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Frankreichs Palästina-Kurs vertieft religiöse Gräben

Elizabeth Bryant in Paris
3. August 2025

Politische Spaltung in Frankreich: Nach der Ankündigung von Präsident Macron, die palästinensischen Gebiete als eigenen Staat anzuerkennen, hat die Gewalt gegen muslimische und jüdische Gemeinschaften im Land zugenommen.

Menschen mit palästinensischen Flaggen stehen und sitzen auf der Statue am Place de la Nation in Paris
Pro-palästinensische Demonstration im Juni in Paris: Der Kurs der französischen Regierung in Bezug auf die Palästinensischen Gebiete ist umstrittenBild: Jerome Gilles/NurPhoto/picture alliance

Mohammed Iriqat hat die schwankende Haltung Frankreichs zum Israel-Hamas-Krieg aus erster Hand miterlebt. Vom Spott, den er einstecken musste, weil er das Palästinensertuch Keffiyeh trug, bis hin zur Kritik, weil er auf Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza mitmarschierte.

"Es ist schwierig, ein Zeichen zu tragen, das zeigt, dass man Palästinenser ist", erinnert er sich an die ersten Proteste, an denen anfangs hauptsächlich Muslime teilnahmen. "Eine Keffiyeh zu tragen, die palästinensische Flagge zu halten - das war sehr schwierig."

"Sehr symbolisch, und sehr wichtig"

Doch nun bahnt sich für den seit vier Jahren in Paris lebenden palästinensischen Jurastudenten ein Wandel an. Denn am 24. Juli hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angekündigt, die Palästinensischen Gebiete im September vor der UN-Generalversammlung in New York als Staat anerkennen zu wollen.

"Es ist sehr symbolisch, und dennoch sehr wichtig", sagt Iriqat, 30, angesichts des Vorhabens. Dieser Schritt werde gemeinsam mit anderen Maßnahmen "eine neue Ära einläuten".

Massenproteste: Tausende Menschen demonstrierten im Mai vergangenen Jahres auf dem Platz der Republik in Paris ihre Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung Bild: Luc Auffret/Anadolu/picture alliance

Riss durch Religionsgemeinschaften

Iriqats Reaktion auf Macrons Ankündigung spiegelt die politische Spaltung beim Thema Palästina in Frankreich wider. Und sie vertieft die Spannungen zwischen der jüdischen und der muslimischen Gemeinschaft, der größten in Westeuropa. 

"Der Krieg hat viele Beziehungen beendet, sowohl unter den religiösen Anführern als auch innerhalb der Bevölkerung", sagt Gerard Unger, Vizepräsident des Repräsentativen Rates der französisch-jüdischen Institutionen (CRIF), der DW. "Beide Seiten sprechen kaum noch miteinander. Und jede Seite weiß, dass, wenn sie es täte, die andere Seite sich als Opfer darstellen würde."

Der CRIF gehört neben konservativen und rechtsextremen französischen Politikern zu denjenigen, die Macrons Erklärung kritisieren. In einer Erklärung nannte die jüdische Gruppe eine Anerkennung Palästinas einen "moralischen Fehler, einen diplomatischen Irrtum und eine politische Gefahr".

"Eine opportunistische Entscheidung"

"Macron hält sich nicht an seine eigenen Zusagen", kritisiert Unger. Er verweist darauf, dass der französische Präsident zuvor noch Bedingungen für die Anerkennung der palästinensischen Staatlichkeit gestellt habe - darunter die Freilassung der Geiseln aus der Hand der Hamas und deren "Entmilitarisierung". 

Die militant-islamistische Gruppe wird von Israel, der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten und anderen Staaten als terroristische Organisation eingestuft.

Frankreichs Präsident Macron (l.) bei einem Treffen mit Mahmud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, in Ramallah - einige Tage nach dem Terroranschlag der Hamas im Oktober 2023 Bild: Christophe Ena/Pool/ABACA/picture alliance

Andere prominente jüdische Persönlichkeiten äußerten ebenfalls scharfe Kritik. "Es ist eine opportunistische Entscheidung", sagte der Anwalt Arno Klarsfeld, Sohn des berühmten Nazi-Jägers Serge Klarsfeld, dem konservativen französischen Fernsehsender CNews. "Sie zementiert die Scheidung mit der jüdischen Gemeinschaft in Frankreich, kühlt die Beziehungen zu Israel und den Vereinigten Staaten erheblich ab und stärkt die Hamas."

Frankreich vollzieht Kehrtwende

Wie zu erwarten, bewerteten dagegen viele muslimische Anführer und linke Parteien in Frankreich den geplanten Schritt des Präsidenten positiv.

"Die Entscheidung von Macron wurde mit großer Genugtuung und Freude aufgenommen", sagt Abdallah Zekri, Vizepräsident des französischen Rates der Muslime. "Wir hoffen, dass sie im September in die Realität umgesetzt wird, ohne Vorbedingungen."

Kaum jemand bestreitet, dass Macrons Ankündigung, die Palästinensergebiete als Staat anzuerkennen, eine politische Kehrtwende darstellt. Unmittelbar nach dem von der Hamas verübten Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 hatte der französische Präsident Israel noch "bedingungslose Unterstützung" versprochen.

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Damals rief er zu einer internationalen Koalition zur Bekämpfung der Hamas auf. Und noch 2024 bezeichnete er den Hamas-Angriff bei einer Zeremonie für die französischen Todesopfer als "den größten antisemitischen Angriff unseres Jahrhunderts".

Saudi-Arabien unterstützt Zwei-Staaten-Lösung

Doch angesichts der humanitären Katastrophe in Gaza und Israels anhaltender Militäraktionen zeigt sich Macron zunehmend erschüttert.

Der Krieg im Gazastreifen hat nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums mittlerweile mehr als 62.000 Menschen das Leben gekostet. Eine neue Studie der Universität London geht sogar von weit höheren Zahlen aus.

Nach seiner Ankündigung, Palästina als Staat anzuerkennen, veranstaltete Macron am 28. Juli gemeinsam mit Saudi-Arabien eine UN-Konferenz in New York, auf der eine Zwei-Staaten-Lösung gefordert wurde.

Umfragen deuten darauf hin, dass eine Mehrheit der Franzosen Macrons politische Kehrwende unterstützt. Allerdings fordern die meisten, dass zunächst die restlichen Geiseln freigelassen und die Hamas ihre Kapitulation erklärt. Dies ergab eine Umfrage des französischen Instituts für öffentliche Meinung vom Juni, die vom CRIF gesponsert wurde.

"Totale Heuchelei"

"Die Mehrheit der französischen Juden steht einer Zwei-Staaten-Lösung nicht feindlich gegenüber, wenn die richtigen Bedingungen erfüllt sind", fügt Unger vom Jüdischen Rat hinzu. "Die meisten halten die Situation in Gaza mit Zehntausenden von Toten für schrecklich."

Leere Töpfe und leere Mägen: In Gaza warten Menschen verzweifelt auf die Essensausgabe in einer SuppenkücheBild: Dawoud Abu Alkas/REUTERS

Wie der CRIF kritisiert auch Pierre Stambul, der die kleine Französisch-Jüdische Union für den Friedenleitet, Macrons Erklärung zur Staatlichkeit, allerdings aus anderen Gründen. "Was Frankreich macht, ist totale Heuchelei", so Stambul. "Es ist überhaupt nichts Besonderes. Viele Staaten, darunter Norwegen, Spanien, Irland und Slowenien, erkennen den Staat Palästina bereits an."

Der Rabbiner Michel Serfaty, der sich seit Jahren für den Aufbau interreligiöser Beziehungen in Frankreich einsetzt, äußert sich zurückhaltend zu Macrons Ankündigung. "Wir müssen abwarten, wie unsere muslimischen Mitbürger reagieren werden", sagt er. "Was viele interessiert, ist einfach nur, in Frieden zu leben."

"Schinkenscheiben im Briefkasten"

Ereignisse im Nahen Osten wie der Krieg in Gaza hallen in Frankreich oft nach, wo sowohl viele der rund 500.000 Juden als auch der rund sechs Millionen Muslime nordafrikanische Wurzeln haben. Seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel und dem Beginn des Kriegs im Gazastreifen verzeichnen sowohl Juden als auch Muslime einen Anstieg körperlicher und verbaler Gewalt.

Unger vom CRIF sagt, antisemitische Angriffe hätten sich "verdoppelt oder verdreifacht. Vorher waren es verbale Drohungen, jetzt sind es physische Drohungen. Auch Rabbiner wurden angegriffen."

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Zekri vom französischen Muslimrat beschreibt einen ähnlichen Anstieg der Gewalt. "Ich persönlich habe Schinkenscheiben in meinem Briefkasten und Drohungen zugeschickt bekommen", sagt er. "Viele Muslime", fügt er hinzu, "zeigen solche Taten auch nicht bei der Polizei an."

"Politik ist Politik. Menschen sind Menschen."

Im 19. Arrondissement von Paris, in dem einige der größten muslimischen und jüdischen Bevölkerungsgruppen der Stadt leben, lehnen viele Interviews mit der Presse ab. Eine Gruppe orthodoxer Juden, die sich an einem sonnigen Nachmittag vor einem religiösen Buchladen unterhalten, räumt lediglich ein, dass die Beziehungen komplex seien.

"Wir sind nicht auf der Suche nach Problemen", sagt einer. "Wir versuchen, gute Beziehungen zu den Arabern zu unterhalten." Ein paar Blocks weiter sagt der algerische Geschäftsmann Karim Kata, dass die beiden Gemeinschaften "versuchen, Politik zu vermeiden".

"Wir kennen uns schon lange", fügt er hinzu und verwies auf jüdische Geschäfte in der Nähe, darunter eine koschere Metzgerei, die muslimische Arbeiter beschäftigt. "Wir respektieren uns gegenseitig. Politik ist Politik. Menschen sind Menschen."

"Sie fingen an, Mitleid zu haben"

Der Pariser Jurastudent Mohammed Iriqat beschreibt, wie die Stimmung sich verändert hat. Anfangs nahmen an den zunächst verbotenen pro-palästinensischen Demonstrationen hauptsächlich Muslime teil.

Politische Mission: Jurastudent Mohammed Iriqat will weiter in Frankreich bleiben und sich dort für die Unabhängigkeit seiner Heimat, eines palästinensischen Staates, einsetzenBild: Elizabeth Bryant/DW

Bald jedoch "kamen viele Franzosen hinzu, und sogar die jüdische Gemeinschaft, die politisch eher links eingestellten Juden", so Iriqat. "Ich sah, dass sie anfingen, Mitleid mit dem zu haben, was passierte."

"Ich erinnere mich an alles"

Iriqat wurde im vom Israel besetzten Westjordanland geboren und erinnert sich noch gut an den Tag, an dem israelische Soldaten seinen Onkel erschossen, als dieser auf der Dachterrasse der Familie saß und studierte. Iriqat war zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alt.

"Ich erinnere mich an alles - sogar an den Geruch des Essens, das meine Großmutter kochte", sagt er. "Ich erinnere mich an Teile des Gehirns meines Onkels auf der Treppe unseres Hauses."

Er hofft, dass der wachsende internationale Druck auf Israel den größten Verbündeten, die Vereinigten Staaten, dazu bewegen könnte, dem Beispiel Macrons zu folgen.

"Ich widme mein Leben Palästina und den Palästinensern", sagt Iriqat, der in Frankreich bleiben und sein Studium fortsetzen will. Und er ist überzeugt: "Wenn ich für Palästina kämpfe, dann kämpfe ich auch für die Interessen Israels."

Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.

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