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Fußballer in der Warteschleife

Steffen Focke
10. August 2020

Einige Fußballspieler erleiden während der Corona-Pandemie grobe Einschnitte. Vertragslose Profis wie Nick Münch bekommen diese besonders zu spüren. Der 19-Jährige überbrückt die Tiefen seines Jobs im VDV-Proficamp.

Deutschland Nick Münch 2018
Nick Münch im Trikot der U-17 von Schalke 04, für die er 2018 in der Bundesliga West auflief.Bild: Imago Images/J. Schüler

Fußball-Profis ohne Vertrag

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Nick Münch sollte eigentlich gar nicht hier sein. Im sonnigen Duisburg, im Sportpark Wedau, schwitzen er und 24 weitere Kollegen auf dem Fußballplatz bei 35 Grad im Schatten aus allen Poren. Und das, obwohl Übungsleiter Peter Neururer das Training an diesem Morgen wohl dosiert. Alle Spieler sind derzeit arbeitslos und halten sich im VDV-Proficamp fit - und bereiten sich auf mögliche neue Arbeitgeber vor. Die VDV (Vereinigung der Vertragsfußballspieler) ist eine Spielergewerkschaft, die sich für die Interessen der in Deutschland tätigen Fußballprofis einsetzt. 

Als Münchs Vertrag vom FC St. Pauli II im Januar 2020 aufgelöst wurde, absolvierte er ein Probetraining bei einem slowakischen Erstligisten. Er hinterließ einen guten Eindruck. Beide Parteien waren sich prinzipiell einig. Für das 19 Jahre alte Verteidiger-Talent aus der Schalker Jugendabteilung "Knappenschmiede" wäre es der nächste Karriereschritt gewesen.

Doch dann kam Corona

Doch es sollte anders kommen. "Ich sollte da eine Woche mit trainieren. Nach drei Tagen hieß es dann: Lockdown. Kein Fußball auf absehbare Zeit", erinnert sich Münch. Ihm wurde geraten, schnell nach Deutschland zurückzukehren, sonst sei er in der Slowakei gefangen. "Da hat sich mein Engagement durch die Pandemie leider zerschlagen. Da habe ich dann, auf Deutsch gesagt, die Arschkarte gezogen", sagt Münch.

So wie ihm geht es einigen Spielern im Camp. Normalerweise hätten sie schon längst neue Verträge mit Vereinen aus der 3. Liga oder zumindest mit einem Regionalligisten aushandeln können. Aber die Pandemie macht allen Beteiligten das Leben schwer. Gerade unterhalb der Profi-Ligen. 

Die Kleinen beißen die Hunde zuerst

Peter Neururer (Mitte) ist kurzfristig als VDV-Trainer eingesprungenBild: picture-alliance/dpa/D. Inderlied

"Je tiefer ich nach unten komme, desto mehr bin ich abhängig von den Zuschauerzahlen und den Zuschauereinnahmen. Die Einnahmen finden nicht statt, also werden die Gelder auch nicht ausgeschüttet, wie dies in den letzten Jahren, auch in überflüssiger Weise, getan worden ist. Die Gürtel müssen enger geschnallt werden", sagt Peter Neururer. Die kleineren Vereine trifft die Corona-Pandemie viel härter als die großen Klubs in Liga eins oder zwei - und das weltweit.

Neururer war einst bei Schalke 04, Hertha BSC, dem VfL Bochum und auch Hannover 96 in der Bundesliga tätig. Er ist als Übungsleiter im VDV-Camp kurzfristig für Jürgen Kramny eingesprungen, der gerade bei Eintracht Frankfurt als U-19 Trainer unterschrieben hat. Für Kramny, Ex-Coach von Arminia Bielefeld, ist es der erste Job nach über drei Jahren Arbeitslosigkeit. Darum geht es bei diesem Camp in Duisburg. Aus dem Training heraus sollen die Profis einen Verein finden. 

Der Ausgang aus einer endlosen Warteschleife

Jeder Journalist und jeder Scout wird freundlich begrüßt. Jede Form der Aufmerksamkeit erhöht schließlich die Chancen, wieder in Lohn und Brot zu kommen. Es ist eine breite Mischung an Spielern, die hier zusammenkommt. Da ist der Ex-Bundesliga-Spieler Marian Sarr, der einst mit Borussia Dortmund sogar Champions League spielte und jüngst mit Carl Zeiss Jena aus der dritten Liga abstieg. Oder Innenverteidiger Robert Müller, der mit 33 Jahren und über 300 Drittligaspielen der erfahrenste Spieler des diesjährigen Lehrgangs ist. Die meisten Spieler allerdings, wie Nick Münch, sind jung und weitgehend unbekannt.

Sobald der Ball rollt, sind alle glücklich. Alle sind froh wieder richtig trainieren und vor allem Fußball spielen zu können. Endlich vorbei die Zeit der einsamen Waldläufe oder die der stickigen Stunden in den Krafträumen halbleerer Fitnessklubs. Die Verträge vieler Spieler sind am 30. Juni ausgelaufen. Die meisten haben seit dem Corona-bedingten Aus im März nicht mehr richtig trainieren können. An richtigen Wettkampf war für die allermeisten Spieler nicht mal zu denken. Freundschafts- oder Pflichtspiele austragen durften zuletzt in Deutschland nur die Klubs von Liga eins bis drei. Das Camp ist auch der Ausgang aus einer schier endlosen Warteschleife für die Teilnehmer.

Beim VDV-Jahrgang 2009 nahm Ex-Bundesliga-Torhüter Stefan Wessels (2. v. l.) teilBild: DW

"Wenn jemand hier aus dem VDV-Camp zu einem Profi-Verein eingeladen wird, muss er nicht erst drei bis vier Wochen warten, um die körperliche Fitness zu haben um genauso fit zu sein, wie die Profis, die jetzt gerade in Deutschland auch das Training aufgenommen haben", sagt Peter Neururer. Auch der 65-Jährige ist gut gelaunt, denn auch für ihn lief sein letzter Job bei Wattenscheid 09 schief. Er kündigte, nachdem die desolate finanzielle Lage des Regionalligisten bekannt wurde, der später Insolvenz anmelden musste. Auch für Neururer kam danach, wie für Nick Münch, nichts mehr.

Das VDV-Proficamp – eine Erfolgsgeschichte

Es ist die mittlerweile 18. Auflage des Camps der Spielergewerkschaft VDV. Die Vereinigung, die 1987 unter anderem von den damaligen Bundesliga-Spielern Benno Möhlmann, Ewald Lienen, Guido Buchwald und Bruno Labbadia gegründet wurde, ist eine echte Erfolgsgeschichte.

Neben den guten Trainingsbedingungen im Duisburger Sportpark Wedau wird auch eine professionelle Leistungsdiagnostik, sportpsychologische Beratung und Laufbahncoaching von Profis auf diesen speziellen Gebieten geboten. Weil die Teilnahme für Mitglieder kostenlos ist, kann man das Angebot als vereinsloser Profi in der wirtschaftlichen Krise eigentlich nicht ausschlagen. Der Erfolg lässt sich auch messen: Rund 80 Prozent aller Teilnehmer des Camps haben bislang wieder einen Klub gefunden. 

Mit der Doppelstrategie aus der Krise

Richtig Fahrt nimmt das Vermittlungsgeschäft erst am Schluss des Camps auf. Dann finden Testspiele statt, meist gegen Zweitvertretungen von Bundesligaklubs oder Regionalligisten, die auch gerade mitten in der Saisonvorbereitung stecken.

Und hier greift die Doppelstrategie. Wie Neururer arbeiten auch Torwarttrainer Kay Hödtke (hauptberuflich Torwarttrainer des Regionalligisten Wuppertaler SV) und Co-Trainer Benjamin Skalnik (hauptberuflich Trainer bei Fortuna Düsseldorf II) ehrenamtlich während der drei Wochen Trainingslager mit. Sie haben aber noch etwas mitgebracht: ihr Netzwerk von all ihren früheren Stationen. Gegenseitig empfehlen sie Vereinen und Kollegen interessante Spieler.

Bild: picture-alliance/dpa/D. Inderlied

Gleichzeitig sucht aber auch der jeweilige Berater eines Spielers weiter nach neuen Offerten. Bei den Testspielen und auch bei den Trainigseinheiten findet sich dann eine Mischung von Sportdirektoren, Scouts und Spielervermittlern ein. Ein weiterer Pluspunkt: Die vertragslosen Profis kosten keine Ablöse. Und: Sie können auch nach Abschluss der Transferperiode, in Deutschland am 5. Oktober, noch verpflichtet werden.

Das Angebot aus dem Norden

Darauf hofft auch Nick Münch: "Für mich heißt es jetzt dranbleiben. Ich möchte erstmal im Profibereich ankommen. Das Finanzielle stelle ich auch erstmal in den Hintergrund. Es gibt schon lockere Gespräche mit einem Verein aus dem Norden." 

Es ist das Gesamtpaket des Trainingscamps, das Talente wie Nick Münch trotz der wirtschaftlich schlechten Situation vieler kleiner Vereine nicht in Panik verfallen lassen. 

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