Die Film- und Fernsehbranche wird allmählich vielfältiger: Auch die Emmy Awards in den USA haben ihre Regularien angepasst. Eine Datenanalyse mit Rückblick.
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Blitzlichtgewitter und roter Teppich: Während im vergangenen Jahr die Emmy Awards wegen der Corona-Pandemie nur online stattfinden konnten, trifft sich die Branche in diesem Jahr wie gewohnt in Los Angeles - unter strengen Hygienevorschriften, versteht sich. Der bedeutendste Fernsehpreis, der neben dem Oscar, den Tony- und Grammy-Awards der viertgrößte Preis der US-Unterhaltungsindustrie ist, wird zum 73. Mal in der Nacht vom 19. auf den 20. September verliehen.
Die allerersten Emmy-Trophäen wurden 1949 vergeben - seitdem hat sich einiges getan. Vor allem in den vergangenen zwei, drei Jahren haben Bewegungen wie #MeToo und #BlackLivesMatter die US-Unterhaltungsindustrie wachgerüttelt und sie dazu gezwungen, sich mit Fragen der Repräsentation einer vielfältigen Gesellschaft vor und hinter der Kamera auseinanderzusetzen. Wir nehmen die Emmys unter die Lupe. Hat sich dort etwas getan?
"I Am Not Your Negro": Hollywood und der Rassismus
In den letzten Jahren hat sich Hollywood oft mit Rassismus beschäftigt. Vor allem Spike Lee tat sich hervor. Doch auch in früheren Jahren zeigten die Regisseure die Konflikte innerhalb einer zerrissenen Nation auf.
Kämpfer für die Rechte der Afro-Amerikaner: der Regisseur Spike Lee
Spike Lee ist in den vergangenen Jahren zum führenden afro-amerikanischen US-Regisseur geworden. Lee (l.), hier bei Dreharbeiten zu seinem neuen Film "Da 5 Bloods", debütierte Mitte der 1980er Jahre als Regisseur. Rassismus in den USA wurde zu seinem Thema, mal emotional und berührend, manchmal auch eher unterhaltsam. In "Da 5 Bloods" behandelt er das Schicksal von vier schwarzen Vietnam-Soldaten.
Bild: picture-alliance/Everett Collection/Netflix/D. Lee
Amerikanische Rassismus-Historie: "Selma"
Der Blick der afro-amerikanischen Regisseurin Ava DuVernay richtete sich 2014 auf einen Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung 1965. Die Regisseurin zeichnete den Marsch von Bürgerrechtlern und Einwohnern von Selma nach Montgomery im US-Bundesstaat Alabama nach. Um den Film gab es gerade Streit. Wurde er bei den Oscars übergangen, weil sich Schauspieler für die Rechte von Schwarzen eingesetzt hatten?
Bild: picture-alliance/dpa/A. Nishijima
Rassismus-Kritik weichgespült? "Green Book"
Es ist nicht so, dass Hollywood das Thema Rassismus in jüngster Zeit aus den Augen verloren hätte. Peter Farrellys "Green Book" gewann 2019 sogar den Oscar. Doch die auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte eines weißen Chauffeurs (Viggo Mortensen, l.) und eines schwarzen Pianisten (Mahershala Ali) galt vielen Kritikern als weichgespült: Kritik am Rassismus, die nicht weh tut - so der Vorwurf.
Bild: picture alliance/AP/Universal/P. Perret
Oscar für große Filmkunst: "Moonlight"
Zwei Jahre zuvor hatte "Moonlight" von Regisseur Barry Jenkins den Oscar gewonnen. Doch das war ein ganz anderer Film. Vielleicht lag es daran, dass Jenkins Afro-Amerikaner ist. Der Regisseur erzählt die Geschichte eines afro-amerikanischen, homosexuellen Mannes. "Moonlight" überzeugte ästhetisch, verzichtete auf Kitsch und Melodramatik und setzte seine Story differenziert und hintergründig um.
Bild: picture alliance/AP Photo/D. Bornfriend
Großes Kino von Steve McQueen: "12 Years a Slave"
Und auch dafür gab es einen Oscar: Der 2013 in den Kinos angelaufene und ein Jahr später mit der Trophäe ausgezeichnete "12 Years a Slave" blickt tief zurück in die Anfänge des Sklaventums in den USA. Der Film des schwarzen Regisseurs Steve McQueen, der zuvor schon als Künstler Erfolg gehabt hatte, inszenierte das Rassismus-Drama mit prominenten Schauspielern und einer packenden Dramaturgie.
Auch dafür steht das "schwarze Kino" heute: Popularität, Genre-Nähe und eine damit einhergehende "unterhaltsame", nur angedeutete Rassismus-Kritik. Die Marvel-Verfilmung "Black Panther" stellte 2018 erstmals einen schwarzen Superhelden in den Mittelpunkt. Die weißen Comic-Autoren Stan Lee und Jack Kirby hatten die Figuren in den 60er Jahren auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung erfunden.
Bild: picture alliance/AP Photo/Disney
Originell und überraschend: "Get Out"
Sicher einer der eigenwilligsten Beiträge zum Thema Rassismus im Kino war 2017 der Film "Get Out". Anders als so viele gut gemeinte, dabei oft aber auch rührselige Hollywood-Filme, setzte der afro-amerikanische Regisseur Jordan Peele auf eine Genre-Geschichte. Rassismus wird hier mit Horror- und Comedy-Elementen präsentiert - das Ergebnis ist ein überaus origineller und überzeugender Genre-Mix.
Vor vier Jahren überraschte US-Regisseur Jeff Nichols das Publikum mit dem feinfühligen Drama "Loving". Auch das war ein Film, der sich eines historischen Kapitels des nordamerikanischen Rassismus annahm. Der Film thematisiert den Kampf eines Paares, das sich gegen das Gesetz verbotener Mischehen auflehnt und damit vor Gericht Erfolg hat - eine wahre Geschichte.
Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS.com/Focus Features
Stilvoller Genre-Mix: "Queen & Slim"
2019 brachte die griechisch-amerikanische Regisseurin Melina Matsoukas ihr Spielfilmdebüt "Queen & Slim" in die Kinos, eine Art Bonnie & Clyde-Variante im heutigen Amerika, in dem Rassismus unter der Oberfläche gärt. "Queen & Slim" setzt auf Sozial- und Gesellschaftskritik, ist aber auch Melodrama und Road-Movie. Melina Matsoukas hatte zuvor Musikvideos inszeniert, u.a. für Rihanna und Beyoncé.
Das Thema Rassismus gab es im US-Kino bereits in früheren Jahren. Inszeniert wurden die Filme fast ausschließlich von weißen Regisseuren. "Die zwölf Geschworenen" (1957) war einer der ersten Filme, der Rassismus thematisierte. Das Debüt von Sidney Lumet war ein Justizthriller, der sich mit Vorurteilen weißer Geschworener beschäftigte: Sie sollen ein Urteil gegen einen Puerto Ricaner fällen.
Bild: picture-alliance/United Archives
Authentisches frühes Kino von John Cassavetes: "Shadows"
Auch John Cassavetes war ein weißer US-Regisseur, auch er hatte, wie Melina Matsoukas, griechische Vorfahren. Cassavetes gelang 1959 mit dem Debüt "Shadows" etwas ganz Besonderes. "Shadows" erzählt die Geschichte von drei afro-amerikanischen Geschwistern in der New Yorker Musikszene, authentisch und einfühlsam. Wohl kein anderer US-Regisseur kam dem Lebensgefühl seiner Protagonisten damals näher.
Bild: picture-alliance/United Archives/IFTN
Sidney Poitier in "In der Hitze der Nacht"
In den 60er Jahren fasste das Thema Rassismus auch Fuß im Mainstream-Kino. Sidney Poitier hieß der erste große afro-amerikanische Filmstar in Hollywood. Im Drama "In der Hitze der Nacht" (1967) spielt Poitier einen aus dem Norden stammenden Polizisten, der im Süden der USA einen Fall aufklären will und dabei auf abgrundtiefen Hass von Rassisten stößt. Der Film wurde mit fünf Oscars ausgezeichnet.
Bild: picture-alliance/United Archiv/TBM
Tabubrecher "Mississippi Burning"
20 Jahre später inszenierte der Brite Alan Parker "Mississippi Burning". Der Rassismus-Thriller rief ein zwiespältiges Echo hervor: "Parkers effekthascherische Regie (tut) so ziemlich alles, um 'Mississippi Burning' in den Abklatsch eines Gangsterfilms zu verwandeln. Dennoch durchbricht der Film ein Tabu: Er setzt eine ganze Schicht weißer amerikanischer Spießer ins Unrecht", so ein Kritiker.
Bild: ORION PICTURES CORPORATION
In the Ghetto: "Boyz n the Hood"
Eine andere Richtung schlug der afroamerikanische Regisseur John Singleton 1991 ein. Sein Debüt "Boyz n the Hood" gilt als erster Film, der ein authentisches Bild vom Leben der schwarzen Bevölkerung in einem Problemviertel in einer US-Großstadt zeichnet. Kein klassischer Film über Rassismus und die Auseinandersetzung zwischen Schwarz und Weiß - aber ein Meilenstein des "New Black Cinema".
Bild: picture alliance/Mary Evans Picture Library
Hollywood-Blick: Rassismus außerhalb der USA
Der Blick weißer Hollywood-Stars auf Rassismus wird auch gern auf Schauplätze außerhalb der USA verlegt. In dem Sportdrama "Invictus" erzählt Clint Eastwood die aufsehenerregende Geschichte der südafrikanischen Rugby-Nationalmannschaft. Eastwood blickte nach Südafrika in die Jahre nach dem Apartheid-System. Morgan Freeman spielte damals Nelson Mandela.
Bild: AP
Dokumentarisch: "I Am Not Your Negro"
Neben den Spielfilmen, die das US-Kino in den letzten Jahrzehnten zum Thema beisteuerte, gab es auch Dokumentationen. Überzeugend geriet 2016 "I Am Not Your Negro" des aus Haiti stammenden Regisseurs Raoul Peck, der sich bei seiner Rückschau auf Rassismus in den USA auf Texte des Schriftstellers James Baldwin stützte. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in den USA ein sehr aktueller Film.
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Zeit für Veränderung
Während die Academy Awards noch lange mit der im Rahmen von #OscarsSoWhite vorgebrachten Kritik zu ringen hatten, präsentierte sich die alljährliche Emmy-Verleihung oft vielfältiger. Das lag unter anderem daran, dass eine Vielzahl der eingereichten Fernsehsendungen, darunter die der Streaming-Giganten Netflix, Hulu und Amazon, ohnehin schon viel diverser sind. Auch im vergangenen Jahr setzten die Emmys ein Zeichen für mehr repräsentierte Vielfalt, wie der Hollywood Diversity Report 2021 berichtet.
Mehrere prominente BIPoC-Personen (die Abkürzung steht für Black, Indigenous and People of Color - Schwarze, Indigene und People of Color) sowie LGBTQ-Schauspielerinnen und -Schauspieler haben historische Primetime-Emmy-Preise gewonnen. Die Fernsehakademie hat im Namen der Diversität mehrere Änderungen an ihrem Nominierungsverfahren vorgenommen.
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Noch nicht am Ziel
Doch einige kritisieren, dass die Reformen nicht weit genug gehen: Im vergangenen Jahr war keine einzige Latinx-Person nominiert (Latinx ist eine inklusive und geschlechtergerechte Selbstbezeichnung von Menschen lateinamerikanischer Herkunft). Und auch andere BIPoCs waren unter den Ausgezeichneten eher spärlich vertreten.
Das blieb nicht ganz ohne Protest: John Leguizamo, der 1999 einen Emmy für seine Varieté-Show "Freak" erhalten hatte, kritisierte die Verleihung daraufhin: "Es ist unglaublich, dass unsere Geschichten nicht erzählt werden", sagte der Schauspieler in einem Interview mit der Plattform Yahoo!Entertainment. "Die Führungskräfte sehen uns nicht, verstehen uns nicht - kümmern sich nicht um uns." Die Tatsache, dass in Los Angeles, wo die Preise vergeben werden und viele Produktionsfirmen ihren Sitz haben, fast 50 Prozent Latinx und Hispanics leben, diese aber derart unterrepräsentiert sind, bezeichnet der Schauspieler als "cultural apartheid".
Die Reaktion der Emmy-Verantwortlichen ließ nicht lange auf sich warten: "Als Organisation, die allen in der Fernsehbranche tätigen Personen für eine Mitgliedschaft offen steht, stimmt die Television Academy mit Nachdruck zu, dass in unserer Branche noch viel Arbeit in Bezug auf die Repräsentation zu leisten ist", sagte ein Sprecher. "Wir sind der Meinung, dass es ein sehr positives Zeichen ist, dass in den letzten zehn Jahren die wohlverdiente Anerkennung von PoC-Darstellerinnen und -Darstellern von eins von zehn auf eins von drei Nominierte in allen Darstellerkategorien gestiegen ist", fügte er hinzu.
Nominierungen 2021 im Überblick
Inzwischen haben viele Akteurinnen und Akteure der Film- und Fernsehwelt die Diversität in den Blick genommen - und die Fortschritte liegen auf der Hand. Während BIPoC-Schauspielerinnen und -Schauspieler in den vergangenen zehn bis 20 Jahren kaum repräsentiert waren, sieht es in diesem Jahr ganz anders aus. Die erste Grafik zeigt, dass etwa 44 Prozent der Anwärterinnen und Anwärter in den Schauspiel-Kategorien BIPoCs sind.
Zudem hat die Television-Academy, die die Emmys vergibt, zum ersten Mal eine Transfrau für ihre Hauptrolle nominiert: MJ Rodriguez, die in "Pose", einer Serie über die New Yorker Gay-Ballroom-Szene in den 1980er-Jahren, spielt, ist als beste Schauspielerin in einem Dramafilm nominiert.
Ganz anders sieht es in den Kategorien Regie und Drehbuch aus (siehe folgende Grafik): Dort sind nach wie vor weitaus mehr Regisseurinnen und Regisseure sowie Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren nominiert, die weiß sind.
Denise M'Baye: "Brauchen mehr Diversität auf allen Etagen"
In der deutschen Film- und Fernsehlandschaft sind ebenfalls Fortschritte in Richtung mehr Diversität zu erkennen: "Ich merke, dass sich etwas ändert - aber im kleinen Rahmen", sagt die Schauspielerin Denise M'Baye. "Ein Beispiel: Lorna Ishema (deutsche Schauspielerin, die in Uganda geboren wurde, Anm. d. Red.) wurde für den Film 'Ivie wie Ivie' für den deutschen Filmpreis nominiert. Das ist so eine große Sache, es gab in der Schwarzen Filmschaffenden-Community einen großen Beifall für diese Nominierung. Die Tatsache, dass wir uns so darüber freuen, zeigt, dass es eine Ausnahme ist und wie wenig selbstverständlich das heute immer noch ist."
M'Baye hat unter anderem elf Jahre in der deutschen TV-Serie "Um Himmels Willen" die Novizin Lela gespielt und trug einen wesentlichen Teil dazu bei, dass Schwarze Schauspielerinnen sich im deutschen Fernsehen etablierten.
"Ich habe in diesem Jahr gemerkt, dass meine Rollenangebote andere werden, selbst die Rollennamen klingen deutsch. Die Rollen hätten auch blonde Frauen besetzen können. Ich merke also, dass ein Wandel stattfindet und hoffe, dass er nicht nur an der Oberfläche bleibt und nicht nur wegen der Quote erfüllt wird, sondern dass uns klar wird, dass es Sinn macht, diese diverse Gesellschaft, dieses vielfältige Deutschland abzubilden," sagt die 45-Jährige und plädiert auch für mehr Diversität unter den Redakteurinnen und Redakteuren, Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren sowie Regisseurinnen und Regisseuren:
"Wenn wir am Ende, bei der Preisverleihung, beginnen, und uns dort mehr Diversität wünschen, dann steht am Anfang das Drehbuch. Die Frage ist, wer sind die Entscheider*innen. Leider ist es immer noch so, dass marginalisierte Gruppen und People of Color immer noch unterrepräsentiert sind. Wir brauchen mehr Diversität auf allen Etagen, um unsere Gesellschaft abzubilden. Diese ist nun mal divers."