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Ende eines unrühmlichen Spekulationsobjekts

Steffen Leidel/dk14. November 2003

Der IG-Farben-Konzern galt als Symbol der Verflechtung von deutscher Industrie und Hitler-Diktatur. Die Abwicklung des Konzerns ist ein schwarzes Kapitel in der deutschen Wirtschaftsgeschichte – und ein Sonderfall.

Das ehemalige IG-Farben-Haus in Frankfurt am MainBild: AP

Gegründet wurde die Interessengemeinschaft Farbenindustrie im Jahr 1925. Dazu zählten Firmen wie die BASF und Bayer. Ausschlaggebend war für die chemische Industrie seinerzeit vor allem, nach den Patentverlusten als Folge von Reparationen aus dem Ersten Weltkrieg weltweit konkurrenzfähig zu bleiben. In der Folge entstand dann der größte europäische Industrieverbund. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 war die IG Farben zudem der weltweit mächtigste Chemiekonzern. Zusammen mit der Eisen-und Stahlindustrie bildete er das Fundament für die militärische Macht Nazi-Deutschlands. Die IG Farben lieferte Grundstoffe für Munition und Bomben. Das Chemiekonglomerat war zudem großer Anteilseigner der Firma Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung). Diese stellte später das Giftgas Zyklon B für den Mord an Millionen Juden in Konzentrationslagern her.

Die IG Farben beschäftigte außerdem nach Angaben des Dachverbands der Kritischen Aktionäre rund 250.000 Zwangsarbeiter, davon 83.000 allein in einem werkseigenen Konzentrationslager in Monowitz bei Auschwitz.

Die IG Farben ist noch heute Symbol der Verquickung von Wirtschaft und Nationalsozialismus und viele Menschen haben nie verstanden, wieso sich die Abwicklung der Gesellschaft bis heute hinziehen konnte. Am Montag (10.11) folgte dann die nächste unangenehme Überraschung, als die Liquidatoren der "IG-Farbenindustrie in Abwicklung" Insolvenz anmelden mussten.

Abwicklung endlos hinausgezögert

Nach dem Krieg hatten die Besatzungsmächte das gesamte Konzernvermögen beschlagnahmt und 1952 IG-Farben in zwölf Einzelfirmen zerschlagen. Die Gründungsmitglieder wurden zu Nachfolgefirmen: Bayer, BASF und Hoechst (heute Aventis). Außerdem wurde die "IG Farbenindustrie in Abwicklung" gegründet, in die das Restvermögen einfloss. Vor allem handelte es sich um Grundbesitzansprüche in der DDR und um Ansprüche gegen Schweizer Unternehmen.Dorthin hatten die Nazis etliche Vermögenswerte vor dem alliierten Zugriff in Sicherheit gebracht. Vor allem die Hoffnung, diese Ansprüche zu Geld zu machen, ließen die IG Farben weiter leben. Auch ehemalige Zwangsarbeiter hofften freilich weiter auf Geld.

Liquidationsscheine als Spekulationsobjekte

Schnellst möglich sollte die Firma abgewickelt werden. Stattdessen wurde sie ein beliebtes Objekt für Spekulanten. Die Liquidatoren Otto Bernhardt und Volker Pollehn erklärten, dass die "zahlreichen Machenschaften" im Umgang mit dem Restvermögen "eine ordnungsgemäße Beendigung der von den Alliierten verfügten Abwicklung" unmöglich gemacht hatten. So sei die Gesellschaft nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, aufgelöst worden, sondern es seien in den 1990er Jahren zum Teil unseriöse Immobilien und Schuldverschreibungen gekauft worden. Außerdem habe es viel zu hohe Ausschüttungen an die Aktionäre gegeben.

"Die Abwicklung der IG-Farben ist ein absoluter Sonderfall", sagt Werner Abelshauser, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bielefeld. Neben IG-Farben wurden nach dem Krieg auch die Vereinigten Stahlwerke sowie Großbanken wie Dresdner Bank, Commerzbank oder Deutsche Bank zerschlagen. In diesen Fällen gab es keine Abwicklungsgesellschaft. "Bei IG-Farben stellt sich vor allem ein moralisches Problem", fügt Abelshauser im Gespräch mit DW-WORLD hinzu, "dass nämlich mit Aktien spekuliert wurde, die aus einem ehemals verbrecherischen Unternehmen stammen".

Zwangsarbeiter gehen leer aus

Die IG Farben steht nun mit rund 28 Millionen Euro bei Gläubigerbanken in der Kreide. "Unsere Forderung lautet: die Banken sollen auf das Blutgeld verzichten zugunsten der Zwangsarbeiter", sagt Henry Mathews, Geschäftsführer des Dachverbandes der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. In den 1950er Jahren hatte die IG Farben rund 13,5 Millionen Euro an ehemalige jüdische Zwangsarbeiter in westeuropäischen Ländern gezahlt. "Die hat aber fast niemand bekommen, außerdem war die Maximalsumme pro Zwangsarbeiter auf 5000 Mark festgesetzt", sagt Mathews. Die Zwangsarbeiter, die aus Osteuropa stammen, seien leer ausgegangen. Nun könnten sie erneut mit leeren Händen da stehen. Zwar wurde 1999 auf Initiative der Liquidatoren Bernhardt und Pollehn eine Stiftung zur Entschädigung gegründet. Die ist aber lediglich mit rund 250.000 Euro ausgestattet ist. Da für Zahlungen nur die Zinserträge verwendet werden dürfen, könnten so nur sehr geringe Entschädigungen gezahlt werden.

"So gut wie alle deutschen Unternehmen waren mit den Nazis in irgendeiner Form verflochten", sagt Abelshauser. "Dabei muss aber gefragt werden, ob die Firmen auch eine besondere Verantwortung für die Verbrechen der Nazis tragen". Im Fall der IG Farben ist das offenkundig, der Konzern konnte dank des Krieges seinen Umsatz beträchtlich steigern. 1948 wurde das Management der IG Farben 1948 in Nürnberg von einem amerikanischen Militärtribunal zu Haftstrafen bis zu acht Jahren verurteilt. Doch bis 1951 wurden alle von den US-Besatzungsbehörden begnadigt. Viele kehrten daraufhin wieder in hohe Positionen zurück.

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