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PolitikNahost

Emirate: Weniger Staat, mehr Markt

2. November 2021

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben ein großes Förderprogramm aufgelegt, das die Bürger zur Arbeit im Privatsektor animieren soll. Die bevorzugten bislang den Staatsdienst. Nun scheint ein Mentalitätswechsel nötig.

VAE Dubai Skyline
Bild: Imaginechina/Tuchong/imago images

Staatsdienst schön und gut, aber langfristig braucht es mehr Engagement in der Privatwirtschaft, ist man in den Golfemiraten zwischen Dubai und Abu Dhabi überzeugt. Diesem aber stehen viele Bürger der Vereinten Arabischen Emirate (VAE) eher skeptisch gegenüber, und so hat die Staatsführung nun ein Programm aufgelegt, das ihre eher an einer Anstellung beim Staat interessierten Bürger künftig für den privaten Sektor gewinnen will.

Mit diesem Ziel startete am 1. Oktober dieses Jahres ein Programm, das seinen Anspruch schon im Namen trägt: "Projects of the 50" - ein Programm zur Förderung des privaten Sektors für die nächsten 50 Jahre. In dessen Rahmen sollen 75.000 neue Arbeitsplätze im Privatsektor geschaffen werden. Das Programm richtet sich zwar auch an ältere, gut ausgebildete Bürger der VAE, vor allen aber an jüngere Universitäts-Absolventen, die Jahr für Jahr auf den Arbeitsmarkt drängen. Das Projekt - auch "nafis", "Wettbewerb", genannt - lassen sich die VAE etwas kosten: Rund 24 Milliarden VAE-Dirham, umgerechnet rund 5,6 Milliarden Euro, werden dafür aufgebracht.

Das Programm soll Universitätsabsolventen den Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen, es soll einen Fonds zur Unterstützung von Arbeitslosen begründen, Eltern ermöglichen, ihren Kinderwunsch zu erfüllen, Überbrückungszeiten finanzieren und Aussteigern aus dem Staatsdienst dabei helfen, in den privaten Sektor zu wechseln. Auch soll ein Geschäftsentwicklungsfonds aufgelegt werden. Zudem wurden eine ganze Reihe weiterer Programme - zur Talentförderung, für Mikrokredite und zur Gesundheitsfürsorge - aufgelegt.

Bis heute zentrales Element der Wirtschaft der VAE: das ErdölBild: Emirates News Agency/dpa/picture alliance

Förderung ausgewählter Berufszweige

Das Programm unterstützt etwa junge Absolventen ein Jahr lang mit 8000 VAE-Dirham (knapp 1880 Euro) monatlich in der Übergangszeit vom Studium in den - das ist die Bedingung - privaten Arbeitsmarkt. Die Unterstützung kann auf fünf Jahre verlängert werden, mit dann 5000 VAE-Dirham (rund 1170 Euro) monatlich. Auch bestimmte Berufsgruppen - Krankenschwestern, Wirtschafts- und Finanzprüfer, Wirtschaftsanwälte und weitere - sollen zu Beginn ihrer Karriere mit 5000 VAE-Dirham unterstützt werden. Auch diese Summe soll als Anreiz dienen, in dringend benötigte Berufe einzusteigen. Insgesamt soll der Anteil der gut ausgebildeten Emiratis am Arbeitsmarkt von derzeit zwei auf absehbar zehn Prozent steigen.

Das Programm sei schon seit längerem angedacht, sagt Heena Nazir, Korrespondentin der dem deutschen Bundeswirtschaftsministerium angeschlossenen Außenhandelsagentur Germany Trade & Invest" (GTAI) in Dubai. Damit reagiere die Staatsführung auf die wachsende Bevölkerungszahl, der es neue Perspektiven zu schaffen gelte. "Im Moment arbeiten die meisten Emiratis ja im öffentlichen Raum. Allerdings kann der nur begrenzt Arbeitnehmer absorbieren. Deshalb kommt es darauf an, auch anderweitig Möglichkeiten zu schaffen", so Nazir im DW-Interview.

Vorbehalte gegenüber dem privaten Sektor

Allerdings komme ein weiterer Punkt hinzu, so ein in den VAE arbeitender Ökonom, der seinen Namen öffentlich nicht nennen will. Lange Zeit habe der Ölreichtum sehr viel Geld in die öffentlichen Kassen gespült, das auch der Bevölkerung zugute gekommen sei. Dieser Umstand habe dazu geführt, dass viele Bürger des Landes keinen Anlass sahen, eine Arbeit jenseits des Staatsdienstes aufzunehmen. "Diese Situation ändert sich nun aber", so der Experte gegenüber der DW. "Die Ölpreise schwanken. Im vergangenen Jahr waren sie sehr niedrig, derzeit sind sie wieder sehr hoch. Auf diese Unregelmäßigkeiten muss man langfristig reagieren."

Noch allerdings haben viele Bürger der VAE Vorbehalte, im Privatsektor zu arbeiten. Die Bezahlung dort gilt im Vergleich mit dem im Staatsdienst üblichen Löhnen als gering, auch bemängelten viele Bürger die längeren Arbeitszeiten, heißt es in einem Bericht der in Dubai erscheinenden Zeitung Al-Roeya. Außerdem seien viele Emiratis überzeugt, dass die Privatwirtschaft vor allem an Arbeitnehmern aus Europa und generell aus dem Ausland interessiert sei.

"Fit machen für die Zukunft"

"Unsere Bevölkerung fit zu machen ist das Kernanliegen unserer Zukunftspläne", erläuterte der Kronprinz von Abu Dhabi, Scheich Mohamed bin Zayed Al Nahyan, kürzlich das Anliegen des Programms. Insbesondere gehe es darum, besonders gut ausgebildete Bürger zu fördern. "Wir glauben, dass unsere Bürger dazu berufen sind, die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft in der Region aufzubauen."

Mit diesem Anspruch hätten die VAE vor allem in die Bildung ihrer Bürger investiert, so Heena Nazir. "Es wurden und werden Bildungseinrichtungen aufgebaut, zudem will man mit Hilfe von Stipendien die jungen Emiratis dazu veranlassen, im Ausland zu studieren. Ebenfalls möchte man verstärkt Verbindungen zu internationalen Universitäten aufbauen. Von diesen gibt es ja bereits eine ganze Reihe Ableger hier. Durch diese Kooperation will man den jungen Emiratis eine Bildung vermitteln, die sie attraktiv für den Arbeitsmarkt macht."

Demonstrativ in Richtung Moderne: Szene von der Eröffnungsfeier der Expo 2020 in DubaiBild: Giuseppe Cacace/AFP/Getty Images

Die Pandemie und ihre Folgen

Die Investitionen finden auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie statt. Sie hatte die VAE dazu veranlasst, ihre Arbeitsgesetzgebung zu ändern. Auf diese Weise sollte es heimischen Unternehmen ermöglicht werden, Arbeitsverträge von Ausländern aufzukündigen und Verträge umzustrukturieren. Auf dieser Grundlage war es dann möglich, deren Löhne zu senken und die Beschäftigten dazu drängen, unbezahlten Urlaub zu nehmen. Das zwang viele Arbeitsmigranten, das Land zu verlassen. Die offenen Stellen konnten dann nicht besetzt werden.

Nun wollen die VAE vor allem qualifizierte Kräfte ins Land holen. Darum soll es künftig zwei neue Visa geben. Ein grünes zur Anwerbung von Investoren, angestellten Experten und Geschäftsleuten sowie eines für unabhängig arbeitende Selbständige. Ihren Anspruch, zu einem Zentrum der technischen Moderne zu werden, bekräftigten die Emirate auch durch ihre Mars-Mission, die Anfang des Jahres die Umlaufbahn des Roten Planeten erreichte. Zugleich werben die VAE für ihre religiöse Toleranz. So besuchte Papst Franziskus im Februar 2019 die Emirate.  

Die Pandemie hat den VAE außerdem gezeigt, dass sie viel stärker diversifizieren müssen, sagt der in den VAE arbeitende Ökonom, der namentlich nicht genannt werden will. "Man hat etwa sehr stark auf Tourismus und die Hotelbranche gesetzt und dann merken müssen, wie einseitig das ist. Es kamen kaum noch Gäste, eine ganze Reihe Hotels haben schließen müssen. Das will man nicht noch einmal erleben."

Nutznießerinnen der Modernisierung: Die Bürgerinnen der Emirate. Szene aus Dubai, März 2020Bild: Giuseppe Cacace/AFP

Konkurrenz der Golfstaaten

Hinzu komme, dass die Golfstaaten inzwischen miteinander um ausländische Investitionen wie auch den Tourismus konkurrierten, sagt Heena Nazir. "Und gerade im Vergleich zu Saudi-Arabien versucht man sich als aufgeschlossen, offen und modern zu präsentieren." Das wirke sich auf die gesamte Gesellschaft aus. "So sind zunehmend auch Frauen in bedeutenden Positionen präsent. Es sind zwar noch nicht sehr viele. Aber man kann doch sagen, dass Staat und Gesellschaft in Bewegung sind."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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