Ende einer Ära: Vogue-Chefin Anna Wintour tritt kürzer
27. Juni 2025
So kennt man die inoffizielle Königin der Modewelt: eine Frau mit Sonnenbrille und perfekt geschnittenem Bob, die bei den großen Modeereignissen stets in der ersten Reihe sitzt. Als Chefredakteurin hatte Anna Wintour bei der US-amerikanischen Zeitschrift das uneingeschränkte Sagen und war auch verantwortlich für die Inhalte aller weiteren Zeitschriften des Verlags Condé Nast.
Man kann die 75-Jährige getrost als eine der einflussreichsten Frauen der Modebranche bezeichnen, nicht nur in den USA, sondern weltweit. Jetzt zieht sie sich von ihrem Posten zurück, das hat sie am Donnerstag (26.06.2025) vor Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angekündigt. Das Magazin sucht eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger, einen" Leiter für die redaktionellen Inhalte, der die täglichen Abläufe plattformübergreifend lenkt". Doch der neuen Kraft sollte klar sein, dass Anna Wintour die Zügel in der Hand behalten wird: Als globale Redaktionsleiterin übernimmt sie weiterhin die Verantwortung für die Inhalte der "Vogue" und der weiteren Publikationen des Verlags Condé Nast.
Geboren wurde Wintour 1949 in London als Tochter einer wohlhabenden Familie. Ihr Vater war Redakteur der Londoner Zeitung "Evening Standard" und verhalf ihr im Alter von 20 Jahren zu ihrem ersten Job als Modeassistentin bei der Zeitschrift "Harpers & Queen". Später zog sie mit ihrem damaligen Partner nach New York und arbeitete sich bei verschiedenen Publikationen nach und nach auf der Karriereleiter nach oben. 1988 wurde ihr schließlich die Stelle der Chefredakteurin bei der US-amerikanischen "Vogue" angeboten.
Friedländer - das wohl berühmteste Titelbild?
Wintours erste Herausforderung war, die Werbeeinnahmen der Zeitschrift nicht an das damals neue Konkurrenz-Magazin "Elle" zu verlieren. Es gelang ihr, der "Vogue" eine eigene Nische zu schaffen und sich damit an die Spitze zu setzen. Sie entschied, dass auf dem Cover fortan nicht mehr nur Models abgebildet werden sollten, sondern auch prominente Frauen aus der Politik und aus Hollywood, darunter Hillary Clinton und Angelina Jolie.
Dieses Vorgehen wurde später noch erweitert: Inzwischen findet man auf den Titelseiten der "Vogue" auch Männer und Aktivistinnen und Aktivisten, darunter die Transgender-Aktivistin für LGBTQ+-Rechte, Ariel Nicholson. 2024 war auf dem Cover der deutschen "Vogue" die damals 102-jährige und mittlerweile verstorbene Holocaust-Überlebende Margot Friedländer zu sehen.
Wintour half der Muttergesellschaft des Magazins - dem Verlag Condé Nast - dabei, eine Reihe von Spin-off-Magazinen auf den Markt zu bringen, darunter die "Teen Vogue", die 1993 in die Regale kam. Sie machte sich zudem einen Namen damit, die "Vogue" mit einer Reihe hochkarätiger Veranstaltungen in Manhattan in Verbindung zu bringen. So organisierte sie u.a. die berühmte Met Gala (eine Benefizveranstaltung für das Metropolitan Museum of Art, Anm. der Red.) als Event mit prominenten Gesichtern, quasi als Antwort der Ostküste auf die Oscars. Wintour hat ein besonderes Händchen dafür, die Modewelt und Hollywood zu verschmelzen und Designer und neuen Marken bekannt zu machen.
Kein Einlass für Trump bei der Met Gala?
Erst kürzlich sorgte die Met Gala für Schlagzeilen, wenn, auch nicht modische: Im Vorfeld der 2025 stattfindenden Veranstaltung kursierte in den sozialen Medien ein Video, in dem Wintour erklärte, warum sie Donald Trump von der Einladungsliste der Met Gala gestrichen habe, weil er "nie wirklich dazugehörte" und sie nicht wollte, "dass diese heiligste Nacht der Modewelt auf die politische Show von jemandem reduziert wird".
Es stellte sich jedoch heraus, dass es sich bei dem Video um eine Fälschung handelte, bei der veränderte Aufnahmen eines authentischen Vogue-Interviews mit einer von einer künstlichen Intelligenz erzeugten Stimme kombiniert wurden.
Als Gast in der "Late Late Show with James Corden" hatte Wintour den US-Präsidenten jedoch bereits 2017 in seiner ersten Amtszeit als eine Person bezeichnet, die sie "nie wieder" zu der prestigeträchtigen Veranstaltung einladen würde.
Internationale Ausgaben der Vogue
Die "Vogue" ist längst weltweit unterwegs. Die US-amerikanischen Originalausgabe wurde erstmals 1892 veröffentlicht, die britische Ausgabe folgte im Jahr 1916. Derzeit gibt es mehr als 28 internationale Ausgaben der "Vogue" - eine Expansion, die auch die globale Modeszene geprägt hat. Auch hier zeigt sich Wintours Einfluss: Sie hat maßgeblich mitentschieden, wie die Zeitschriften in den jeweiligen Ländern arbeiten. Die Einführung von "Vogue Africa" im Jahr 2021 beispielsweise hat dazu beigetragen, afrikanische Designer ins internationale Rampenlicht zu rücken und gleichzeitig die afrikanische Kultur zu feiern. 2007 wurde die "Vogue India" unter der persönlichen Leitung von Wintour ins Leben gerufen. Sie hat dazu beigetragen, Indien als wichtigen Akteur in der Modeindustrie zu positionieren, indem sie die Verschmelzung von traditioneller indischer Kleidung mit zeitgenössischen Stilen fördert.
Royale Anerkennung, aber auch Kritik
Im Jahr 2017 wurde Anna Wintour von der britischen Queen Elizabeth II. in den Adelsstand erhoben, im Februar dieses Jahres zeichnete König Charles III. sie für ihre Verdienste mit einem Orden aus. Im Januar 2025 zeichnete der damals noch amtierende US-Präsident Joe Biden sie mit der "Medal of Freedom" aus, eine der höchsten zivilen Auszeichnungen der USA.
Neben aller Anerkennung gibt es aber auch kritische Stimmen. So wird beispielsweise viel darüber spekuliert, ob Anna Wintour insgeheim Vorbild für die unsympathischen Titelheldin in der bissigen Komödie "Der Teufel trägt Prada" aus dem Jahr 2006 war. In dem Film terrorisiert eine skrupellose Modechefin, gespielt von Meryl Streep, ihre Angestellten.
Und unabhängig von allen Spekulationen über die private Seite der Anna Wintour gab es auch Kritik am Inhalt der US-amerikanischen "Vogue". So wurde dem Magazin oft vorgeworfen, dass People of Color unterrepräsentiert seien. Die Zeitschrift setze sich zu wenig dafür ein, Diversität und kulturelle Vielfalt in der Modewelt zu fördern. Tatsächlich hat sich die "Vogue" in den vergangenen Jahren verstärkt bemüht, schwarze Models wie Rihanna auf das Cover zu bringen. Wintour selbst hat eine Erklärung zur Unterstützung der Black Lives Matter-Bewegung abgegeben. Doch weiterhin sind Kritiker der Meinung, dass noch mehr getan werden könnte.
In einem Artikel der "New York Times" aus dem Jahr 2020 über den Verlag Condé Nast wurden die Erfahrungen ehemaliger schwarzer Mitarbeitenden beschrieben, die von der Ignoranz ihrer "weißen Chefs" erzählten, wenn es darum ging, über schwarze Kultur zu berichten. Auch im Arbeitsalltag würden sie häufig mit stereotypen Wahrnehmungen konfrontiert.
Die Kritik beschränkte sich dabei nicht nur auf das US-Magazin. 2022 geriet ein Cover der britischen "Vogue" in Kritik, auf dem neun Models aus Afrika zu sehen waren. Der Vorwurf: die gezeigten Models verträten westliche Schönheitsideale und fetischisierten das Schwarze. Die Frauen trugen westlich anmutende Frisuren, und ihre Haut war angeblich so bearbeitet, dass sie dunkler wirkte.
Es scheint so, als ob die Modeindustrie als Ganzes noch einen weiten Weg vor sich. Wintour hat als starke Redaktionsleiterin und geschäftskundige Führungskraft vieles in Bewegung gebracht. Noch hat sie das Sagen, aber mit ihrem Rücktritt als Chefredakteurin macht sie langsam den Weg frei für eine neue Führungsgeneration. Es bleibt abzuwarten, welche neue Perspektiven diese dann in der "Vogue" einbringen wird.
Adaption aus dem Englischen: Petra Lambeck
Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels vom 01.11.2024.