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PolitikEuropa

Macrons Wiederwahl - eine getrübte Freude

Barbara Wesel Paris
25. April 2022

Die Umfragen lagen richtig: Emmanuel Macron bleibt Frankreichs Präsident. Dennoch bleibt die Frage, warum so viele Franzosen rechtsradikal gewählt haben. Macron will auf sie eingehen - nur wie? Barbara Wesel aus Paris.

Frankreich Präsidentschaftswahl Macrons Siegesfeier in Paris
Bild: Christophe Ena/AP Photo/picture alliance

Es war wohl die kürzeste Rede, die er je gehalten hat. Emmanuel Macron, sonst Meister und Liebhaber des ausschweifenden Wortes, begrüßte seine Wiederwahl mit ziemlich knappen Worten. Auch er war wohl geschockt davon, dass Marine Le Pen ihm immerhin auf zehn Punkte hatte nahekommen können. Macron und seine Partei wissen, dass sie Brücken bauen müssen, wenn sie in den kommenden fünf Jahren konstruktiv regieren wollen.

Spannung auf dem Marsfeld

Kurz vor 20 Uhr hatte auf dem Marsfeld im Angesicht des Eiffelturms bei den Anhängern des Präsidenten noch eine nervöse Spannung gelegen. Trotz positiver Umfragen, die eine Wiederwahl mit rund zehn Punkten Vorsprung in Aussicht stellten, hatten französische und internationale Medien die Chancen von Herausforderin Marine Le Pen in den letzten Tagen dermaßen hochgeschrieben, dass bei vielen eine untergründige Angst zu herrschen schien: Was, wenn die rechtsextreme Politikerin doch gewinnen sollte?

Erleichterung unter Emmanuel Macrons Anhängern - die Spannung vor dem Wahlergebnis war enorm Bild: Thibault Camus/AP/picture alliance

Umso größer dann die Erleichterung um 20 Uhr, als die ersten Hochrechnungen bestätigten, dass Macron Hausherr im Elysée-Palast bleiben wird. Diese nächsten fünf Jahre werden anders, versprach er in seiner kurzen Dankesrede, in der die Siegesstimmung so ganz zu fehlen schien. "Niemand wird am Wegesrand zurückgelassen", so versprach der Präsident. Angesichts der Spaltungen im Land müsse man respektvoll handeln und für die Einheit der Franzosen arbeiten.

Macron erwähnte auch den Krieg in der Ukraine, den Marine Le Pen in ihrem Wahlkampf weitgehend ausgeblendet hatte. "Der Krieg erinnert uns daran, dass wir in tragischen Zeiten leben und unsere Stärke auf allen Feldern aufbauen müssen." Der Präsident war einer der frühesten Mahner für eine Verteidigungsfähigkeit Europas. 

Jetzt erhoffen sich gerade osteuropäische Länder von ihm mehr Unterstützung. Es war kein Zufall, dass der litauische Präsident Gitanas Nauseda als einer der ersten Gratulanten Macron Kraft für die zweite Amtszeit wünschte und auf eine weitere Stärkung von EU und NATO hofft. Auch die betont freundlichen Grüße aus Warschau zeigen, dass die polnische Regierung trotz des bitteren Zanks beider Seiten im Wahlkampf weiß, dass die europäische Einigkeit im Ukraine-Krieg nur mit einem Präsidenten Macron zu erhalten ist. Von Berlin über Rom bis Madrid – überall schien die Erleichterung durch die Glückwunschtelegramme der anderen Europäer. Man war am Absturz aller Systeme durch eine rechtspopulistische Regierung in Frankreich noch einmal vorbeigekommen.

Enttäuschung im Le-Pen-Lager

Bei der Wahlveranstaltung von Marine Le Pen wiederum gingen laute Buh-Rufe durch die Reihen, als die Hochrechnungen ihre Träume von der Präsidentschaft beendeten. "Wir waren noch nie so nahe dran", trösteten sich die Anwesenden. Die Parteichefin, die noch im März über einen Rückzug aus der Politik nachgedacht hatte, kam trotz der Niederlage kämpferisch auf die Bühne im Bois de Boulogne. Die Franzosen hätten eigentlich eine Kraft gebraucht, die gegen Präsident Macron kämpft, beschwor sie ihre Unterstützer. Die Kaufkraft und das Sozialsystem seien in Gefahr.

Marine Le Pen tröstet ihre Anhänger - es war das beste Wahlergebnis für ihre Partei jemals Bild: Francois Mori/AP Photo/picture alliance

Aber das Spiel sei nicht vorbei, so Le Pen. Bei der Parlamentswahl im Juni wolle ihre Partei eine starke Vertretung in der Legislative bilden, um gegen Macrons Politik Widerstand zu leisten - eine Politik, die sie "destruktiv für Frankreich" und "zerstörerisch für seine Institutionen" nennt. Dabei hatte sie selbst tiefgreifende Änderungen geplant. So wollte sie per Referendum das Mehrheitsverhältnis in der Nationalversammlung so verändern, dass die stärkste Partei immer über eine Art "Super-Majorität" verfügen würde.

Das Wahlergebnis sei trotz der Niederlage "historisch", so die Chefin der rechten Partei "Rassemblement National" (RN). Sie schaffte es beinahe, Siegesstimmung unter ihren Anhängern zu erzeugen, die sie mit "Marine, Marine" Sprechchören belohnten. Tatsächlich zeigt die Kurve des RN bei Wahlen in den letzten zehn Jahren stetig nach oben. Von rund 17 Prozent im ersten Durchgang 2012 ist sie jetzt bei über 40 Prozent in der Ausscheidung gegen Macron gelandet.

Emmanuel Macron will Präsident für alle Franzosen sein - das wird schwierig Bild: GONZALO FUENTES/REUTERS

Das Projekt der "Entgiftung" ihrer Person und ihres Vorhaben haben offenbar gewirkt. Im Wahlkampf hatte sich Le Pen auf soziale Fragen, Kaufkraft und Renten konzentriert und damit die Kernanliegen vieler französischer Wähler getroffen. Ihr eigenes Image ist verbindlicher geworden und die Aspekte im Parteiprogramm, die sich gegen Migranten, Muslime, Europa oder die NATO richteten, ließ sie weitgehend beiseite. 

"Keine ruhigen fünf Jahre"

Emmanuel Macron selbst räumte in seiner Siegesrede ein, dass keine ruhigen fünf Jahre auf Frankreich zukommen. Auf der internationalen Bühne geht es um den Krieg in der Ukraine, die weltweite Inflation, den Klimawandel - zu Hause geht es um die Renten- und Schulreform, Lebenshaltungskosten und einen ökonomischen Schub für die Teile des Landes, in denen die frustrierten Wähler von Marine le Pen sitzen.

Wie der Präsident nämlich die tiefe Spaltung des Landes überwinden will, von der jetzt überall die Rede ist, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt noch offen. Ein einfaches Investitionsprogramm reicht da nicht aus, es geht auch um das Gefühl bei vielen Franzosen, von der Elite in Paris ausgeschlossen und zurückgelassen zu sein.

Um überhaupt etwas zu bewegen, braucht Macron erneut eine Mehrheit in der Nationalversammlung und das wird schwer. Seine Partei "La Republique en Marche" ist in den Regionen wenig verankert, denn dort regieren überwiegend noch die Altparteien, Sozialisten, Konservative oder Grüne. Der Präsident wird komplexe Wahlbündnisse schließen und eine Menge Zugeständnisse machen müssen, um nicht in eine Zusammenarbeit mit einem Ministerpräsidenten von der politischen Gegenseite gezwungen zu werden. Der Alt-Linke Jean-Luc Mélenchon hat sich für den Fall schon angeboten. In diesem Fall könnte Macrons zweite Amtszeit in einem frustrierenden Stillstand enden, denn selbst ein französischer Präsident - mit seinen weitreichenden Befugnissen - kann nur schwer gegen das Parlament regieren.

Geht Macron die Rentenreform an, kann er sich auf eine neue Streikwelle einstellen Bild: dapd

Das schwerste Thema auf Macrons Agenda ist die Pensionsreform. Überall in Europa steigt längst kontinuierlich das Rentenalter, aber die Franzosen gehen weiterhin für ihren frühen Renteneintritt auf die Straße.  Die letzte Streikwelle 2018 ist vielen im Land noch in Erinnerung. Außerdem will der Präsident die Schulen weiter dezentralisieren, die medizinische Versorgung auf dem Land verbessern, mehr Polizisten einstellen und die Gerichtsbarkeit verbessern. Das sind alles Vorhaben, die viel Geld kosten, das Frankreich auch wegen der Corona-Pandemie nicht mehr hat. Die Staatsverschuldung wird in diesem Jahr bei rund 115 Prozent liegen.

Und schließlich muss sich der Präsident darauf vorbereiten, was nach ihm kommt: Die Altparteien, Sozialisten und Konservative scheinen auf nationaler Ebene dauerhaft zerstört. Seine eigene Partei ist kaum mehr als ein Präsidenten-Wahlverein. Das Land aber ist in drei große Blöcke gespalten, eine harte Linke, eine breite und diffuse Mitte und ein rechtsextremes Lager. Wo kann da die politische Zukunft liegen?

Daniel Cohn-Bendit, langjähriger deutsch-französischer Europaabgeordneter, der Macron freundschaftlich verbunden sein soll, forderte Im TV-Sender TF1, Frankreich brauche eine Grundsatzdebatte über Demokratie. "Man muss zu einer Demokratie des Kompromisses kommen", sagte er. Es sei nicht genetisch bedingt, dass in Frankreich politischer Kompromiss unmöglich erscheine. Das wäre nicht weniger als ein echter Kulturwandel in der französischen Politik und für den wieder gewählten Präsidenten wohl der schwierigste von allen Quantensprüngen.

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