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Politik

"Der Nahe Osten könnte nuklearisiert werden"

10. Oktober 2017

In diesen Tagen entscheidet sich die Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran. Derzeit sieht es nach einem Ausstieg der USA aus. Omid Nouripour erklärt im DW-Gespräch, warum der Nukleardeal so wichtig für Europa ist.

UN Generalversammlung in New York | Donald Trump, Präsident USA
Bild: Getty Images/S. Platt

DW.com: Herr Nouripour, es sieht schlecht aus für das Atomabkommen mit dem Iran: Am Sonntag (15.10.) läuft die Deadline für die Zertifizierung aus, die der US-Präsident alle 90 Tage gegenüber dem Kongress abgeben muss. Wenn er nicht zertifiziert, dass der Iran sich an das Atomabkommen hält und es im nationalen Sicherheitsinteresse der USA liegt, hat der Kongress 60 Tage Zeit, die unter dem Iran-Deal aufgehobenen Sanktionen wieder einzusetzen. Schon am Donnerstag wird Trump seine Iran-Strategie in einer Rede darlegen. Seine Äußerungen in der Vergangenheit lassen wenig Zweifel daran, dass er aus dem aus seiner Sicht "schlechtesten Deal aller Zeiten" aussteigen wird und dabei dem Kongress die Wiedereinsetzung von Sanktionen überlässt.

Nun hat die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini gerade noch einmal erklärt, die Europäer hätten - so wörtlich - "ein Interesse und eine Verantwortung, eine Pflicht, das Atomabkommen mit dem Iran zu erhalten". Interesse, Verantwortung und Pflicht sind schön, gut und wichtig. Aber wie steht es um die Möglichkeiten der Europäer, das Atomabkommen zu retten?

Omid Nouripour: Die Europäer müssen den Amerikanern sehr klar und deutlich sagen, dass wir massiv davon betroffen wären, wenn das Abkommen aufgelöst wird und die absehbaren Nebeneffekte in Kraft treten. Das würde unsere Sicherheit in Europa massiv beeinträchtigen. Es ist offensichtlich: Das Atomabkommen ist für keine der beteiligten Seiten perfekt. Aber so sind nun mal durch langwierige Verhandlungen erzielte Kompromisse.

Nur: Ohne das Abkommen gibt es keine Inspektionen im Iran. Ein Ende der Inspektionen wäre der schnellste Weg des Iran zur Bombe. Zudem würden durch das Aufkündigen und durch neue US-Sanktionen die Hardliner im Iran gestärkt. Das wäre natürlich schlecht für die Friedensbemühungen im Nahen Osten. Aber das Zentrale ist: Hat der Iran die Bombe, dann kann man fest davon ausgehen, dass es eine massive nukleare Proliferationsspirale beginnt - neben Saudi-Arabien und der Türkei wird vielleicht auch noch Ägypten nach der Bombe greifen. Das würde die Konflikte im Nahen Osten auch noch nuklearisieren. Das wäre verheerend, vor allem für die Europäer in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Und das müssen wir sehr deutlich den Amerikanern sagen - egal wer und egal mit welcher Lautstärke, aber dringlich und jetzt.

Der Grünen Abgeordnete Nouripour sitzt auch im Auswärtigen Ausschuss des BundestagesBild: picture-alliance/dpa/J. Jeske

Donald Trump hat kürzlich in seiner Rede vor den Vereinten Nationen die destabilisierende Rolle des Irans in der Region heftig beklagt. Das wird er wahrscheinlich in seiner Rede zur künftigen Iran-Politik der USA erneut tun und auf iranische Einmischungen im Irak, in Syrien, im Jemen verweisen. Hat der US-Präsident Recht mit seinen Vorwürfen - und seinen Bemühungen den Druck auf Iran zu erhöhen?

Es ist richtig, dass der Iran eine hoch aggressive Regionalpolitik fährt. Ich bin aber mir der Aufzählung nicht einverstanden. Der Iran spielt eine unsägliche Rolle in Syrien oder im Libanon. Aber im Jemen ist das Hauptproblem die aggressive Regionalpolitik Saudi-Arabiens. Wir haben mit Iran und Saudi-Arabien zwei Staaten am Persischen Golf, die sich in gegenseitiger Paranoia hochschaukeln und viele Probleme in vielen anderen Staaten schaffen.

Das Problem ist, dass Trump sich so unglaublich einseitig auf eine Seite schlägt. Der fliegt nach Saudi-Arabien, wird mit goldenen Statuen beschenkt und dann wird ihm nebenher noch erklärt, die Iraner wären die alleinigen Bösen. Und dann geht er zurück und erklärt, die Saudis seien diejenigen, die Frieden in den Nahen Osten bringen würden. Das ist absurd! Deshalb kann ich nur sagen: Den Amerikanern würde es genauso gut tun wie den Europäern, zum Iran wie auch zu Saudi-Arabien den gleichen Abstand zu suchen.

Es geht nicht darum, den Iran zu romantisieren: Die Menschenrechtslage ist verheerend im Land, die regionalen Aktivitäten habe ich gerade beschrieben. Auch die Drohungen Richtung Israel sind nicht akzeptabel. Aber ich könnte auch eine lange Liste von schlimmen Dingen nennen, die Saudi-Arabien begeht - auch mit der Menschenrechtsfrage und Regionalpolitik anfangend und damit endend, dass sie die Salafisten in unseren Fußgängerzonen unterstützen, die unsere Kinder zum Dschihadismus verführen.

Das heißt: Wir müssen mit beiden Seiten reden. Wir haben sehr viel miteinander zu reden und natürlich müssen wir versuchen, zwischen diesen beiden Staaten zu vermitteln, die so viel Unfrieden in die Region bringen. Aber wir dürfen uns nicht uns auf eine Seite schlagen, nicht den Saudis riesige Pakete an Rüstungsgütern verkaufen, die zu weiterer Eskalation und in eine Aufrüstungsspirale führen. Und es ist von absoluter Wichtigkeit, dass wir alles dafür tun, damit die Region nicht nuklearisiert wird. Das ist der Sinn dieses Atomabkommens.

Aktion des deutschen Botschafters in Teheran: Ein Plakat am Botschaftstor zur Unterstützung des Atomabkommens Bild: DW/A. Rost

Die Europäer haben in den vergangenen Monaten sicherlich schon sehr intensiv mit der US-Administration und auch ihren Partnern im Kongress gesprochen. Anscheinend bislang ohne erkennbare Wirkung - zumindest was den Präsidenten selbst angeht. Aber auch der Kongress steht mehrheitlich gegen das Atomabkommen. Wenn der US-Kongress nun tatsächlich die unter dem Atomdeal aufgehobenen Sanktionen wieder einsetzt: Welche Auswirkungen hätte das auf den gerade vorsichtig wieder anlaufenden Wirtschaftsaustausch der Europäer mit dem Iran, selbst wenn Europäer, Russen und Chinesen an dem Abkommen festhalten?

Das wäre natürlich ganz schwierig. Aber das Entscheidende wäre gar nicht der wirtschaftliche Effekt, sondern dass im Iran die Hardliner Oberwasser bekämen. Das wäre nicht gut. Ich bin kein Freund der moderaten jetzigen Regierung im Iran. Auch deren Menschenrechts-Bilanz ist nicht befriedigend. Aber die Hardliner sind die Motoren der aggressiven Regionalpolitik.

Wenn die Amerikaner das Abkommen aufkündigen und neue Sanktionen verhängen, dann bleibt den Europäern nichts anderes übrig, als mit den Chinesen und den Russen zusammen an die iranische Seite heranzutreten und zu besprechen, wie man verhindert, dass auch die iranische Seite das Abkommen aufkündigt. Wir müssen überlegen und miteinander reden, ob es nicht Angebote gibt, die man machen kann, damit das Abkommen in Kraft bleibt. Wir können nicht zulassen, dass der Iran nuklearisiert und andere Staaten nachziehen.

Was hätte so ein Vorgehen für Auswirkungen auf das transatlantische Verhältnis?

Wenn ich das einmal etwas zynisch sagen darf: Das wäre der Preis, wenn die amerikanische Seite sich doch nicht herablässt, die nationalen und regionalen Sicherheitsinteressen der Europäer ernst zu nehmen. Dann müssen wir uns selbst darum kümmern und das unseren amerikanischen Partnern auch sehr klar kommunizieren.

 

Omid Nouripour ist Bundestagsabgebordneter der Fraktion Bündnis90/Die Grünen und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Er wurde in Teheran geboren und lebt seit 1988 in Deutschland.

Die Fragen stellte Matthias von Hein.

 

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