber am Tisch abends mache ich keine großen Ansprachen, das ist einfach nicht mein Ding.
Worauf freuen Sie sich nach der Tour?
Ich freue mich darauf, dann wieder meine Ruhe von dem ganzen Rummel hier zu haben. Das brauche ich nach der Tour, und darüber bin ich richtig froh. Und ich brauche auch einfach eine Pause. Die Vorbereitung auf die Tour war schon ziemlich hart.
Emanuel Buchmann, Jahrgang 1992, begann im Alter von 13 Jahren mit dem Radsport und ist seit 2015 Radprofi. Gleich im ersten Jahr wurde er Deutscher Meister und fuhr seine erste Tour de France, bei der er auf einer Etappe Dritter wurde. Seitdem entwickelte sich der gebürtige Ravensburger kontinuierlich zum Rundfahrtspezialisten und ließ im Juni mit Rang drei beim Critérium du Dauphiné aufhorchen. Buchmann, der sich nach eigenen Worten ohne den Radsport für ein Jurastudium entschieden hätte, gilt als das größte deutsche Rundfahrttalent seit Jan Ullrich und Andreas Klöden.
Das Interview führte Joscha Weber.
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10 Enric Mas (Deceuninck-Quickstep)
Eingefallene Wangen, tiefsitzende Augen, spindeldürre Glieder und kurz geschorenes Kopfhaar - Enric Mas jagt manchem Betrachter einen Schrecken ein. Doch der 24-jährige Spanier ist kerngesund und extrem austrainiert. Als starker Bergfahrer wurde er 2018 überraschend Zweiter der Vuelta, fuhr in diesem Jahr aber bisher unauffällig. Prognose: Es reicht noch nicht für ganz vorne.
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9 Nairo Quintana (Movistar)
Ist die Zeit von Nairo Quintana schon vorbei? Von 2013 bis 2016 fuhr er bei Tour, Giro und Vuelta stets auf die Plätze eins bis vier, war am Berg eine Macht. Doch in letzter Zeit schwächelt der stille Kolumbianer, der Medientermine scheut und meist abgeschirmt wird, ausgerechnet bei den schweren Anstiegen. Es dürfte seine letzte Chance als Kapitän bei der Tour sein. Prognose: Er nutzt sie nicht.
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8 Romain Bardet (Ag2r La Mondiale)
Die Hoffnungen wiegen schwer auf den schmalen Schultern des Romain Bardet. Der schlaksige Kletterer soll die lange Durststrecke der Franzosen bei der Tour beenden. In den letzten Jahren sah es so aus, als käme er diesem Ziel näher. Doch aktuell fährt Bardet, der einen Uni-Abschluss in Management besitzt, seiner Form und den Gegnern hinterher. Prognose: Verliert im Zeitfahren zu viel Zeit.
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7 Adam Yates (Mitchelton-Scott)
"Wir haben unterschiedliche Wege genommen, sind uns aber sehr nah und sprechen täglich miteinander", sagt Adam Yates über seine Beziehung zu seinem Zwillingsbruder Simon. Beide sind talentierte Anwärter auf das Gesamtklassement. In Frankreich wird Simon, der beim Giro Kapitän war, wohl für Adam fahren. Der ist in den Bergen gut, im Zeitfahren solide. Prognose: Kann mitspielen, aber nicht gewinnen.
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6 Emanuel Buchmann (Bora-Hansgrohe)
Vom talentierten Mitfahrer zum Podiumskandidaten - Emanuel Buchmann hat bei den Vorbereitungsrennen einen starken Eindruck hinterlassen. Am Berg zählt der stille Schwabe inzwischen zu den Besten, im Zeitfahren hat er sich gesteigert. Was dem 26-jährigen noch fehlt, ist der Punch und das Selbstvertrauen für einen großen Sieg. Prognose: Seine Kurve geht weiter nach oben.
Das Double aus Giro und Tour hat sich in den letzten Jahren stets als zu anspruchsvoll erwiesen. Auch dem erfahrenen "Hai aus Messina" wird man die Strapazen der Italienrundfahrt, die er auch wegen eines taktischen Fehlers verlor, noch anmerken. Doch mit seiner Konstanz und Leidensfähigkeit wird der 34-Jährige punkten. Prognose: Dem Hai fehlen ein paar Zähne für einen kraftvollen Biss.
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4 Thibaut Pinot (Groupama-FDJ)
Die Angst vor den Abfahrten ist besiegt, an seiner Zeitfahrschwäche hat er gearbeitet - ist Thibaut Pinot nun endlich bereit für mehr als eine gute Platzierung? Fast. Der Franzose wählte einen kontinuierlichen Aufbau und fokussiert sich erstmals wieder auf die Tour. Sein Team ist gut, aber andere sind besser. Prognose: Pinot wird angreifen, seine Gegner aber nicht alle abschütteln können.
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3 Geraint Thomas (Ineos)
Der Titelverteidiger hatte bei der Tour de Suisse eine Schrecksekunde: Nach einem schweren Sturz schien bereits der Traum vom zweiten Toursieg ausgeträumt. Doch der 33-jährige Waliser kann starten. Seine Vorbereitung lief nicht ideal - ihm wird die Leichtigkeit des Vorjahres fehlen. Prognose: Aber zum Podium reicht es dennoch.
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2 Jakob Fuglsang (Astana)
Jahrelang stand der Däne in Diensten anderer Top-Fahrer: Jakob Fuglsang fuhr schon für die Schleckbrüder als Helfer und stand auch bei Astana meist im Schatten. Nun ist er Kapitän und das zu Recht. In diesem Jahr war er der konstanteste der Tour-Kandidaten, hat sich am Berg noch einmal gesteigert. Prognose: Kommt dem Gelben Trikot sehr nah.
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1 Egan Bernal (Ineos)
Viva Colombia! Die radsportverrückte Nation freut sich auf den nächsten Star, der im Juli die Heimat verzückt. Und dieses Mal möglicherweise so richtig. Egan Bernal hat außergewöhnliche Leistungsdaten und fährt bei Ineos im stärksten Team. Bei der Tour de Suisse war er nicht zu schlagen, jetzt könnte er der Tour seinen Stempel aufdrücken. Prognose: Er lässt Kolumbien jubeln.