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Politik

Empörung über Impf-Vordrängler

Hans Brandt
16. Februar 2021

Deutsche Gesundheitspolitiker fordern Strafen für Hunderte Lokalpolitiker, Polizisten oder einfache Verwaltungsangestellte, die sich außerhalb der vorgesehenen Prioritätenliste gegen das Coronavirus impfen ließen.

Bernd Wiegand Oberbürgermeister von Halle hat sich schon impfen lassen
Bernd Wiegand (r.), Oberbürgermeister von Halle, sagt, er wurde durch einen "Zufallsgenerator" zum Impfen ausgewählt.Bild: Jan Woitas/dpa/picture alliance
Bernd Wiegand (r.), Oberbürgermeister von Halle, sagt, er wurde durch einen "Zufallsgenerator" zum Impfen ausgewählt.Bild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Angela Merkel gab sich zurückhaltend. "Auch ich werde mich impfen lassen", sagte sie in ihrer Neujahrsansprache. "Wenn ich an der Reihe bin." Die Kanzlerin und die Mitglieder der Bundesregierung wollen mit gutem Beispiel vorangehen und halten sich an die Reihenfolge beim Impfen gegen SARS-CoV-2, die vom Deutschen Ethikrat festgelegt wurde: Zuerst werden die über 80-Jährigen geimpft, außerdem Pflege- und Krankenhauspersonal, das COVID-19-Patienten betreut oder Menschen betreut, deren Leben durch eine Viruserkrankung besonders gefährdet wäre. Kanzlerin und Minister sind erst an dritter Stelle vorgesehen - unter anderem erst nach den Bewohnern von Flüchtlingseinrichtungen. "Personen in besonders relevanter Position in den Regierungen" werden also in der letzten Prioritätsgruppe, unter anderem zusammen mit Polizistinnen und Feuerwehrleuten, geimpft. 

Israel Benjamin Netanjahu ließ sich schon Mitte Dezember 2020 impfenBild: Amir Cohen/REUTERS

Unterschiedliche Länder, unterschiedliche Vorbilder

Regierungen anderswo auf der Welt handeln ganz anders. Israels Premierminister Benjamin Netanyahu etwa ließ sich vor laufenden Kameras impfen - auch das eine Form, der Bevölkerung ein Vorbild zu sein. US-Präsident Joe Biden ist ebenfalls schon geimpft. Sogar die Regierungsmitglieder in der Schweiz, sonst bekannt für ihre Bescheidenheit und Volksnähe, bekamen die Spritze - etwas verschämt hinter verschlossenen Türen und etwas betreten, als das öffentlich diskutiert wurde.

Zahlreiche deutsche Lokalpolitiker verschiedener Parteien hingegen lösen Empörung aus, weil sie dem Beispiel der Bundesregierung nicht folgen. Sie nutzen Schlupflöcher im Impfprozess, um sich früher als vorgesehen impfen zu lassen. Zum Beispiel der parteilose Oberbürgermeister von Halle, Bernd Wiegand: Er erhielt die Impfung mittels eines "Zufallsgenerators", wie er erklärte. Der "Zufall" wollte es, dass er selbst und zehn Mitglieder seines Stadtrates außerhalb der vorgesehenen Reihenfolge geimpft wurden.

Auch der Bischof von Augsburg und sein Generalvikar, Hunderte Polizisten, Dutzende Verwaltungsmitarbeiter in Krankenhäusern, Feuerwehrleute, sogar Praktikantinnen in Rathäusern – sie alle konnten die wertvolle Spritze schon erhalten, während Millionen Menschen in Deutschland zum Teil verzweifelt darauf warten, an die Reihe zu kommen.

In den Impfzentren kommt es immer wieder vor, dass am Ende eines Tages einzelne Impfdosen nicht verwendet wurden.Bild: Joerg Boethling/imago images

Vordrängeln zerstört Vertrauen

"Man sollte das ahnden, ein entsprechendes Signal sollte es geben, auch wenn die Betroffenen nun schon geimpft sind und das vielleicht mit einem Schulterzucken hinnehmen", sagte Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, der DW. "Das ist moralisch massiv zu verurteilen", sagte die Ärztin, die selbst in einem Impf- und Testzentrum in ihrem Landkreis im Nordwesten von Bayern arbeitet. "Ich habe dafür keinerlei Verständnis."

Auch CDU-Politiker Erwin Rüddel hält eine Bestrafung der Impfdrängler für angezeigt. "Wahrscheinlich werden wir hier nun tatsächlich regelnd eingreifen müssen", sagte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag der DW. "Mit dieser Aktion, die die Bürger zurecht wütend macht, wurde dringend benötigtes Vertrauen zerstört. Ich halte das Verhalten der Betroffenen, insbesondere der Hauptamtlichen, für zutiefst unanständig."

Die häufigste Begründung für die ausserplanmäßigen Impfungen ist, dass in Impfzentren am Ende eines Tages oft Impfdosen übrig bleiben. Tatsächlich kommen nicht immer alle Menschen, die zu einer Impfung eingeladen wurden. Andere werden aus medizinischen Gründen abgelehnt, etwa, weil sie erkältet sind. "Man will natürlich nicht, dass diese wertvolle Flüssigkeit verschwendet wird", sagt Dittmar. "Aber dafür muss man eine Reserveliste von Personen haben, die schnell erreichbar sind und in die Prioritätenliste passen."

Der Augsburger Bischof Bertram Meier hat bereits seine zweite Corona-Impfung erhaltenBild: Sven Simon/picture alliance

"Unverschämte Bischöfe" bestrafen

Das sieht auch der Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann so. Im Gespräch mit der DW betonte der FDP-Gesundheitsexperte: "Das ist ein Managementfehler. Man kann eine Bereitschaftsliste führen, auf der zum Beispiel medizinisches Personal oder Mitglieder der Rettungsdienste stehen." Er halte dieses "soziale Fehlverhalten" für "eine Unverschämtheit", sagte der Professor für Infektiologie und Arzt. "Da schließe ich auch Bischöfe, die sich vorgedrängelt haben, ein. Das ist für mich unchristliches Verhalten." Die Begründung, dass übrig gebliebene Impfdosen nicht verfallen sollten, sei "scheinheilig". Neben dem Augsburger Bischof Bertram Meier und seinem Generalvikar Harald Heinrich ist auch der Weihbischof von Osnabrück, Johannes Wübbe, bereits geimpft worden. 

Gesundheitsminister Jens Spahn hat angekündigt, dass er Strafen für Verstösse gegen die Priorisierung prüfen will. Das hält auch Alina Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, für richtig. "Die Impfverordnung ist geltendes Recht in den Ländern. Und wenn die eklatant verletzt wird, ist es eine gute Idee, auch über Sanktionen nachzudenken", sagte sie im ZDF. Leute, die sich vordrängeln, würden "das Vertrauen in den ganzen Prozess" zerstören.